Transkript
Editorial
Keine Guideline, die nicht den Abschnitt über das Management kardiovaskulärer Erkrankungen mit der Aufforderung beginnt, zuallererst und vorrangig bei den «Allgemeinmassnahmen», sprich durchgreifenden Veränderungen fest eingefahrener Lebensgewohnheiten, anzusetzen. Und alle wissen: Der Rat ist das Papier nicht wert auf dem er gedruckt steht. Gelegentlich wird das Dilemma auch wissenschaftlich etwas näher angeschaut und beschrieben. Kürzlich wurden die Ergebnisse der dritten Querschnittserhebung im Rahmen von EUROASPIRE veröffentlicht (1). Befragt wurden
wendet werden wird, und zwar nicht gegen die Patienten, sondern gegen ihre Ärzte, konkret gegen ihre Hausärztinnen und Hausärzte. Wenigstens von den Ärzten sollte man – jedenfalls als Guidelineautor – doch erwarten dürfen, dass sie den Leitlinien aus Einsicht nachleben, wenn es
Lifestyle predigen, Pillen verschreiben?
2392 Patientinnen und Patienten, die alle schon ein kardiales Ereignis hinter sich hatten, sich also als Ziel sekundärpräventiver Bemühungen eindeutig anboten. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der ähnlichen Erhebungen EUROASPIRE I und II lässt erahnen, welche Fortschritte die zwölf Jahre zwischen 1995 und 2007 gebracht haben (2). Das Resultat ist niederschmetternd: Der Anteil der Raucher blieb praktisch konstant, aber inzwischen rauchen mehr Frauen unter 50 Jahren. Die Fettleibigen haben von 25 auf 38 Prozent zugenommen. Keine statistische Differenz ergibt sich beim Anteil der hypertensiven Patienten, aber mehr Patienten berichteten in der Befragung von ihrem Diabetes mellitus (17,4 vs. 28,0%). Immerhin, der Anteil derjenigen mit Gesamtcholesterinwerten über 4,5 mmol/l nahm von 94,5 auf 46,2 Prozent deutlich ab. Da läuft etwas gründlich schief: Wo die Statine greifen, ziehen sie die Messwerte in die Tiefe, auf dem weiten übrigen Feld der Risikofaktorenbekämpfung sieht es hingegen ausgesprochen trüb aus. Das ist Munition, die ver-
schon die Patienten nur widerwillig tun … Zwar werden immer mehr Rezepte ausgestellt, von den therapeutischen Zielen bleibt man aber weit entfernt. Was ist mit den Ärzten los? Zögern sie, noch ein weiteres teures Medikament mit seinen potenziellen Nebenwirkungen zu verschreiben, um das Lifestyle-Defizit zu kompensieren? Zweifeln sie an den Vorgaben der Guidelines? Oder kennen sie womöglich die ihnen gewidmeten Guidelines nicht? Sind sie mit Primärprävention beschäftigt, die Gesunde zu Kranken macht, und vergessen darüber ihre Hochrisikopatienten? Interessante Fragen, wehe wenn sich die Politik (Stichwort: «Pay for performance») ihrer annimmt.
Halid Bas
1. Kotseva K. et al. for the EUROASPIRE study group: EUROASPIRE III: a survey on the lifestyle, risk factors and use of cardioprotective drug therapies in coronary patients from twenty two European countries. Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 2009; 16: 121—137.
2. Kotseva K. et al. for the EUROASPIRE study group: Cardiovascular prevention guidelines in daily practice: a comparison of EUROASPIRE I, II and III surveys in eight European countries. Lancet 2009; 373: 929—940.
ARS MEDICI 7 ■ 2009 257