Transkript
FORTBILDUNG
Aktuelle Therapie von chronischen Wunden
T.I.M.E. und andere Behandlungskonzepte
Die Wundbehandlung stützt sich auf verschiedene Grundpfeiler und beinhaltet zuerst eine adäquate Abklärung der Wundursache. Zu der anschliessenden phasengerechten Wundbehandlung gehören die optimale Wundbettvorbereitung, die Behandlung von möglichen Infektionen, die Auswahl einer passenden Wundauflage zur Einhaltung der Feuchtigkeitsbalance sowie die Gewährleistung der notwendigen Sauerstoffzufuhr. Bei granulierenden Wunden ohne Heilungstendenz bietet die Verwendung von «advanced treatments» Möglichkeiten zur Beschleunigung der Wundheilung.
Marjam Barysch und Severin Läuchli
Chronische Wunden stellen weltweit ein grosses medizinisches sowie auch ein erhebliches sozioökonomisches Problem dar. Ein chronisches Ulkus etwa bedeutet für den Patienten eine deutliche Einschränkung im Alltag aufgrund von Schmerzen mit möglicher Arbeitsunfähigkeit sowie auch eine Einschränkung im gesellschaftlich-sozialen Leben (Geruchsbelästigung, Vermeidung von sozialen Kontakten etc.). Die häufigen Verbandwechsel sind für den Patienten zeitaufwendig und indirekt kostspielig. Aber auch im sozioökonomischen Gesamtkontext betrachtet, stellen chronische Wunden eine deutliche finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem dar. So geht man in Deutschland beispielsweise von jährlichen Kosten in Höhe von 10 000 Euro pro Patient aus (1). Aus den genannten Gründen ist eine effiziente Wundbehandlung mit möglichst rascher Abheilung und nachhaltigen Resultaten notwendig.
Ursachenabklärung
Der erste Schritt zur Wundheilung besteht in der Ursachenabklärung, da ein chronisches Ulkus keine Diagnose per se
MERKSÄTZE
Eine erfolgreiche Wundbehandlung setzt eine adäquate Abklärung der Ursache voraus.
Die Auswahl der synthetischen Verbände richtet sich nach der Exsudatmenge, dem Wundheilungsstadium und weiteren Faktoren wie beispielsweise der Häufigkeit von Verbandwechseln.
Bei fehlender Epithelialisierung trotz guter Wundbettvorbereitung kann ein «edge advancement» zum Einsatz kommen (z.B. Spalthauttransplantation, Hautersatzverfahren, Wachstumsfaktoren usw.). Hierfür wären klinische Vergleichsstudien wünschenswert.
Abbildung 1: Venöses Ulkus: Häufig im Bereich der Vena saphena magna/parva, typisch sind Zeichen der chronisch-venösen Insuffizienz wie Corona phlebectatica, Atrophie blanche, Purpura jaune d’ocre, Lipodermatosklerose usw.
Abbildung 2: Arterielles Ulkus: Oft am lateralen Unterschenkel beziehungsweise prätibial oder am Fussrücken/-rand lokalisiert, die Wunde imponiert meist mit atrophem gräulichem Gewebe, die Akren sind meist kühl mit Dystrophien der Hautanhangsgebilde.
ist, sondern Ausdruck einer Wundheilungsstörung, die durch eine Grundkrankheit bedingt ist. Jedes Ulkus (ausser ein eindeutig traumatisch bedingtes Ulkus mit Heilungstendenz) benötigt einen venösen und arteriellen Status, da hiermit 80 Prozent aller Ulkusursachen erfasst werden: 50 Prozent aller Wunden sind venöser Genese (Abbildung 1), 10 Prozent arterieller Genese (Abbildung 2), 20 Prozent gemischt venösarterieller Art. Klinisch zeigen sich die Grunderkrankungen folgendermassen: L Bei der venösen Insuffizienz sind anamnestisch in der Regel
abends müde beziehungsweise schwere sowie auch geschwollene Unterschenkel eruierbar sowie die klinischen Hautstigmata wie Knöchelödeme, Corona phlebectatica, Purpura jaune d’ocre, Lipodermatoskolerose und Varizen.
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L Bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) sind in der Regel die Fusspulse schlecht palpabel, und es können trophische Störungen wie kühle Akren mit atropher Haut, Haarverlust, verdickte Zehennägel und eine verzögerte kapilläre Wiederauffüllungszeit (Irisblendenphänomen) auftreten. Ein Knöchel-Arm-Index (ankle-brachial index, ABI) von < 0,8 zeigt eine Insuffizienz der peripheren arteriellen Durchblutung an (CAVE: falschhohe Werte bei Mediakalzinose), wobei man bei einem Verschlussdruck von < 80 mmHg schon von einer pAVK und bei < 50 mmHg von einer kritischen Ischämie ausgehen kann. Bei unauffälligem Gefässstatus muss eine weiterführende Abklärung erfolgen, um andere mögliche Ursachen zu identifizieren und fachgerecht behandeln zu können. Mögliche weitere Ursachen sind: L neuropathisch (Diabetes, Tabes dorsalis usw.) L vaskulär (Ulcus hypertonicum Martorell, Livedovaskulo- pathie usw.) L vaskulitisch (leukozytoklastische Vaskulitis, Kryoblobulin- ämie, Thrombangiitis obliterans, Vaskulitiden der mittelgrossen und grösseren Gefässe) L infektiös (Bakterien [Ecthyma, Ulcus tropicum], Pilze [tiefe Mykosen], Viren [Herpesviren], Parasiten [Leishmanien], atypische Mykobakterien usw.) L neoplastisch (Basalzellkarzinom, spinozelluläres Karzinom, Lymphom, Melanom usw.) L metabolisch (Diabetes mellitus, Kalziphylaxie, Gicht usw.) L dermatologisch-entzündlich (Pyoderma gangraenosum, Necrobiosis lipoidica, Pannikulitiden, Kollagenosen usw.) L ernährungsbedingt (Malnutrition) L medikamentös (Hydroxyurea usw.) L traumatisch (Verbrennung, Artefakt, unfallbedingt) L hämatologisch (Sichelzellanämie, Leukämien, Thalassämien usw.) L genetisch (Klinefelter-Syndrom) L andere (2). Weiterführende Abklärungen hierzu können – neben genauer Anamnese und klinischer Untersuchung – unter anderem weitergehende Laboruntersuchungen, fachärztliche Konsilien, Probebiopsien für die Durchführung von Histologie, direkter Immunfluoreszenz und mikrobiologischer Gewebekultur sowie andere Massnahmen beinhalten. Zum Ausschluss der Besiedlung mit multiresistenten Keimen sollte bei jedem Ulkus ein bakterieller Abstrich erfolgen. Ein besonderes Augenmerk ist auf immunsupprimierte Patienten zu richten, um hier ulzerierende Infektionen und Neoplasien, welche in dieser Gruppe weitaus häufiger und aggressiver auftreten, frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Daneben ist aber auch bei jungen Patienten, bei Patienten nach Tropenaufenthalt oder mit i.v.-Drogenabusus an eine infektiöse Genese einer Wunde zu denken und dementsprechend abzuklären. Bei chronischen Ulzerationen mit fehlender Heilungstendenz sollte spätestens nach 3 bis 6 Monaten eine Probebiopsie erwogen werden – trotz des Risikos einer möglicherweise resultierenden Wundheilungsstörung. Um ein Ulcus hypertonicum Martorell zu diagnostizieren, ist eine tiefe Spindelbiopsie notwendig, zur Darstellung der tiefen dermalen Ge- Abbildung 3: Kleingefässvaskulitis/Purpura SchönleinHenoch: Hierbei imponieren multiple petechiale (nicht wegdrückbare) Einblutungen, vorwiegend an den distalen Unterschenkeln. Vorsicht ist bei Papeln oder Nekrosenbildung sowie bei anderweitigen Symptomen geboten. Niere, Gelenke und der Magen-Darm-Trakt können ebenfalls betroffen sein, grundsätzlich aber auch andere Organe. fässe. Das Gleiche gilt für eine Vaskulitis (Abbildung 3). Bei Letzterer sollte zudem die Hälfte der Spindel nativ für die direkte Immunfluoreszenz aufgearbeitet werden. Wundbeurteilung Eine einheitliche Wundbeurteilung ist essenziell für die adäquate Therapie und zur Beurteilung des Behandlungserfolgs im Verlauf (3). Hierbei wird Bezug genommen auf L Wundgrösse L Wundstadium/Wundfarbe L Wundtiefe L Wundumgebung L Exsudatmenge L Geruch L Schmerz. Nicht vergessen werden sollte neben der wundspezifischen Therapie auch die wundbegleitende Therapie, bestehend aus Analgesie, Ruhigstellung und angepasster Ernährung bei grösseren Wunden/Dekubitus, sowie insbesondere selbstverständlich die ursachenbezogenen Therapien wie beispielsweise Kompressionstherapie, Varizensanierung (Stripping/ Laser), periphere transluminale Angioplastie (PTA), chirurgische Revaskularisation, Druckentlastung (total contact cast, orthopädische Schuhe) oder Immunsupression. Wundbettvorbereitung: T.I.M.E Neben der Abklärung der Ulkusursache ist die Wundbettvorbereitung von wesentlicher Bedeutung für die Wundheilung. Das 2003 hierzu erarbeitete Prinzip T.I.M.E. beinhaltet folgende essenzielle Bestandteile der Wundtherapie (4): L «tissue removal» (Débridement) L «infection control» (Silberverbände, Wundantiseptika, systemische Antibiotika) L «moisture balance» (Feuchtigkeitsbalance) L «edge advancement» (Spalthauttranplantation, Keratino- zytenkulturen usw.). Die einzelnen Komponenten werden im Folgenden dargestellt. 56 ARS MEDICI 1+2 | 2018 FORTBILDUNG Tabelle: Phasengerechte Wundbehandlung (Wundbehandlungskonzept Universitätsspital Zürich) Wundstadien / Exsudation Nass Feucht Trocken Nekrose 1. Débridement 2. Unterdrucktherapie Alternativ zu 2: Vorgehen wie bei Fibrin 1. Débridement 2. Unterdrucktherapie Alternativ zu 2: Vorgehen wie bei Fibrin 1. Débridement bei genügender Perfusion 2. Unterdrucktherapie Alternativ zu 2: Vorgehen wie bei Fibrin Fibrin oberflächliche Wunde 1. Débridement 2. Alginat oder Hydrofaser 3. Schaumstoff oder Saugkompressen 1. Débridement 2. bei Bedarf Hydrogel Alginat 3. Alginat oder Hydrofaser 4. Hydrokolloid oder Folie oder Kompresse 1. Débridement 2. Hydrogel 3. Alginat oder Hydrofaser 4. Hydrokolloid oder Folie oder Kompresse Fibrin tiefe Wunde (> 5 mm)
1. Débridement 2. Alginat oder Hydrofaser 3. Schaumstoff oder
Saugkompressen
Alternativ zu 2 und 3: Unterdrucktherapie
1. Débridement 2. bei Bedarf Hydrogel 3. Alginat oder Hydrofaser 4. Hydrokolloid oder Folie
oder Kompresse Alternativ zu 2, 3 und 4: Unterdrucktherapie
1. Débridement 2. Hydrogel 3. Alginat oder Hydrofaser 4. Hydrokolloid oder Folie
oder Kompresse Alternativ zu 2, 3 und 4: Unterdrucktherapie
Granulation oberflächliche Wunde
1. Schaumstoff oder Saugkompressen
1. Hydrokolloid oder Hydrofaser und Kompresse
1. Hydrogel 2. Hydrokolloid oder Hydrofaser
und Kompresse
Granulation tiefe Wunde (> 5 mm)
1. Schaumstoff oder Saugkompressen
Alternativ zu 1 und 2: Unterdrucktherapie
1. Hydrofaser 2. Hydrokolloid oder Folie
oder Kompresse
Alternativ zu 1 und 2: Unterdrucktherapie
1. Hydrogel 2. Hydrofaser 3. Hydrokolloid oder Folie
oder Kompresse Alternativ zu 1 und 2: Unterdrucktherapie
Epithelisation
1. Hydrokolloid oder Fettgaze und Kompresse
1. Hydrokolloid oder Folie oder Kompresse
Wundinfektion
1. Débridement 2. Wundantiseptika 3. neutral reinigen 4. silberhaltige Produkte
1. Débridement 2. Wundantiseptika 3. neutral reinigen 4. bei Bedarf: Hydrogel 5. silberhaltige Produkte
1. Débridement 2. Wundantiseptika 3. neutral reinigen 4. bei Bedarf: Hydrogel 5. silberhaltige Produkte
Bei kritischer Kolonisation
Alternativ zu 4: Unterdrucktherapie
Alternativ zu 4 und 5: Unterdrucktherapie Alternativ zu 4 und 5: mit Wundantiseptika getränkte Wundauflage
Alternativ zu 4 und 5: Unterdrucktherapie Alternativ zu 4 und 5: mit Wundantiseptika getränkte Wundauflage
Bei Infektion zusätzlich systemische Antibiotika (resistenzgerecht)
«Tissue removal» Beim «tissue removal» (Débridement) handelt es sich um die Entfernung des Biofilms und der avitalen Zellen wie Nekrosen, Debris und Fibrinbeläge, da diese die Wundheilung hem-
men und einen Nährboden für Wundinfekte darstellen. Die Entfernung kann – je nach Ausmass und Konsistenz – chirurgisch mit Skalpell, Ringkürette oder scharfem Löffel erfolgen, mechanisch mit angefeuchteter Kompresse,
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Débridement-Pads oder -Handschuhen, autolytisch mit okklusiver Hydrokolloidverbände oder biologisch mit Madentherapie. Auch das enzymatische Débridement mit Kollagenase oder Fibrinolysin ist möglich, rückt aber aufgrund der kurzen Halbwertszeit der Produkte und somit der notwendigen häufigen Verbandwechsel vermehrt in den Hintergrund. Neuerdings stehen auch physikalisch assistierte Therapien wie strom- oder ultraschallgesteuerte Verfahren oder die Plasmatherapie zur Verfügung. Ein positiver Nebeneffekt dieser Methoden ist neben der Wundreinigung auch die Granulations- und Epithelialisierungsförderung.
«Infection control» Die Infektkontrolle richtet sich nach dem Stadium der bakteriellen Besiedlung: L Bei kontaminierten und kolonisierten Wunden sind nicht re-
plizierende Bakterien vorhanden, wobei die Wirtsresistenz über den Infekt überwiegt. Hier besteht keine Heilungseinschränkung, praktisch jede Wunde ist kontaminiert. L Eine kritisch kolonisierte Wunde erkennt man an einem gewissen Heilungsstillstand mit vermehrtem serösem oder sogar purulentem Exsudat und dem typischen Fötor. Auch gelblich-bräunliche Beläge oder rötliche, leicht blutende Hypergranulationen sind Zeichen für eine kritisch kolonisierte Wunde. Zwar sind hier replizierende Bakterien vorherrschend, welche aber in der Virulenz und Menge noch so gering sind, dass sie vom Wirt noch in Schach gehalten werden. Die Therapie der Wahl hierbei sind topische Wundantiseptika. Geeignete antiseptische Substanzen sind Polihexanid, Octenidin oder Cadexomer-Jod. Abstand nehmen sollte man von Wasserstoffperoxid und PVP-Jod aufgrund der Zytotoxizität, von Letzterem zudem aufgrund der Sensibilisierungsgefahr.
Ein regelmässiges Débridement unterstützt die Reduktion der bakteriellen Kolonisation. Silberhaltige Wundauflagen können hierbei ebenfalls zum Einsatz kommen und haben den Vorteil, dass sie auch gegen MRSA-Keime (MRSA: methicillinresistente Staphylococcus aureus) wirksam sind. Eine lokale Argyrie ist eine mögliche Nebenwirkung von Silbersulfadiazin, welche aber in der Regel reversibel ist. Grossflächige Anwendungen sollten aufgrund möglicher systemischer Aufnahme allerdings vermieden werden, wenn auch bis anhin keine systemische Toxizität beschrieben wurde. Wenn Virulenz und Menge der Bakterien stärker sind als die Wirtskontrolle, spricht man von einer infizierten Wunde. Klinische Zeichen hierfür sind die fünf klassischen Zeichen einer Entzündung, bestehend aus Rötung (rubor), Schwellung (tumor), Schmerzen (dolor), Überwärmung (calor) und Funktionseinschränkung (functio laesa). Ein «probe to bone» ergibt einen hohen Verdacht auf eine Osteomyelitis; der Verdacht sollte dann mit Magnetresonanz-Imaging (MRI) erhärtet werden. Eine Wundvergrösserung und sogar Satellitenläsionen (Satelliten-Breakdown) können ebenfalls bei einem Wundinfekt auftreten. Bei infizierten Wunden ist eine systemische resistenzgerechte antibiotische Therapie notwendig. Um Resistenzen auszuschliessen, sollte noch vor Beginn der Therapie ein bakterieller Abstrich erfolgen.
«Moisture balance» Die Feuchtigskeitsbalance (Exsudatmanagement) ist ein wesentliches Element in der Wundbehandlung. Da ein feuchtes Milieu die Granulation und Epithelialisierung fördert, wird grundsätzlich eine feuchte Wundbehandlung angestrebt. Allerdings sollte die Wunde nicht zu stark exsudieren, da sie ansonsten mazeriert und auch Reparaturvorgänge gehemmt werden können. Okklusive Wundverbände sind daher auch bei Wundinfekten kontraindiziert. Grundsätzlich richtet sich die Auswahl des korrekten Wundverbands nach der Phase des Wundstadiums und der Exsudation. Grob zusammengefasst können trockene Wunden mittels Hydrogelen angefeuchtet werden, während bei sezernierenden Wunden das übermässige Exsudat beispielsweise mit Polyurethanschaumverbänden, Alginaten, Hydrofasern oder sogenannten Superabsorbern absorbiert werden kann. Nekrosen können grundsätzlich mit Hydrogelen oder Alginaten, fibrinöse Wunden mittels Hydrogelen, Alginaten/Hydrofasern beziehungsweise Polyurethanschäumen, granulierende Wunden mit Hydrofasern, Hydrokolloiden und/oder Polyurethanschäumen sowie epithelialisierende Wunden mit Hydrokolloiden beziehungsweise Silikonfolien (je nach Exsudation und weiteren Faktoren) behandelt werden (Näheres hierzu in der Tabelle).
«Edge advancement» Unter dem Begriff «edge advancement» werden Methoden subsumiert, welche die Wundheilung beschleunigen, beispielsweise der Einsatz von Hauttransplantationen (Spalthaut, Vollhaut, Reverdinplastik) für bereits granulierende Wunden, von Keratinozytenkulturen sowie anderen Produkten, welche die Wunde mit Wachstumsfaktoren und Sauerstoff versorgen. Diese eignen sich bei Heilungsstillstand trotz einer adäquaten Therapie der Ursachen und der lokalen wundheilungshemmenden Faktoren. Bei den Hautersatzverfahren stehen Produkte mit epidermalen und dermalen Kulturen sowie azellulärer Matrix zur Verfügung:
a
b
Abbildung 4: Postoperative Wunde vor (a) und 8 Wochen nach Applikation einer azellulären dermalen Matrix im Sinne eines «edge advancement» (b).
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L Für oberflächliche granulierende Wunden eignen sich epidermale Keratinozytenkulturen, beispielsweise autologe Keratinozytenkulturen mit murinen Fibroblasten, in Fibringel suspendierte autologe Keratinozyten oder kultivierte Keratinozyten von den äusseren Haarwurzelscheiden, welche aber zurzeit nicht kommerziell erhältlich sind.
L Für tiefere Wunden (full thickness) und auch bei diabetischen Ulzerationen eignen sich als Wundstimulatoren dermale und kombinierte dermale/epidermale Kulturen, da hierbei die Produktion von Wachstumsfaktoren, die Angiogenese sowie die Proliferation der Keratinozyten angeregt werden sollen. Als Beispiel für solche Produkte sei ein zweischichtiges Hautäquivalent aus allogenen neonatalen Fibroblastenkulturen in boviner Matrix genannt.
L Bei den azellulären Produkten kommen dezellularisierte Matrix aus Spenderhaut (Abbildungen 4a und 4b) oder dehydrierte Amnionmembranen als sehr potente Wundstimulatoren oder reine Matrixprodukte (aus Schweinedünndarm, Fischhaut oder auch aus pflanzlicher Zellulose), welche als Gerüst für die Gewebeneubildung dienen, zum Einsatz.
Die Entwicklung unter den «Advanced»-Verfahren bildet sich stetig weiter, und auch ein zukünftig zunehmender Einsatz von autologen Verfahren ist anzunehmen. Die Entscheidung für ein spezifisches Verfahren richtet sich aktuell nach verschiedenen Faktoren, nicht zuletzt nach dem Preis des Produkts und der Compliance des Patienten. Die Vergütung durch die Krankenkassen ist in der Schweiz bei Einsatz in zertifizierten Zentren möglich. Um einen routinemässigen Einsatz in die Klinik zu finden, werden allerdings standardisierte klinische Vergleichsstudien in einem multizentrischen, randomisierten, verblindeten Setting notwendig sein.
Neuerdings wird eine Ausdehnung des oben genannten T.I.M.E.-Konzepts auf die Sauerstoffbalance postuliert, welche sowohl die Revaskularisation und die Kompression als auch spezielle Wundauflagen und -Sprays mit normobeziehungsweise hyperbarer Sauerstoffzufuhr beinhaltet (M.O.I.S.T. – «moisture balance», «oxygen balance», «infection control», «support», «tissue management»; [5]). L
Kontaktadresse: Dr. med. Marjam-Jeanette Barysch-Bonderer Oberärztin (marjam.barysch@usz.ch) Dr. med. Severin Läuchli, Oberarzt mit erweiterter Verantwortung (meV) (severin.laeuchli@usz.ch) Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich Gloriastrasse 31, 8091 Zürich, Tel.: 044 255 11 11
Interessenlage: keine Interessenkonflikte deklariert
Referenzen: 1. Augustin M et al.: Cost-of-illness of leg ulcers in the community. Int
Wound J 2014; 11(3): 283–292. 2. Lautenschlager S, Eichmann A: Differential diagnosis of leg ulcers. Curr
Probl Dermatol 1999; 27: 259–270. 3. Heyer K et al.: German national consensus on wound documentation of
leg ulcer : Part 1: Routine care – standard dataset and minimum dataset. Hautarzt 2017, Jul 5; doi: 10.1007/s00105-017-4011-7 (Epub ahead of print). 4. Schultz GS et al.: Wound bed preparation: a systematic approach to wound management. Wound Repair Regen 2003; 11(Suppl 1): S1–S28. 5. Dissemond J et al.: M.O.I.S.T. – a concept for the topical treatment of chronic wounds. J Dtsch Dermatol Ges 2017; 15(4): 443–445.
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