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KONGRESSBERICHT
59. Jahreskongress der American Society of Hematology (ASH), Atlanta, 9. bis 12. Dezember 2017
Multiples Myelom
Neue Substanzen werden in bestehende Schemata integriert
In der Behandlung des multiplen Myeloms (MM) ist eine autologe Stammzelltransplantation (ASCT) mit Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie Standard. Im Verlauf der Erkrankung rezidivieren Patienten in der Regel in kürzer werdenden Intervallen. Am ASH-Kongress 2017 zeigten Studien, dass sich durch Kombination neuer und bewährter Substanzen die Rezidivsituation verlängern oder das Rezidiv hinauszögern lässt.
Pomalidomid-Kombination ist vielversprechendes Salvage-Regime
Ob in der Ära der nun verfügbaren effektiven Substanzen eine ASCT bei jedem Patienten erforderlich ist und welche Therapie als Salvage-Therapie geeignet wäre, prüften französische Wissenschaftler der Intergroupe Francophone du Myélome (IFM). In der IFM 2009/DFCIStudie wurden 700 MM-Patienten mit Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason (RVD) als Induktions- und Konsolidierungstherapie, gefolgt von einer 1-jährigen Erhaltungstherapie mit Lenalidomid behandelt. Eine Hälfte der Patienten erhielt eine ASCT beim ersten Rezidiv, die andere Hälfte erhielt die ASCT direkt nach der Studienbehandlung. Nun wurde mit dem Patientenpool der IFM-2009/DFCI-Studie zudem untersucht, ob die Kombination aus Pomalidomid (Imnovid®), Cyclophosphamid und Dexamethason (PCD) eine Option für die Salvage-Therapie sein könnte. Es wurden die ersten rezidivierenden 100 Patienten der IFM-2009/DFCI-Studie in der multizentrischen, offenen Phase-IIStudie IC 2013-05/IFM 2013-01 mit 4 Zyklen PCD behandelt (1). Der primäre Studienendpunkt war ein Ansprechen bei wenigstens 50% der Patienten, was die Grundlage für den Beginn einer PhaseIII-Studie bilden würde. Der primäre Endpunkt wurde erreicht: Von den auswertbaren Daten von 97 Patienten zeigte 1 Patient eine CR1, 33% eine VGPR2 und 51% eine PR3. Die Zeit bis zum Ansprechen betrug median 28 Ta-
1 CR = komplette Remission 2 VGPR = very good partial response (sehr gute partielle Remission) 3 PR = partielle Remission 4 PFS = progressionsfreies Überleben 5 OS = Gesamtüberleben
ge. Bezüglich der Therapiearme in der IFM-2009/DFCI-Studie wurden vergleichbare Ansprechraten von 85% und 84% beobachtet. 45 von 48 Patienten (94%) des «transplantationsnaiven» Studienarms konnten einer ASCT zugeführt werden. Die Pomalidomid-Behandlung musste bei 6% der Patienten abgebrochen werden, die CyclophosphamidTherapie bei 8% und die DexamethasonTherapie bei 9% der Patienten.
Daratumumab plus VMP bei älteren, komorbiden Patienten
Für neu diagnostizierte Myelompatienten, die 65 Jahre und älter und/oder komorbid und daher ungeeignet für eine ASCT sind, steht als Standardtherapie die Kombination aus Bortezomib, Melphalan und Prednison (VMP) zur Verfügung. In der Phase-III-Studie ALCYONE wurde die zusätzliche Gabe von Daratumumab (Darzalex®), einem CD38-gerichteten Antikörper, als effektivere Therapieoption untersucht (2). 706 Patienten erhielten randomisiert jeweils 9 Zyklen VMP oder D-VMP, wobei Patienten im experimentellen Studienarm mit Daratumumab als Monotherapie bis zum Tumorprogress behandelt wurden. Primärer Endpunkt der Studie war das PFS4. Die Nachbeobachtungszeit der präsentierten Zwischenauswertung betrug median 16,5 Monate. 5% der Patienten im VMP-Arm sowie 71% der Patienten im Daratumumab-Arm (66% auf Monotherapie) waren zu diesem Zeitpunkt noch unter Therapie. Das mediane PFS betrug im VMP-Arm 18,1 Monate und war im Daratumumab-Arm noch nicht erreicht (HR = 0,50; p < 0,0001). Nach 12 Monaten lebten 76% der Patienten (VMP) versus 87% (D-VMP) progressionsfrei und nach 18 Monaten 50% versus 72%. Ein
Ansprechen wurde bei 74% versus 91% der Patienten gesehen, Komplettremissionen (≥ CR) bei 24% versus 43% der Patienten. MRD-Negativität konnte bei 6% der Patienten im VMP- versus 22% der Patienten im D-VMP-Arm festgestellt werden. Die Therapieregime waren gut verträglich und wiesen die bekannten Nebenwirkungsprofile auf. Infektionen traten häufiger unter D-VMP auf (22% vs. 12%), aber nur 1,4% (VMP) und 0,9% (DVMP) der Patienten brachen die Therapie aufgrund von Infektionen ab.
Verlängertes Gesamtüberleben mit Carfilzomib in der rezidivierten Situation
In der Phase-III-Studie ASPIRE erhielten 792 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem MM und 1 bis 3 Vortherapien randomisiert Lenalidomid, Dexamethason und Carfilzomib (KRd27) oder nur Lenalidomid plus Dexamethason (Rd). Primärer Studienendpunkt war das PFS. Mit einer Nachbeobachtungszeit von median 48,8 Monaten unter KRd und 48,0 Monaten unter Rd wurde ein signifikanter Vorteil beim PFS durch die zusätzliche Carfilzomib-Gabe mit median 26,1 versus 16,6 Monaten bestätigt (HR = 0,66; p < 0,0001) (3). Die finale Analyse bezüglich OS5 wurde mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 67 Monaten durchgeführt. Im Ergebnis wurde das OS im Carfilzomib-Arm um 7,9 Monate im Vergleich zur aktiven Kontrolle verlängert: Im Median überlebten Patienten im KRd-Arm 48,3 Monate (im RdArm 40,4 Monate) (HR = 0,79; p = 00045). Von den untersuchten Subgruppen zeigten insbesondere Patienten im ersten Rezidiv (medianes OS: 47,3 vs. 35,9 Monate), Patienten mit vorangegangener Bortezomib-Behandlung (45,9 vs. 33,9 Monate) und Patienten mit Transplantation vor dem ersten Krankheitsrückfall (57,2 vs. 38,6 Monate) einen Vorteil von der KRd-Behandlung im Vergleich zu Rd. Wie zu erwarten war, erreichten Patienten mit wenigstens einer CR ein längeres medianes Gesamtüberleben (67,0 Monate) als Patienten mit VGPR (47,2 Monate),
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mit PR (31,6 Monate) oder Patienten ohne Ansprechen (14,6 Monate). Nach dem Krankheitsprogress war das Gesamtüberleben der Patienten, die zu KRd oder Rd randomisiert worden waren, mit 13,5 und 14,0 Monaten vergleichbar (HR = 1,015; p = 0,4473).
13-Gen-Signatur als Prädiktor für Wirksamkeit von Kd
Um die Patientenselektion für eine Carfilzomib-(Kyprolis®-)Therapie zu optimieren, wurden in der ENDEAVOR-Studie, die «head to head» Carfilzomib/Dexamethason (Kd56) und Bortezomib/Dexamethason (Vd) miteinander verglich, Biomarkeranalysen durchgeführt. Es konnten 13 Gene für einen RNA-Expressionsklassierer durch Analyse der Proben von 69% der Patienten mit verbessertem PFS unter Kd56 identifiziert werden. Am ASH-Kongress 2017 wurden nun die Daten für das Validierungsset präsentiert (4). Der Vergleich aller 303 (n = 155 bzw. n = 148) in die Validierungskohorte eingeschlossenen Patienten ergab: Das Risiko für den Krankheitsprogress im Kd56Arm verringerte sich um 58% gegenüber dem Vd-Arm (HR = 0,42; p < 0,0001). Berücksichtigten die Wissenschaftler nur die 107 Patienten im Kd-Arm, die eine positive 13-Gen-Signatur aufwiesen, konnte das Risiko gegenüber dem VdArm sogar um 70% gesenkt werden (HR = 0,30; p < 0,0001). Da es sich um eine retrospektive Studie handelt, sollen nun ein weiteres Datenset und die Gesamtüberlebensdaten zur Validierung herangezogen werden.
Kombinationspartner für Lenalidomid in der Erhaltungstherapie
Mit der Lenalidomid-Erhaltungstherapie nach ASCT wurden das PFS und das OS von neu diagnostizierten MM-Patienten verlängert. Die beiden Substanzen Ixazomib (Ninlaro®) und Elotzuzumab (Empliciti®) wurden nun in Phase-II-Studien untersucht, mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Lenalidomid-Erhaltungstherapie zu verstärken.
Ixazomib plus Lenalidomid Ixazomib plus Lenalidomid wurde in einer einarmigen Phase-II-Studie mit 64 Patienten untersucht (5). Die Ergebnisse
stützen die weitere Prüfung der Kombination in einer Phase-III-Studie. 45% der Patienten zeigten unter der Erhaltungstherapie eine Verbesserung des Ansprechens. Als bestes Ansprechen wurde bei 7,8% der Patienten eine stringente komplette Remission (sCR), bei 26,5% eine CR, bei 53% eine VGPR und bei 10,9% eine PR beobachtet. Mit einer Nachbeobachtungszeit von median 38,2 Monaten war das mediane PFS noch nicht erreicht. Nach 2 Jahren waren 81% der Patienten ohne Progress. Bei Einschluss in die Studie wiesen 75% der Patienten eine Neuropathie auf. Unter der Erhaltungstherapie wurde bei 34% über eine Neuropathie Grad 1 und 2 und bei 9% über eine Neuropathie Grad 3 berichtet (Tabelle). 16 Patienten reduzierten die Dosierung von Ixazomib und 15 Patienten diejenige von Lenalidomid. Gründe für die Dosisreduktion unter Ixazomib waren periphere Neuropathien, Neutropenien, Hörverluste, Rash und Thrombozytopenien. 4 Patienten brachen die Ixazomib-Therapie aufgrund von Neuropathien, Neutropenie und Thrombozytopenie ab.
Elotuzumab zu Lenalidomid Als weitere Option wurde die Addition von Elotuzumab zu Lenalidomid in der Erhaltungstherapie nach ASCT untersucht (6). Primärer Endpunkt der Studie war das PFS, definiert als Zeit von ASCT bis zum klinischen Krankheitsprogress oder Tod des Patienten. Durch die Erhaltungstherapie konnte bei 36% der Patienten eine Verbesserung der Tiefe des Ansprechens erreicht werden, bei 20% wurde die Remission von einem partiellen zu einem kompletten Ansprechen verbessert. Von 13 Patienten, bei denen eine MRD gemessen wurde, waren 10 Patienten bereits bei Studieneintritt MRD-negativ, und 3 Patienten verbesserten sich im Lauf der Studie von VGPR zu MRD-negativ. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 23 Monaten war der Median bezüglich des PFS noch nicht erreicht. Nach 2 Jahren waren noch 88% der Patienten ohne Progress. An hämatologischen Nebenwirkungen aller Grade (Grad 3 und 4) traten Anämien bei 71% der Patienten (6%), Neutropenien bei 69% (31%), Thombozytopenien bei 68% (7%) und febrile Neutropeni-
Tabelle:
Nebenwirkungen von Grad 3/4 unter Erhaltungstherapie mit Ixazomib plus Lenalidomid
(mod. nach [5])
Nebenwirkungen Anämie Neutropenie Thrombozytopenie Rückenschmerzen Konstipation Übelkeit Erbrechen Diarrhö Fatigue Rash Periphere Neuropathie Myalgie Atemnot Harnwegsinfektion Obere Atemwegsinfektion Pulmonale Infektion Grippe
Anzahl Patienten, n (%) Grad 3 Grad 4 2 (3) 26 (41) 3 (5) 4 (6) 5 (8) 2 (3) 4 (6) 5 (8) 2 (3) 6 (9) 7 (11) 8 (13) 6 (9) 3 (5)
1 (1,6) 3 (5) 5 (8) 16 (25) 2 (3)
en bei 9% (4%) der Patienten auf. An nicht hämatologischen Nebenwirkungen (alle Grade/Grad 3 und 4) traten am häufigsten Fatigue (76%/15%), Myalgien (71%/7%), Diarrhö (69%/16%), Atemwegsinfektionen (57%/12%), Übelkeit und Erbrechen (57%/4%) sowie Schwindel (56%/3%) auf. Bei 44% der Patienten wurde die Lenalidomid-Dosis reduziert. I
Ine Schmale
Quelle: 59th Annual Meeting & Exposition der American Society of Hematology, 9. bis 12. Dezember 2017.
Referenzen: 1. Garderet L et al.: A multicenter open label phase II stu-
dy of pomalidomide, cyclophosphamide and dexamethasone in relapsed MM patients initially treated with lenalidomide, bortezomib and dexamethasone. ASH-Abstr. #837. 2. Mateos MV et al.: Phase 3 randomized study of daratumumab plus bortezomib, melphalan, and prednisone (D-VMP) versus bortezomib, melphalan, and prednisone (VMP) in newly diagnosed MM patients ineligible for transplant (ALCYONE). ASH-Abstr. #LBA-4. 3. Stewart A et al.: Overall survival (OS) of patients with relapsed/refractory MM treated with carfilzomib, lenalidomid, and dexamethasone (KRd) versus lenalidomie and dexamethasone (Rd): Final analysis from the randomized phase 3 Aspire trial. ASH-Abstr. #743. 4. Pelham R et al.: A Genomic predictor of progression free survival among patients with relapsed or refractory multiple myeloma treated with carfilzomib and in the ENDEAVOR trial. ASH-Abstr. #839. 5. Patel K et al.: Update on a phase II study of ixazomib with lenalidomide as maintenance therapy following autologous stem cell transplant in patients with MM. ASH-Abstr. #437. 6. Thomas S et al.: Preliminary results of a phase II study of lenalidomide-elotuzumab as maintenance therapy post-autologous stem cell transplant in patients with MM. ASH-Abstr. #840.
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