Transkript
EDITORIAL
Traditionelle und eindeutige Geschlechterkategorien infrage stellen
D as Thema trans* findet derzeit grosse Beachtung. Während der letzten Jahre hat ein eigentlicher Paradigmenwechsel in Öffentlichkeit und Fachwelt stattgefunden. Die feste Zuschreibung einer Geschlechterkategorie durch das soziale Umfeld und in besonderen Fällen die Diagnosestellung anhand von medizinischen Kategorien wurden abgelöst durch die Selbstbestimmung der eigenen Geschlechtsidentität und des gelebten Geschlechts. Viele ethische Fragen werden in diesem Zusammenhang aufgeworfen. Die Rolle von Medizin, Psychiatrie und Psychologie im Prozess der Diagnostik und Begleitung von trans*Menschen muss neu definiert werden. Gleichzeitig werden die traditionell engen und eindeutigen Geschlechterkategorien unserer Kultur infrage gestellt durch neue Formen von Geschlechtsidentitäten. Immer mehr trans*Menschen definieren sich als weder eindeutig männlich noch weiblich. Geschlechtsidentität wird nicht als ausschliesslich polarisiert, sondern als Spektrum definiert. Begrifflichkeiten haben im Zusammenhang mit der neuen Akzeptanz der Selbstbestimmung von Geschlechtsidentität eine viel Sorgfalt erfordernde Bedeutung. Das * steht für eine Varianz der trans*Identität, die nicht ausschliesslich unter der traditionellen Einteilung von «Mann» und «Frau» ihren Platz findet. Geschlechtsangleichung bezeichnet medizinische Massnahmen, die zu einer erhöhten Kongruenz zwischen dem körperlichen und seelischen Geschlecht führen. Betroffene werden gemäss ihrer Selbstdefinition als trans*Mann beziehungsweise trans*Frau und mit den entsprechenden Pronomen bezeichnet. Die Verwendung von Begriffen, die sich an der Geschlechtsidentität der trans*Person orientieren, signalisiert Respekt vor der Eigenverantwortlichkeit des Individuums in dieser höchst persönlichen Fragestellung. Der Inhalt dieser Ausgabe wird mehrheitlich getragen von Mitgliedern der Fachgruppe trans*, in der sich Fachpersonen der Deutschschweiz aus den Bereichen Psychiatrie, somatische Medizin, Psychologie und Sozialarbeit organisiert haben (www.fachgruppetrans.ch). Die Leitlinien für die Begleitung und Behandlung von erwachsenen trans*Personen für den deutschsprachigen Raum wurden neu überarbeitet und werden in diesem Heft dargestellt von David Garcia.
Patrick Gross stellt uns seine Überlegungen zur Auswirkung der Beschäftigung mit trans*Identität auf behandelnde Fachpersonen dar. Im Beitrag von Hannes Rudolph vom Transgendernetzwerk Schweiz werden Themen von Angehörigen rund um das Thema trans* beleuchtet. Mein Artikel stellt einen Vorschlag für die aktuelle «Best Practice» im Bereich von Begleitung und Behandlung minderjähriger trans*Menschen im Umfeld der gegenwärtigen Leitliniendiskussionen dar. Myshelle Baeriswyl führt in die Zusammenhänge von trans* und Sexualität ein. Möglichkeiten endokrinologischer Behandlungen werden von Niklaus Flütsch, operative Methoden von Brigitte von Stumberg und Richard Fakin beschrieben. Alecs Recher erklärt die derzeitige Rechtslage im Zusammenhang mit Anliegen von trans*Menschen in der Schweiz.
Wir wünschen Ihnen eine spannende und anregende Lektüre. G
KD Dr. med. Dagmar Pauli Chefärztin, Stv. Klinikdirektorin Psychiatrische Universitätsklinik Zürich E-Mail: dagmar.pauli@puk.zh.ch
Literatur: 1. Arcelus J, et al.: Systematic review and meta-analysis of prevalence studies in transsexualism. European Psychiatry, 2015; 30(6): 807–815.
Glossar trans*: Das * umfasst ein Identitätsspektrum, das nicht nur auf klar männliche oder weibliche Zuordnung beschränkt ist. Zugewiesenes Geschlecht: Bei Geburt zugeordnete Geschlechterkategorie aufgrund von äusseren Geschlechtsmerkmalen. trans*Mann: Geschlechtsidentität männlich. Bei Geburt Zuweisung zum weiblichen Geschlecht. trans*Frau: Geschlechtsidentität weiblich. Bei Geburt Zuweisung zum männlichen Geschlecht. Geschlechtsangleichung: Medizinische Massnahmen, die zu einer erhöhten Kongruenz zwischen körperlichem und seelischem Geschlecht führen.
1/2018
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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