Transkript
Im Fokus: Das fortgeschrittene Bronchialkarzinom
Der Einsatz der Radiotherapie beim kleinzelligen Lungenkarzinom
Update 2018
Das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) stellt die aggressivste Lungenkrebsform dar und wird meist erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Die Radiotherapie nimmt als nebenwirkungsarme, hochpräzise und minimalinvasive Behandlungsmethode einen wichtigen Stellenwert in der Therapie ein. Die Behandlung des SCLC erfolgt immer interdisziplinär und muss entsprechend koordiniert werden.
GERHARD WERNIGG1, MARKUS GLATZER2, PAUL MARTIN PUTORA2
SZO 2018; 1: 11–13.
Gerhard Wernigg Markus Glatzer Paul Martin Putora
Lungenkrebs ist die häufigste krebsassoziierte Todesursache in der westlichen Welt, das SCLC macht etwa 15% aller Lungentumore aus. Bei ungefähr einem Drittel der Patienten befindet sich der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnosestellung in einem TNMStadium I–III, in den meisten Fällen liegt er als «limited disease» (LD) vor – definiert als geringe Tumorlast und in ein einzelnes Bestrahlungsfeld passend. Bei zwei Dritteln der Patienten befindet sich der Tumor bei Diagnosestellung bereits im Stadium IV und liegt dann meist als «extensive disease» (ED) vor – definiert als ausgeprägte Tumorlast, nicht mit einem Bestrahlungsfeld abdeckbar, oft mit malignem Pleuraerguss und/oder Fernmetastasen. Die Bedeutung der Radiotherapie innerhalb sämtlicher Erkrankungsphasen des SCLC hat sich im Laufe der Jahre gewandelt (1); dieser Artikel beschreibt die Rolle der Radiotherapie beim SCLC.
Primäre Radiochemotherapie des LD-SCLC
Die konkomitierende Radiochemotherapie (RCT) ist die Standardtherapie beim LD-SCLC (2), die Chemotherapie besteht in der Regel aus Etoposid und Cisplatin (EP). Während die konkomitierende Radioche-
ABSTRACT
Radiotherapy in Small Cell Lung Cancer
Small Cell Lung Cancer (SCLC) is the most aggressive form of lung cancer and makes up about 15% of cases. Standard treatment for «limited disease SCLC» (LD-SCLC) which makes up one third of cases is radiochemotherapy. Radiotherapy is a relevant treatment modality in all stages, indications include prophylactic cranial, adjuvant, consolidative thoracic and palliative radiotherapy.
Keywords: Small Cell Lung Cancer, Radiotherapy, Lung Cancer.
motherapie als Standard betrachtet werden darf, steht die optimale zeitliche Abstimmung von Radiound Chemotherapie weiterhin zur Debatte. Die Chemotherapie wird bei dieser aggressiven Tumorform möglichst frühzeitig eingesetzt, um dem raschen Erkrankungsfortschritt zeitnah entgegenzuwirken (3). Ob die Bestrahlung mit dem ersten oder zweiten Zyklus Chemotherapie begonnen werden soll, ist nicht abschliessend geklärt (4). Die zurzeit wichtigsten Daten zur kurativen Radiochemotherapie beim kleinzelligen Bronchialkarzinom liefert die Phase-III-Studie CONVERT, die 66 Gy (2 Gy täglich) mit 45 Gy (2 × 1,5 Gy täglich) verglichen hat. Beide Studienarme waren, für diesen Kontext, mit guten Ergebnissen assoziiert: einem 3-JahresÜberleben von rund 40% (5). Ein relevanter Unterschied bei den Nebenwirkungen konnte nicht festgestellt werden – die frühere Befürchtung einer deutlich höheren Rate von Ösophagitiden war mit ein Grund dafür, wieso sich die 2 × tägliche Radiotherapie nicht flächendeckend durchgesetzt hatte. Patienten in gutem Allgemeinzustand kann eine Radiochemotherapie mit beiden Regimen angeboten werden, insbesondere unter Berücksichtigung des Patientenwillens, der oftmals beeinflusst wird durch Faktoren der Praktikabilität, beispielsweise durch das Vorhandensein von Transportmöglichkeiten. Studien zur weiteren Dosiseskalation (z.B. 70 Gy) sind im Gange, deren Ergebnisse stehen jedoch noch aus. Bei Patienten mit ausgedehnten Tumoren und schlechtem Allgemeinzustand kann die Strahlentherapie später oder nach der Chemotherapie (sequenziell) begonnen werden. Eine Verkleinerung des Tu-
1 Klinik für Radioonkologie, Kantonsspital Winterthur. 2 Klinik für Radioonkologie, Kantonsspital St. Gallen.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2018
11
Im Fokus: Das fortgeschrittene Bronchialkarzinom
Abbildung 1: Moderner Linearbeschleuniger
Patienten mit LD-SCLC und partiellem oder komplettem Therapieansprechen erwogen werden. Unmittelbar vor PCI sollte dabei ein erneutes Staging mittels Schädel-MRI in Betracht gezogen werden, da Patienten mit bereits sichtbaren Hirnmetastasen nicht für eine PCI qualifizieren. Für diese Patienten benötigt man eine höher dosierte Radiotherapie (d.h. 30 Gy bei 10 Fraktionen). Da das Auftreten von Hirnmetastasen beim komplett resezierten Stage-I-SCLC selten ist (ca. 5–10%), mag hier eine PCI nicht indiziert sein. In fortgeschritteneren Stadien sollte eine PCI individuell diskutiert werden, da das Risiko der Entwicklung von Hirnmetastasen mit bis zu 30% wesentlich höher liegt (7). Prospektive Daten liegen jedoch für diese Fragestellung nicht vor.
Abbildung 2: Beispielplan einer thorakalen Bestrahlung – während das Zielvolumen (rote Linie) abgedeckt ist, können normale Strukturen geschont werden.
mors durch die Chemotherapie kann in der Folge das zu bestrahlende Volumen reduzieren und somit das Risiko für Nebenwirkungen senken.
Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) beim LD-SCLC Bei LD-SCLC treten Hirnmetastasen bei jedem zweiten Patienten innerhalb der ersten 2 Jahre auf. Durch die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) konnte das 3-Jahres-Risiko für Hirnmetastasen von 59% auf 33% gesenkt werden, woraus sich ein Überlebensvorteil von 21% gegenüber 15% ergab (6). Die Standarddosis für eine PCI ist 25 Gy in 10 Fraktionen. Höhere Dosen verbessern das Ergebnis nicht, erhöhen jedoch die Mortalität sowie die chronische Neurotoxizität. Eine neurokognitive Verschlechterung kann mit der PCI assoziiert sein. Ein Ansatz, dies zu verbessern, ist die Schonung der Hippocampusformation. Die Hippocampus-schonende Bestrahlung wird in multiplen Studien untersucht, zum Beispiel im Rahmen der SAKK-15/12-Studie, welche kürzlich die Rekrutierung abgeschlossen hat. Die Hippocampus-schonende Bestrahlung hat sich jedoch noch nicht flächendeckend etabliert. Eine PCI sollte als Teil der Standardbehandlung von
Postoperative Radiotherapie (PORT) des LD-SCLC Neben der RCT kann bei lokal begrenzter Erkrankung (T1/2 N0 M0) eine Operation erwogen werden; jedoch wird auch nach R0-Resektionen ohne Lymphknotenbeteiligung eine adjuvante Chemotherapie empfohlen. Bei komplett resezierten Patienten mit pN0- oder pN1-Status mangelt es an Evidenz für eine PORT, dennoch kann diese, selbst in diesen Stadien, individuell evaluiert werden. Die PORT wurde in einer retrospektiven Auswertung von Daten der National Cancer Database mit längerem Überleben bei pN+ assoziiert (8), prospektive Studien hierzu fehlen allerdings. Dosierungen sind aufgrund der knappen Datenlage ebenfalls nicht ausreichend geklärt, jedoch scheinen 54 Gy mit 2 Gy/Tag am häufigsten zur Anwendung zu kommen. Im Fall von befallenen Resektionsrändern (R1/2) wird eine adjuvante Radiotherapie in Leitlinien empfohlen.
ED-SCLC
In der Vergangenheit kam die Radiotherapie beim Extensive-disease-(ED-)SCLC vorwiegend zur Palliation lokoregionärer Tumoren oder bei Fernmetastasen zum Einsatz, die konsolidierende thorakale Radiotherapie (TRT) spielte hingegen eine untergeordnete Rolle. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde diese in multiplen Studien untersucht. Auch dank der technischen Fortschritte, die es erlauben, das gesunde Gewebe besser zu schonen und das Zielvolumen besser abzudecken (intensitätsmodulierte Radiotherapie [IMRT], Volumetric Modulated Arc Therapy [VMAT] sowie bildgesteuerte Strahlentherapie-Applikation [Image Guided Radiotherapy; IGRT]) ist die Durchführung einer TRT besser durchführbar (Abbildung 1 und 2). Beim ED-SCLC ist die palliative Chemotherapie mit 4 bis 6 Zyklen EP der Behandlungsstandard. 1999 konnte erstmals innerhalb einer prospektiven, randomisierten Phase-III-Studie (9) bewiesen werden, dass
12 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2018
Im Fokus: Das fortgeschrittene Bronchialkarzinom
der TRT eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Patienten mit ED-SCLC zukommt und dass das Risiko eines intrathorakalen Rezidivs, selbst nach vorangegangener kompletter Remission (CR) nach Chemotherapie, signifikant durch die zusätzliche konkomitierende Radiotherapie gesenkt werden kann. Nach diesem initialen Erfolg folgten eine Reihe weiterer Studien zu diesem Thema. Als derzeit bedeutendste randomisierte Studie hierzu ist die CRESTStudie von Slotman und Kollegen zu erwähnen (10). Eine TRT mit 30 Gy (10 × 3 Gy) führte bei Patienten ungeachtet des Ansprechens auf 4 bis 6 Zyklen Chemotherapie zu einem 2-Jahres-Überleben von 13%, verglichen mit 3% ohne TRT. Es muss erwähnt werden, dass der primäre Endpunkt der Studie (1-Jahres-Überleben) nicht erreicht wurde, weswegen sie kontrovers diskutiert wird. Subgruppenanalysen deuten darauf hin, dass Patienten mit kleinerem Ausmass an extrathorakaler Metastasierung am ehesten von einer TRT profitieren (11).
Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) beim ED-SCLC In einer älteren randomisierten EORTC-Studie (12) reduzierte eine PCI das Auftreten symptomatischer Hirnmetastasen beim ED-SCLC von 40% auf 15% und erhöhte das 1-Jahres-Gesamtüberleben von 13% auf 27%. Eine Einschränkung dieser Studie besteht darin, dass vor der PCI keine Bildgebung des Gehirns gefordert war. Eine japanische Phase-III-Studie zeigte unlängst im selben Setting, jedoch mit obligatorischer MRI-Bildgebung vor PCI, einen nachteiligen Effekt der PCI auf das mediane Gesamtüberleben, dabei wurden 11,6 versus 13,7 Monate erreicht (13). Eine wahrscheinliche Erklärung für diese Diskrepanz liegt darin, dass in der EORTC-Studie lediglich 29% der Patienten zum Diagnosezeitpunkt eine SchädelMRI erhalten hatten. Vermutlich lagen bei einigen Patienten bereits bei Randomisierung asymptomatische Hirnmetastasen vor. Die Patienten konnten von der PCI im Sinne einer Metastasentherapie profitieren. Patienten mit symptomatischen Hirnmetastasen wurden in der japanischen Studie von Beginn an ausgeschlossen. Ein Monitoring per MRI stellt angesichts dieser Beobachtungen eine sinnvolle Alternative dar.
Tabelle:
Indikationen zur Radiotherapie beim SCLC
Stadium früh
lokal fortgeschritten («limited disease») metastasiert («extensive disease»)
Möglicher Einsatz der Strahlentherapie Primär kurative Radiochemotherapie Postoperative mediastinale Radiotherapie (für N+ oder R1) Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung Primär kurative Radiochemotherapie Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung Konsolidierende mediastinale Radiotherapie Palliative Radiotherapie (inkl. palliativer Ganzhirnbestrahlung)
Schlussfolgerungen
Die Radiotherapie spielt eine wichtige Rolle in sämt-
lichen Stadien des kleinzelligen Lungenkarzinoms
(Tabelle). Wenn möglich, ist eine Radiochemothera-
pie mit bereits früh angesetzter Radiotherapie beim
LD-SCLC die Standardtherapie. Eine prophylaktische
Ganzhirnbestrahlung empfiehlt sich bei Patienten
mit LD-SCLC und Ansprechen auf die Radiochemo-
therapie. Eine PCI beim ED-SCLC ist kritisch zu hin-
terfragen, eine konsolidierende TRT sollte individuell
empfohlen werden. Die palliative Radiotherapie
kann bei verschiedenen tumorbedingten Sympto-
men eine Linderung bringen. In vielen Situationen
wird die Strahlentherapie zeitgleich oder der Reihe
nach mit anderen Therapiemodalitäten kombiniert.
Die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit ist das
Fundament einer optimalen Therapie des SCLC in al-
len Stadien.
I
Dr. med. Gerhard Wernigg (Erstautor) Klinik für Radioonkologie Kantonsspital Winterthur 8400 Winterthur E-Mail: Gerhard.Wernigg@kssg.ch
Dr. med. Markus Glatzer Klinik für Radioonkologie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen E-Mail: Markus.Glatzer@kssg.ch
PD Dr. med. Paul Martin Putora Klinik für Radioonkologie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen E-Mail: PaulMartin.Putora@kssg.ch
Andere Indikationen für eine Radiotherapie im Management des SCLC
Die Strahlentherapie kann erfolgreich in der Palliation eingesetzt werden. Bei Obstruktion der Bronchien oder grosser Gefässe (ggf. mit Vena-cava-Syndrom), tumorbedingten Schmerzen oder Hämoptysen, sollte der Einsatz einer Strahlentherapie evaluiert werden (1, 14). Bei vorliegenden Hirnmetastasen wird in aktuellen Leitlinien die therapeutische Ganzhirnbestrahlung (WBRT) mit 10 × 3 Gy oder 5 × 4 Gy empfohlen.
Merkpunkte
I Eine Radiotherapie kann beim SCLC in sämtlichen Stadien der Erkrankung indiziert sein. I Beim LD-SCLC ist die konkomitierende Radiochemotherapie sowie die prophylaktische
Ganzhirnbestrahlung der etablierte Behandlungsstandard. I Bei Patienten mit ED-SCLC sollte eine thorakale konsolidierende Radiotherapie indivi-
duell evaluiert werden. I Die Strahlentherapie kann für verschiedene Symptome erfolgreich palliativ eingesetzt
werden.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2018
13
Im Fokus: Das fortgeschrittene Bronchialkarzinom
Quellen: 1. Glatzer, M, et al.: The role of radiation therapy in the management of small cell lung cancer. Breathe, 2017. 13: e87–e94. 2. Glatzer, M, et al.: Treatment of limited disease small cell lung cancer: the multidisciplinary team. Eur Respir J, 2017. 50(2). 3. Sone, S, et al.: CT findings of early-stage small cell lung cancer in a low-dose CT screening programme. Lung Cancer, 2007. 56(2): 207–215. 4. Sun, JM, et al.: Phase III trial of concurrent thoracic radiotherapy with either first- or third-cycle chemotherapy for limited-disease small-cell lung cancer. Ann Oncol, 2013. 24(8): 2088–2092. 5. Faivre-Finn, C, et al.: CONVERT: An international randomised trial of concurrent chemo-radiotherapy (cCTRT) comparing twice-daily (BD) and once-daily (OD) radiotherapy schedules in patients with limited stage small cell lung cancer (LSSCLC) and good performance status (PS). in: ASCO Annual Meeting Proceedings. 2016. 6. Auperin, A, et al., Prophylactic cranial irradiation for patients with small-cell lung cancer in complete remission. Prophylactic Cranial Irradiation Overview Collaborative Group. N Engl J Med, 1999. 341(7): p. 476–84. 7. Gong, L, et al.: Factors affecting the risk of brain metastasis in small cell lung cancer with surgery: is prophylactic cranial irradiation necessary for stage I–III disease? Int J Radiat Oncol Biol Phys, 2013. 85(1): 196–200. 8. Wakeam, E, et al.: Indications for Adjuvant Mediastinal Radiotherapy in Surgically Resected Small Cell Lung Cancer. Ann Thorac Surg, 2017. 103(5): 1647–1653. 9. Jeremic, B, et al.: Role of radiation therapy in the combined-modality treatment of patients with extensive disease small-cell lung cancer: A randomized study. J Clin Oncol, 1999. 17(7): 2092–2099. 10. Slotman, BJ, et al.: Use of thoracic radiotherapy for extensive stage small-cell lung cancer: a phase 3 randomised controlled trial. The Lancet, 2015. 385(9962): 36–42. 11. Slotman, BJ, et al.: Which patients with ES-SCLC are most likely to benefit from more aggressive radiotherapy: A secondary analysis of the Phase III CREST trial. Lung Cancer 2017; 108: 150–153. 12. Slotman, B, et al.: Prophylactic cranial irradiation in extensive small-cell lung cancer. New England Journal of Medicine, 2007; 357(7): 664–672. 13. Takahashi, T et al.: Prophylactic cranial irradiation versus observation in patients with extensive-disease small-cell lung cancer: a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2017; 18(5): 663–671. 14. Putora PM, Früh M, Kern L: The place of radiotherapy in the palliative management of NSCLC. Breathe 2011. 8(2): 134–143.
14 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2018