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FORTBILDUNG
Die hormonelle Geschlechtsanpassung zur Behandlung transidenter Menschen
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie ist ein wesentliches Standbein in der körperlichen Angleichung ans Gegengeschlecht. Unter Beachtung von bestimmten Sicherheitsaspekten ist eine Hormontherapie mit Sexualhormonen sicher und einfach durchzufuḧ ren. Regelmässige Verlaufskontrollen sowie der offene und transaffirmative Umgang mit den Betroffenen tragen wesentlich zur Sicherheit in der Behandlung bei.
Niklaus Flütsch
von Niklaus Flütsch
E nde der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, die ersten geschlechtsangleichenden Operationen erfolgreich durchzuführen. Magnus Hirschfeld mit seinem Institut für Sexualwissenschaft, welches 1919 in Berlin eröffnet wurde, hat hier grosse Pionierarbeit geleistet. Mit der Entdeckung und Synthetisierung der Sexualhormone in den Dreissigerjahren erlebte die Behandlung von transidenten Menschen eine weitere Revolution. Die Applikation von Östrogen oder Testosteron führte zu einer tiefgreifenden Veränderung der körperlichen Erscheinung. Zusammen mit den geschlechtsangleichenden Operationen gab es nun eine ganze Palette von Möglichkeiten, den Betroffenen von medizinischer Seite zu helfen, ihren Körper der innerlich erlebten Geschlechtsidentität anzugleichen.
Diagnostik Die 2013 revidierte DMS-5-Klassifikation versteht die Geschlechtsinkongruenz nicht als psychische Störung. Sie nimmt neu auch Bezug auf non binäre Geschlechtsidentitäten, die der heterogenen Population von trans*Menschen viel eher gerecht wird. Ebenfalls spielt die sexuelle Orientierung bei der Diagnostik keine Rolle mehr. Die Geschlechtsdysphorie ist als intrapsychisches Phänomen ein nicht falsifizierbares Erleben, vergleichbar mit anderen Phänomenen wie Schmerz oder Tinnitus. Deshalb wird heute diese Selbstdiagnose bei der prozesshaften Diagnostik per se nicht mehr infrage gestellt. Vielmehr ist es Ziel der Untersuchung, die Persistenz des Unbehagens aufzudecken und das Ausmass der Beeinträchtigung des Einzelnen zu erkennen (1). Zusammen mit dem Betroffenen werden dann vor allem mit Blick
auf persönliche Ressourcen die Bewältigungsstrategien und Wünsche hinsichtlich geschlechtsangleichender Interventionen herausgearbeitet: Das Ziel soll eine Minderung des Leidensdruckes und ein Gewinn an Lebensqualität sein.
Voraussetzungen zur Hormontherapie Nach einer psychiatrisch-psychologischen Abklärung erfolgt die Überweisung an einen Hormonspezialisten, welcher Erfahrung auf dem Gebiet der Transidentität hat. Die körperliche Untersuchung sowie eine ausführliche Blutkontrolle müssen vor dem Hormonstart durchgeführt werden. Ein Genitalstatus wird empfohlen, sollte aber mit grösstmöglicher Empathie erfolgen. Eine Karyotypisierung bei unauffälligem Genitale und fehlenden Hinweisen auf eine hormonelle Störung ist nicht notwendig.
Endokrine Behandlung von trans*Männern Die Wirksamkeit der Behandlung von Frau-zu-Mann transidenten Menschen (FzM) mit Sexualhormonen ist klinisch gut dokumentiert (2–6), und eine Testosterontherapie führt zu einer deutlichen Virilisierung des Körpers. Grundsätzlich kann man sich auf die Erfahrungen bei der Behandlung von Männern mit Hypogonadismus stützen (7). Mit dem Hautgel wie auch mit der Depotinjektion werden Testosteronspiegel entsprechend den männlichen Normwerten erreicht. Es kommt zur Zunahme der Muskelmasse und zu einer Umverteilung und Reduktion der Fettmasse. Weitere Effekte sind die Zunahme der Körper- und Gesichtsbehaarung sowie eine verstärkte Seborrhö. Die Hormoneinwirkung führt zum Stimmbruch. Im Genitalbereich provoziert sie eine Klitorishypertrophie, und der Ovulationszyklus wird in den meisten Fällen durch eine suffiziente Testosterongabe supprimiert.
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Nebenwirkungen und Risiken Eine häufige unangenehme Nebenwirkung einer virilisierenden Hormontherapie ist das Auftreten von Akne. Bei ausgeprägtem Befall kann sogar eine dermatologische Mitbetreuung notwendig werden. In seltenen Fällen kann es unter der Therapie zu einer therapiebedürftigen Polyglobie kommen. Nikotinkonsum und eine arterielle Hypertonie fördern diese Tendenz. Obwohl das Lipidprofil im peripheren Blut eine Zunahme des Gesamtcholesterins und der Triglyzeride zeigt, scheint das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse gegenüber der Durchschnittspopulation nicht signifikant anzusteigen (8). Ebenfalls werden Wassereinlagerungen, Glatzenbildung und Gewichtszunahme beobachtet. Eine Zunahme der Libido wird regelmässig berichtet. Ob auch psychische Veränderungen wie gesteigerte Aggressivität bei physiologischen Plasmawerten auftreten können, wird in Untersuchungen sehr widersprüchlich kommentiert (9–11).
Endokrine Behandlung von trans*Frauen Bei der Behandlung von Mann-zu-Frau transidenten Menschen (MzF) kann durch eine Östrogentherapie allein das in viel höherer Konzentration vorliegende Testosteron nicht immer suffizient unterdrückt werden. In der Regel muss zeitgleich eine Androgenblockade durchgeführt werden. Ziel ist es, einen für Frauen physiologischen Testosteronwert im Blut zu erreichen. In Europa wird dazu meist das sehr potente Cyproteronacetat verwendet. Auch können zusätzlich noch spezifische 5-alpha-Reduktase-Hemmer wie das Finasterid eingesetzt werden, um die Umwandlung von Testosteron in das potentere Dihydrotestosteron zu unterdrücken. Alternativ kann auch ein GnRH-Analogon zur Blockierung der Gonaden angewendet werden. Vor allem ganz junge Transfrauen mit sehr hoher Testosteronausschüttung können von dieser Behandlung profitieren. Als Östrogentherapie sollte heute die transdermale Applikation favorisiert werden. Die parenterale Verabreichung hat den Vorteil, dass der First-Pass-Effekt über die Leber umgangen wird und die Gerinnungsfaktoren dadurch kaum aktiviert werden. Die Einnahme von Ethinylestradiol wird wegen des klar erhöhten thromboembolischen Risikos nicht mehr empfohlen (12). Mittels Messung des Serumöstradiols kann die Hormonbehandlung gut überwacht werden. Aus Erfahrung werden dabei Östrogenwerte entsprechend mittleren Werten von prämenopausalen Frauen angestrebt (500 pmol/l) (13). Unter einer suffizienten Hormontherapie kommt es zu einer feminisierenden Fettumverteilung, und die Muskelmasse nimmt ab. Die Haare und die Haut werden feiner, das Brustwachstum setzt ein. Durch die Testosteronblockade nimmt die Libido ab, und Erektionen sowie Ejakulationen verschwinden. Die Samenproduktion erlischt. Die Stimme wird mit einer feminisierenden Hormontherapie kaum beeinflusst. Falls eine höher Stimmlage gewünscht wird, kann eine logopädische Therapie sinnvoll sein.
Nebenwirkungen und Risiken Das erhöhte Risiko der feminisierenden Hormontherapie für ein thromboembolisches Ereignis bei Transfrauen unter Hormontherapie scheint klar mit der Einnahme von Ethinylestradiol zusammenzuhängen
und zeigt in den Studien eine deutliche Abnahme nach Absetzen dieser Substanz (14, 15). Aus heutiger Sicht empfiehlt es sich, analog zur Verschreibung der hormonellen Antikonzeption, bei Vorliegen einer Risikokonstellation vor dem Hormonstart zusätzlich eine Thrombophilieabklärung durchzuführen (16). Seltene Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Verschlechterung der Leberfunktion, Bildung von Gallensteinen, Depressionen, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne und eine Verschlechterung der Glukosetoleranz. Sie decken sich mit den im Beipackzettel angegebenen unerwünschten Wirkungen der einzelnen Substanzen. Oft wird unter einer Hormonbehandlung bei trans*Frauen ein Anstieg des Prolaktinwertes festgestellt, welcher in der Regel maximal dem zweifachen oberen Normwert von Frauen entspricht und bei Symptomfreiheit keine weitere Diagnostik verlangt. Falls eine vorübergehende Gonadensupprimierung mit GnRH-Analoga erwogen wird, sollte das zusätzliche Osteoporoserisiko beachtet werden.
Morbidität und Mortalität Eine retrospektive niederländische Studie mit über 1000 Transpersonen (816 MzF und 293 FzM) mit geschlechtsangleichender Hormontherapie zeigt, dass es sich hierbei um eine sichere Therapie mit geringem Risiko handelt. Trotz Nebenwirkungen, wie wir das auch von anderen indizierten Hormontherapien kennen, liegt die Mortalität, korrigiert nach Geschlecht und Alter, nicht höher im Vergleich zur übrigen niederländischen Bevölkerung (17). Hormonabhängige Tumore traten in dieser Untersuchung bei trans*Frauen keine auf; bei trans*Männern waren sie extrem selten. Es konnten vereinzelt Prolaktinome bei MzF unter hoch dosierter Östrogentherapie gefunden werden, weshalb eine Überwachung des Prolaktinspiegels in dieser Patientengruppe sicher sinnvoll ist (18).
Brustkrebs: Ganz selten wurde über Brustkrebs sowohl bei Transfrauen wie auch bei Transmännern berichtet (20). Aus diesem Grund erscheint es empfehlenswert, die Betroffenen in der Brustuntersuchung zu instruieren und sie zu sensibilisieren. Inwieweit auch Screeningmammografien sinnvoll sind, kann nicht konklusiv beurteilt werden, da die Daten dazu fehlen.
Osteoporose: Eine suffiziente Hormontherapie mit Testosteron oder mit Östrogen führt beim Knochen zu einer ausreichenden osteoplastischen Stimulation. Untersuchungen bei trans*Personen konnten zeigen, dass unter der geschlechtsangleichenden Hormontherapie keine signifikante Osteoporose auftritt (13). Personen nach Gonadektomie müssen daher unbedingt die Hormonersatztherapie korrekt weiterführen. Das Absetzen der Hormone über längere Zeit kann zu einem beachtlichen Knochenverlust führen und sollte unbedingt vermieden werden.
Prostata: Eine Orchiektomie vor dem 40. Lebensjahr führt in der Regel zu einem Schutz vor einer gutartigen Prostatahyperplasie und vor Prostatakarzinom. Berichte über das Auftreten von Prostatakrebs bei trans*Frauen betreffen meist Personen, die nach dem 50. Lebensjahr die Orchiektomie durchgeführt haben (18, 19).
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Ovarien und Endometrium: Eine Studie aus dem Jahr
1989 zeigte, dass Ovarien bei trans*Männern unter Tes-
tosterontherapie polyzystisch verändert erscheinen (20).
Dies könnte analog zum polyzystischen Ovar-Syndrom
(PCOS) zum Schluss führen, dass eine maligne Entartung
des Endometriums häufiger wäre. Aus diesem Grund
kann es sinnvoll sein, Ovarien und/oder Uterus prophy-
laktisch zu entfernen. Man darf dabei aber nicht verges-
sen, dass es sich hier nur um einen Analogieschluss
handelt und dass klare Daten zu einer Empfehlung nach
wie vor fehlen.
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Niklaus Flütsch
Facharzt für Gynäkologie & Geburtshilfe FMH
Alpenstrasse 11
6300 Zug
E-Mail: nf@praxisfluetsch.ch
www.praxisfluetsch.ch
Literatur:
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Merkpunkte:
G Die geschlechtsangleichende Hormonbehandlung mit entsprechender körperlicher Veränderung ist heute eine sichere Methode zur Linderung der Geschlechtsdysphorie bei Transmenschen.
G Die korrekt durchgeführte hormonelle Geschlechtsanpassung beeinflusst die Morbidität oder Mortalität heute kaum mehr.
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