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Politforum
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Enge Verbindungen zwischen Krankenkassen und Versandapotheken – sind die Patientendaten geschützt?
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1. Hat der Bundesrat Kenntnis von Praktiken von Versicherern, Arzneimittelgrosshändlern und Detailhandelsbetrieben, die darauf abzielen, Patientinnen und Patienten dazu zu veranlassen, ihre Medikamente bei bestimmten, zum Versandhandel zugelassenen Apotheken zu beziehen, die ihnen im Gegenzug Geschenkgutscheine überlassen, die wiederum bei den Detailhandelsbetrieben eingelöst werden können? Wenn ja, wie sehen diese Praktiken aus?
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POLITFORUM: XUNDHEIT IN BÄRN
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34949
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POLITFORUM

Xundheit in Bärn

INTERPELLATION vom 15.6.2017
Enge Verbindungen zwischen Krankenkassen und Versandapotheken – sind die Patientendaten geschützt?

Rebecca Ana Ruiz
Nationalrätin SP Kanton Waadt
1. Hat der Bundesrat Kenntnis von Praktiken von Versicherern, Arzneimittelgrosshändlern und Detailhandelsbetrieben, die darauf abzielen, Patientinnen und Patienten dazu zu veranlassen, ihre Medikamente bei bestimmten, zum Versandhandel zugelassenen Apotheken zu beziehen, die ihnen im Gegenzug Geschenkgutscheine überlassen, die wiederum bei den Detailhandelsbetrieben eingelöst werden können? Wenn ja, wie sehen diese Praktiken aus?
2. Sind diese Praktiken legal? Stellen sie nicht eine Form des «compérage», das heisst der Entschädigung für die Zuweisung von Kundinnen und Kunden dar?
3. Stellen Geschenkgutscheine für Versicherte, die der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) Kosten verursachen, nicht einen falschen Anreiz dar?

4. Ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Daten von Versicherten genügend geschützt sind, wenn Versicherer persönliche Daten ihrer an chronischen Krankheiten leidenden Versicherten dazu verwenden, diese zur Bestellung von Medikamenten bei bestimmten Versandapotheken zu animieren? Stellt die Verwendung persönlicher Daten durch die Versicherer nicht eine Art von unlauterem Wettbewerb gegenüber Apotheken dar, die keine Vereinbarungen mit Versicherern getroffen haben?
5. Wie kann sichergestellt werden, dass diese Daten nicht an die Detailhandelsbetriebe weitergegeben werden, mit denen die Versicherer eine direkte oder indirekte Partnerschaft eingegangen sind?
Begründung
Einige Versicherer sind Partnerschaften mit der Versandapotheke «Zur Rose», andere mit Mediservice der Galenica-Gruppe eingegangen. Diese Partnerschaften erlauben es den betroffenen Versicherten vor allem, exklusive Rabatte auf bestimmte bestellte Produkte zu erhalten. Das Unternehmen «Zur Rose» arbeitet zudem bereits seit Jahren mit der Migros und einigen ihrer regio-

nalen Genossenschaften zusammen. Diese Partnerschaft wird noch ausgebaut. So ist vorgesehen, dass in den Migros-Filialen Shop-in-Shop-Apotheken entstehen sollen, wobei diese Verkaufsflächen durch das Unternehmen «Zur Rose» geführt werden. Analog dazu betreibt Coop bereits seit dem Jahr 2000 die Coop-Vitality-Apotheken als Joint Venture mit dem Pharmaunternehmen Galenica. Im Rahmen dieser exklusiven Partnerschaften verwenden Versicherer die medizinischen und pharmazeutischen Daten gewisser Versicherter dazu, ganz gezielt Werbung für die Apotheke zu machen, indem ihnen zum Beispiel bei einer Medikamentenbestellung beim Unternehmen «Zur Rose» Geschenkgutscheine für die Migros angeboten werden. Andere machen mit Einkaufsgutscheinen für CoopWerbung für Mediservice. Diese Angebote zielen wahrscheinlich auf Versicherte mit chronischen Beschwerden ab, die teure medikamentöse Behandlungen benötigen.

STELLUNGNAHME DES BUNDESRATES VOM 15.9.2017

1. Der Bundesrat hat Kenntnis von Fällen einer Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Apotheken, bei der Versicherte in den Genuss eines finanziellenVorteils (Geschenkgutscheins) kommen, wenn sie die von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin verschriebenen Medikamente bei den besagten Apotheken beziehen. Er hat Kenntnis von Fällen, in denen die betroffenen Versicherten eine private Zusatzversicherung abgeschlossen haben und vertraglich ihr Einverständnis zu dieser Art von Marketing geben. Die Versicherer sind zudem nicht an der Abgabe und Finanzierung der Geschenkkarten beteiligt. Die Aufsichtsbehörde überwacht die Lage. 2./3. DiesePraktikensinddifferenziertzubeurteilen. In erster Linie muss man zwischen der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und der privaten Zusatzversicherung unterscheiden.

Im Rahmen der OKP dürfen Medikamente höchstens nach dem in der Spezialitätenliste festgelegten Preis verrechnet werden. Diese Bestimmung folgt aus dem Tarifschutz, wonach sich die Leistungserbringer an die für die Krankenversicherung festgelegten Tarife und Preise halten müssen und keine weitergehenden Vergütungen berechnen dürfen. Nichts spricht jedoch dagegen, dass die Versicherten bei zugelassenen Leistungserbringern ihre Medikamente zu kostengünstigen Konditionen beziehen. Sie tragen damit zu einer Senkung der Kosten zulasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei. Diese vergütet den verbilligten Preis, der von der versicherten Person bezahlt wird, und nicht den in der Spezialitätenliste angegebenen Höchstpreis. Die versicherte Person kann daraus keinen Vorteil ziehen, der zulasten der Versicherung geht.

Die Versicherten sind nicht verpflichtet, die Dienstleistungen einer solchen Apotheke in Anspruch zu nehmen. Es entstehen ihnen auch keine Nachteile, wenn sie darauf verzichten. Wenn eine Apotheke den Versicherten einen Vorteil bietet, der als reine Marketingmassnahme bezeichnet werden kann und ausschliesslich von der Apotheke oder einem Drittpartner, mit dem sie geschäftlich verbunden ist, finanziert wird, verstösst eine solche Praxis nicht gegen die Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts, da die Verbilligung nicht zulasten der Krankenversicherung geht. Anders sieht es dagegen aus, wenn der Vorteil darin besteht, dass die Versicherten in einem Kundenbindungsprogramm je nach Höhe des von der OKP übernommenen Medikamentenpreises Punkte sammeln können, die sie für den Erwerb weiterer

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Produkte verwenden dürfen. In einem solchen System wird den Versicherten ein Teil des Medikamentenpreises systematisch in einer Form rückvergütet, die ihnen ermöglicht, dieses Guthaben zu OKP-fremden Zwecken einzusetzen. Ausserhalb des Arzneimittelbereichs hat die Rechtsprechung festgehalten, dass ein solches System nicht unter reines Marketing fällt und einer Teilvorauszahlung künftiger Transaktionen gleichkommt: Der Käufer des Produkts, für das Punkte gutgeschrieben werden, bezahlt die Punkte, die für eine weitere Transaktion eingesetzt werden können. Bei einem Medikament, das von der OKP übernommen wird, hätte ein solches System zur Folge, dass die Versicherung eine Rückvergütung an die versicherte Person finanziert. Das würde nicht nur gegen die Rechtsordnung verstossen, die den Begünstigten verpflichtet, die Vergünstigung dem Schuldner der Vergütung weiterzugeben, sondern auch gegen

die Bestimmung, wonach die Mittel der OKP nicht zu versicherungsfremden Zwecken eingesetzt werden dürfen. Der Bundesrat wird die für dieses System geltenden Konditionen eingehend prüfen und die erforderlichen Massnahmen treffen, wenn die geltenden gesetzlichen Bestimmungen missachtet werden sollten. 4. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Daten der Versicherten genügend geschützt sind (siehe Ziff. 5), sodass es nicht zu Praktiken, die zu unlauterem Wettbewerb führen, kommen sollte. In den Fällen, von denen der Bundesrat Kenntnis hat, haben die Versicherer bestätigt, dass nur die Daten, die im Rahmen der privaten Zusatzversicherung gesammelt werden, zur Bestimmung der Empfängerinnen und Empfänger des Informationsschreibens dienen. Die Versicherten geben im Rahmen ihres Zusatzversicherungsvertrags ausdrücklich ihr Einverständnis zur Nutzung dieser Daten.

5. Im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben ist den Krankenversicherern die Bearbeitung von Personendaten gestattet. Die Bearbeitung von Personendaten muss sich aber auf das beschränken, was zur Erfüllung dieser Aufgaben nötig ist. Zur Sicherstellung des Datenschutzes haben die Krankenversicherer die erforderlichen technischen und organisatorischen Massnahmen zu treffen. Die Weitergabe dieser Personendaten an Dritte – wie beispielsweise einen Detailhändler – ist den Krankenversicherern grundsätzlich untersagt. Verstösse gegen diese Schweigepflicht können strafrechtlich geahndet und mit Busse bis zu 500 000 Franken bestraft werden.

POSTULAT vom 13.6.2017
Digitale Gesundheitsagenda: Chancen und Risiken

Bea Heim
Nationalrätin SP Kanton Solothurn
Der Bundesrat wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den zuständigen Institutionen in einem Bericht darzustellen, wie die Chancen der Digitalisierung für die Qualität des Gesundheitswesens in der Schweiz genutzt werden können, aber auch mögliche Risiken zu benennen. Der Bericht soll einen Massnahmenplan im Sinne einer digitalen Gesundheitsagenda enthalten und aufzeigen, wer welche Aufgaben zu erfüllen hat, um folgende Zielsetzungen dank der Digitalisierung zu erreichen: 1. Sicherung und Optimierung der Behandlungs-
und Indikationsqualität 2. Potenzial der Digitalisierung für eine integrierte
Gesundheitsversorgung, zur Stärkung der Versorgung chronisch Kranker, Gehbehinderter, älterer Patientinnen und Patienten 3. Stärkung der Gesundheitskompetenz mit wissenschaftlich gesicherten, kommerzunabhängigen und verständlichen Informationen für die Bevölkerung 4. Stärkung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen

STELLUNGNAHME DES BUNDESRATES VOM 30.8.2017

Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Postulantin, dass die Digitalisierung einen wichtigen Treiber für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in der Schweiz darstellt. Damit die von der Digitalisierung zu erwartenden Nutzen wie Verbesserung der Behandlungsqualität, Erhöhung der Patientensicherheit und Steigerung der Effizienz noch besser realisiert werden können, hat der Bundesrat im Rahmen der Verabschiedung der

Strategie Digitale Schweiz im April 2016 die Erarbeitung der Strategie E-Health Schweiz 2.0 in Auftrag gegeben. Diese wird zurzeit vom Bund gemeinsam mit den Kantonen erarbeitet. Im Rahmen dieser Arbeiten wird auch die Umsetzung der im Postulat geforderten Massnahmen geprüft werden.
Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulates.

5. Stärkung der Kosteneffizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung, Förderung von Innovationen, die Versicherten Mehrwerte und dem Gesamtsystem Kostenentlastungen bringen
6. Nutzung der Chancen von Telemedizin und Apps
7. Förderung der informationellen Selbstbestimmung der Bürgerin und des Bürgers in und mit der Digitalisierung.
Begründung
Die Digitalisierung erfasst Banken, Versicherungen, Industrien und Verwaltungen. Sie bringt auch für das Gesundheitswesen grosse Chancen. Bisher hat sich die Politik in der E-Health-Strategie

vor allem mit der Kompatibilität und Konnektivität der IT-Systeme im Gesundheitssystem und mit dem elektronischen Patientendossier befasst. Die Digitalisierung wird noch viel mehr in der Gesundheitsversorgung verändern. Dabei soll die «digitale Gesundheitsagenda» den Nutzen für die Versicherten und die Bedürfnisse der Patienten ins Zentrum stellen: hohe Versorgungsqualität auch in ländlichen Regionen, bessere Diagnosemöglichkeiten, frühere Erkennung von Risiken, deren Behandlung oder Eindämmung, Teilhabe aller am medizinischen Fortschritt, Stärkung der Selbstbestimmung, Transparenz,Verständlichkeit, Sicherheit der Gesundheitskompetenz und der integrierten, kostensparenden Versorgung.

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