Transkript
FORTBILDUNG
Angehörige von trans*Menschen
Bewältigungsprozesse im Umgang mit der Transition einer nahestehenden Person
trans*Menschen konfrontieren ihre Partner_innen, Kinder, Eltern, Geschwister und andere wichtige Menschen mit einer bedeutsamen Information: dass die Geschlechtszuordnung bei ihrer Geburt nicht zutreffend war und sie daher derzeit im falschen Geschlecht leben. Welche Fragen ein solches Coming-out bei Angehörigen aufwirft, bei denen eine ihren nahestehende Person eine fürs Umfeld (oder Teile davon) sichtbare Transition durchlebt, und welche Antworten gefunden werden, damit beschäftigt sich dieser Beitrag.
Hannes Rudolph
von Hannes Rudolph
Angehörige
Q ualitativ und quantitativ gibt es für alle erwachsenen, nahen Angehörigen erwachsener trans*Menschen ähnliche Problemfelder: G Eltern von minderjährigen trans*Kindern tragen be-
sondere Verantwortung und engagieren sich stark in praktischen Belangen. G Bei Partner_innen von trans*Menschen spielt die Frage nach dem Fortbestand der Beziehung eine besondere Rolle. G Bei Kindern von trans*Menschen ist das Ausmass der Betroffenheit oder die Belastung durch die Transition extrem verschieden: je nach Alter der Kinder, Umfeld, Sichtbarkeit der trans*Person und des Transitionsprozesses. G Eltern, Geschwister und Freund_innen von erwachsenen trans*Menschen: Die Nähe (emotional, aber auch räumlich) zwischen trans*Person und angehöriger Person ist entscheidend für ein gutes Outcome bei der Transition.
Problemfelder und Herausforderungen Anerkennung der Existenz von trans* Angehörige müssen begreifen, dass nicht der Körper und die Zuordnung bei der Geburt, nicht die Chromosomen und die von aussen sichtbaren Genitalien Aufschluss über das Geschlecht einer Person geben, sondern ihr eigenes Wissen darüber. Es muss verstan-
den werden, dass eine Geschlechtsidentität existiert und dass diese für das Geschlecht massgeblich ist. Da das Thema Geschlecht in weiten Kreisen unserer Gesellschaft rein biologistisch betrachtet und konstruiert wird, müssen biologistische Zuschreibungen aktiv verlernt werden. Die Nichtakzeptanz von trans* bedeutet nicht per se, nicht unterstützend zu sein. Doch ohne Akzeptanz ist kein Verständnis für Empfindungen und das Handeln der trans*Person möglich. Manche Angehörige ignorieren das Coming-out und die Transition. Sie behandeln die trans*Person weiter, als habe sie das Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugeordnet wurde.
Fragen nach der Identität der trans*Person Obwohl sich die nahestehende Person de facto durch das Coming-out nicht verändert, haben Angehörige, insbesondere Partner_innen, häufig das Gefühl, als Frau oder als Mann oder als nicht binäre Person sei ihr geliebter Mensch eine andere Person. Diese Wahrnehmung ist gesellschaftlicher Konsens: Geschlecht ist zum Beispiel ein relevantes Kriterium für die Partner_innenwahl. Es stellt sich daher eine Verunsicherung darüber ein, wer die nahestehende Person eigentlich ist, wenn das bis anhin vermutete Geschlecht nicht korrekt ist. Viele Angehörige verstehen sehr schnell, dass die ihnen nahestehende Person sich weniger verändert als befürchtet. Es gibt aber auch Angehörige, für die das Überschreiten der Geschlechtergrenze einen solchen Bruch bedeutet, dass es ihnen nicht möglich ist, der Person weiterhin nahe zu sein, wenn sie entsprechend ihrer Geschlechtsidentität lebt.
Kasten:
Anlaufstellen für Angehörige
Fachstelle Checkpoint Zürich (www.checkpoint-zh.ch), Fachstelle für Aids- und Sexualfragen St. Gallen (http://ahsga.ch),Transgender Networks Switzerland: AngehörigenGruppe (https://www.transgender-network.ch/de/beratung-treffen/angehorige/). Hannes Rudolph beantwortet auch E-Mail-Anfragen betreffend psychologischer Unterstützung in der Nähe.
Verlust/Trauer Es bedeutet für Angehörige oft einen Verlust zu realisieren, dass der Bruder, die Schwester, der Sohn oder die Tochter in dem bisher angenommenen Geschlecht gar nicht existiert. Viele Eltern und einige Geschwister beschreiben, dass es eine Phase der Trauer um ihre Tochter/Schwester oder ihren Sohn/Bruder gegeben habe. Wie in anderen Trauerprozessen gibt es auch oft eine Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens. Da das Konzept trans* leichter infrage gestellt werden kann als das Kon-
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zept Sterben, gibt es für diese Strategie mehr Möglichkeiten: zum Beispiel trans* an sich ablehnen, die Selbsteinschätzung der trans*Person in Zweifel ziehen, es als Phase deklarieren, andere Ursachen für das Unbehagen im zugeordneten Geschlecht heranziehen. Für jüngere Kinder (bis etwa 5 Jahre) von trans*Menschen ist dieser Trauermoment fast nicht existent, da sie den Elternteil eher als Person und in der Elternrolle, weniger in den gesellschaftlichen Konventionen von Frau oder Mann wahrnehmen. Auch bei Eltern von trans*Kindern lässt sich feststellen, dass es Eltern jüngerer Kinder leichter fällt, ihr Bild zu verändern – und sich dementsprechend vom bisherigen Bild zu verabschieden. Einige Eltern bekunden sogar, gar kein Problem damit zu haben.
Angst vor sozialen Folgen der Transition Das Überschreiten von Geschlechtergrenzen wird gesellschaftlich stark sanktioniert und verursacht Verunsicherungen beim Gegenüber. Folglich erleben trans*Menschen, die sich outen, starke Reaktionen aus ihrem Umfeld. Sichtbar geschlechtlich uneindeutige Menschen werden auf der Strasse angestarrt oder gar angefeindet. Angehörige haben berechtigte Ängste:
a) Um die trans*Person G Verlust sozialer Beziehungen, erschwerte Part-
ner_innen-Suche, Verlust des Arbeitsplatzes oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, in der Schule oder im Kindergarten, Gewalttätigkeiten in der Öffentlichkeit.
b) Um sich selbst G Mitleid, Spott oder Geringschätzung, mit einer
trans*Person befreundet, bekannt oder verwandt zu sein, Kritik, die Transition zu unterstützen und die trans*Person zu akzeptieren.
Zu b: Viele Angehörige erfahren Respekt oder Mitgefühl in ihrem sozialen Umfeld, aber auch Neugier und grenzüberschreitende Fragen kommen vor. Eltern von trans*Kindern in ländlichem/konservativem Umfeld erfahren in einigen Fällen starke Kritik und Ablehnung. Hier ist es besonders wichtig, vor allem Schule oder Kindergarten zu überzeugen, professionelle Unterstützung zu holen.
Angst vor den Folgen medizinischer angleichender Massnahmen Vor allem Partner_innen und Eltern sind besorgt über mögliche Auswirkungen von Hormontherapie und Operationen auf Gesundheit, Wohlbefinden, Beziehungs- und Sexualleben der ihnen nahestehenden trans*Person. Es ist sinnvoll, Aufklärung über medizinische Massnahmen auch den Angehörigen anzubieten.
Angst vor charakterlichen Veränderungen der trans*Person Interessanterweise befürchten viele Angehörige, dass das Leben entsprechend der Geschlechtsidentität (v.a. wenn eine Hormontherapie geplant ist) bei der trans*Person ausgerechnet negative Stereotype von Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit hervorbringt. Angehörige von trans*Männern äussern Bedenken, der trans*Mann könne egoistisch, chauvinistisch, wortkarg und unempathisch werden. Angehörige von trans*Frauen befürchten, dass diese emotional labiler, empfindlicher und im Erscheinungsbild übertrieben feminin werden könnten. In den meisten Fällen verändert sich die trans*Person charakterlich kaum. Hingegen sind Veränderungen wahrnehmbar, die von den Angehörigen als positiv empfunden werden, weil sie mit der grösseren Lebenszufriedenheit der trans*Person zusammenhängen.
Es ist wichtig, diese Sorgen zu thematisieren und sie einem Realitätscheck zu unterziehen. Ein paar Erfahrungen hierzu: Zu a: Die Reaktion des nahen Umfelds ist am wenigsten voraussehbar. In den meisten Fällen reagiert das soziale Umfeld besser als erwartet. Kindergärten, Schulen und Arbeitgeber_innen suchen heute oft professionelle Hilfe und unterstützen das Coming-out. Das kann entscheidend für das Gelingen des sozialen Wechsels sein. Je weniger nah Menschen einer trans*Person stehen, desto leichter akzeptieren sie ein Coming-out. Viele trans*Menschen sind nur eine Zeit lang als trans* sichtbar. Es gibt aber trans*Personen und Konstellationen (z. B. gleichgeschlechtliche Paare, allenfalls noch mit Kindern), bei denen dauerhaft damit gerechnet werden muss, dass mehr Aufmerksamkeit erregt wird als bis anhin. Hier ist es oft möglich, Strategien zu finden, wie zum Beispiel mit Institutionen oder Zufallsbekanntschaften kommuniziert wird und welche Formulierungen das Umfeld der trans*Person verwenden kann, um die Situation bei Bedarf zu erklären. Auch gibt es Strategien, wie mit Anfeindungen und Diskriminierung umgegangen werden kann. Der Austausch untereinander und die Beratung durch kompetente Stellen oder trans*freundliche Psychotherapeut_innen kann hier hilfreich sein.
Eigene Identität/eigene sexuelle Orientierung Das Erkennen der Tatsache, dass das Geschlecht überhaupt hinterfragbar ist, führt Menschen zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Für Partner_innen kommt die Frage hinzu, zu welchem Geschlecht oder welchen Geschlechtern sie sich hingezogen fühlen. Für Partner_innen, die bisexuell oder pansexuell (Sexualität, die sich nicht auf ein bestimmtes Geschlecht bezieht, sondern auf den Menschen als ganze Person) sind, stellt sich diese Frage in geringerem Masse. Diese Auseinandersetzung mit trans*, Identität und sexueller Orientierung wird von vielen Angehörigen als bereichernde Erfahrung erlebt, die den Horizont erweitert. Gelegentlich stellen Partner_innen fest, dass ihre romantische und sexuelle Orientierung mehr Geschlechter einschliesst, als sie angenommen hatten. Es gibt aber auch Partner_innen, für die diese Verunsicherungen schwierig und bedrohlich sind. Häufiger sind es Cis-Männer, die diese Auseinandersetzung vermeiden und eine Kommunikation zum Thema trans* verunmöglichen.
Fortbestand der Beziehung Insbesondere heterosexuelle Partner_innen, die bis anhin kaum Berührungspunkte mit LGBT-Themen (LGBT: Lesbian, Gay, Bisexual and Trans) hatten, gehen
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mitunter davon aus, trans* zu sein bedeute, dass auch die sexuelle Orientierung anders sei als bisher angenommen. Das ist selten der Fall. In der Regel hoffen trans*Personen, dass die Beziehung Bestand hat. Meistens gibt die Fähigkeit der Partner_in, das Geschlecht zu akzeptieren und eine Beziehung mit einer Person, die dieses Geschlecht hat, führen zu können, den Ausschlag, ob die Beziehung Bestand hat. Einige Partner_innen entdecken, dass sie bi- oder pansexuell sind, einige halten solche Kategorien für obsolet, andere sehen die Beziehung zur trans*Person als Ausnahme. Es gibt aber auch
Merkpunkte:
G Für Angehörige von trans*Menschen sind Coming-out und Transition anspruchsvolle Veränderungen.
G Die Fragen und Problemstellungen sind zu einem grossen Teil identisch mit denjenigen, die trans*Personen selbst erleben.
G Ein grosser Teil der belastenden Faktoren geht darauf zurück, dass dem Geschlecht in unserer Kultur eine fundamentale Bedeutung beigemessen wird und dass die Existenz von trans* in weiten Teilen der Gesellschaft nicht thematisiert wird.
Partner_innen, für die es undenkbar ist, eine Beziehung
mit einem Menschen zu führen, dessen Geschlecht nicht
zur eigenen sexuellen Orientierung passt.
Ein kleiner Teil der Beziehungen scheitert bereits daran,
dass ein_e heterosexuelle_r Partner_in sich nicht vor-
stellen kann, im sozialen Alltag als Teil einer gleichge-
schlechtlichen Beziehung wahrgenommen zu werden.
Auch die Transition selbst ist eine Belastung für die Be-
ziehung. Viele Partner_innen wirken unterstützend und
freuen sich beziehungsweise leiden je nach Situation
mit. Während die Transperson aber oft stark von den
Veränderungen profitiert, sind für Partner_innen eher
die Herausforderungen präsent. Es gibt leider keine be-
lastbaren Zahlen, wie viele Beziehungen eine Transition
überstehen. In der Beratung scheint dies etwa die Hälfte
zu sein.
G
Korrespondenzadresse:
Hannes Rudolph
Psychologe, lic. phil
Checkpoint Zürich
Fachstelle für trans Menschen
Konradstrasse 1
8005 Zürich
E-Mail: fachstelle-zh@tgns.ch
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