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Titel
Geriater warnen vor unkritischem Umgang mit neuen Hypertoniegrenzwerten
Untertitel
-
Lead
Jenseits des Atlantiks gilt jetzt nur noch ein Blutdruck von weniger als 120/80 mmHg als normal, bereits ab 130/80 mmHg spricht man in den USA von Hypertonie. Die DGG bestreitet nicht, dass die neuen Grenzwerte des Bluthochdrucks für viele, gerade jüngere Patienten nützlich sein können. Gemeinsam mit vielen Kollegen anderer Disziplinen, die mit der Behandlung älterer Patienten befasst sind, warnt sie jedoch ausdrücklich vor der Übertragung dieser Empfehlungen auf ältere Patienten.
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MEDIEN - MODEN - MEDIZIN
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34545
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Diagnostik
Lernender Computer schlägt Pathologen – vor allem wenn’s schnell gehen muss

Erstmals ist es gelungen, einen Algorithmus zu programmieren, mit dessen Hilfe ein Computer Brustkrebszellen in Lymphknotengewebsschnitten schneller und treffsicherer aufspüren konnte als erfahrene Pathologen (1). Der Algorithmus entstand im Rahmen eines Wettbewerbs, der 2016 ausgeschrieben worden war. Die teilnehmenden Teams erhielten die Aufnahmen von je 270 Schnitten (110 mit metastasierten Zellen und 160 ohne). In diesen Aufnahmen waren die Krebszellen von erfahrenen Pathologen von Hand akribisch und exakt markiert. Anhand dieser Schnitte lernten die Computer, worauf zu achten ist. Im Wettbewerb traten 32 Algorithmen und elf erfahrene Pathologen an, die alle dieselben 129 neuen, nicht mar-

kierten Schnitte zur Beurteilung erhielten. Die Pathologen hatten – wie im klinischen Alltag üblich – nicht allzu viel Zeit, um die 129 Schnitte zu beurteilen, nämlich insgesamt nur zwei Stunden, das heisst weniger als eine Minute pro Schnitt. Sie verpassten im Mittel 18 der 49 Fälle. Einem der Pathologen liess man so viel Zeit, wie er wollte. Mit Erfolg: Er verpasste nur drei Fälle von 49 und lieferte nur einen falsch positiven Befund unter 80 Schnitten. Der beste Computeralgorithmus hingegen lieferte eine fast 100prozentige Trefferquote. Trotzdem müssten sich Pathologen noch lange nicht nach einem neuen Job umsehen, kommentierte Dr. F. Perry Wilson in MedpageToday die Studie (2). Sie sei klein

gewesen, und die Schnitte stammten nur

aus zwei Zentren. Würde ein Algorithmus

auch mit weniger gut und unterschiedlich

gefärbten Schnitten klarkommen? Aus-

serdem verpassten die Pathologen in der

Regel allenfalls Mikrometastasen von

weniger als 2 mm Durchmesser. Ange-

sichts der modernen Brustkrebsthera-

pien sei es fraglich, ob das Verpassen sol-

cher Mikrometastasen überhaupt kli-

nisch relevant sei, so Wilson.

RBO L

1. Bejnordi BE et al.: Diagnostic assessment of deep learning algorithms for detection of lymph node metastases in women with breast cancer. JAMA 2017; 318(22): 2199–2210.
2. Pathologists face their «deep blue» moment. Video auf www.medpagetoday.com vom 12. Dezember 2017.

Höhenmedizin
Kann der Berg in den Wahnsinn treiben?

© Daniel Prudek – Fotolia.com

Der Bergsteiger Jeremy S. Windsor berichtete nach der Besteigung des Mount Everest 2008 von einer seltsamen Erfahrung, die er mit anderen Extrembergsteigern teilt: Auf 8200 Höhenmetern traf er einen Mann namens Jimmy, der ihn den ganzen Tag begleitete, einige ermunternde Worte zu ihm sprach und dann spurlos verschwand. PD Dr. med. Katharina Hüfner und Prof. Hermann Brugger, Universität Innsbruck, haben mit ihrem Team rund 80 psychotische Episoden aus der deutschsprachigen Bergliteratur gesammelt, die geschilderten Symptome analysiert und auf dieser Basis ein neues Krankheitsbild definiert: die isolierte höhenbedingte Psychose.

Bislang führte man das oben beschriebene «Dritte-Mann-Phänomen» sowie andere Halluzinationen auf organische Ursachen zurück. Sie treten neben Symptomen wie starken Kopfschmerzen, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen häufig als Begleiterscheinung eines Höhenhirnödems auf. Brugger und Hüfner sind jedoch davon überzeugt, eine neue Krankheit entdeckt zu haben. Die Symptome seien zwar höhenbedingt, aber weder auf ein Höhenhirnödem noch auf andere organische Faktoren wie Flüssigkeitsverlust, Infektionen oder organische Erkrankungen zurückzuführen. Die Ursachen seien vielmehr noch unbekannt, und die Symptome verschwinden vollständig und ohne Folgeschäden, sobald die Alpi-

nisten die Gefahrenzone über 7000 Höhenmetern durchstiegen haben. Im kommenden Fruḧ jahr wollen die Innsbrucker Forscher in Zusammenarbeit mit nepalesischen Ärzten weitere Untersuchungen im Himalaya durchführen und unter anderem herausfinden, wie häufig die von ihnen neu definierte Krankheit ist: «Die höchsten Berge der Welt sind wahnsinnig schön, wir wussten nur nicht, dass sie uns auch in den Wahnsinn treiben können», so Studienautor Brugger. RBO L
Pressemitteilung Eurac Research Institute vom 13. Dezember 2017.
Hüfner K et al.: Isolated psychosis during exposure to very high and extreme altitude – characterisation of a new medical entity. Psychological Medicine 2017; 1–8. doi:10.1017/S0033291717003 397

6 ARS MEDICI 1+2 | 2018

© Bojan – Fotolia.com

Kardiologie
Geriater warnen vor unkritischem Umgang mit neuen Hypertoniegrenzwerten

Die kürzlich von den amerikanischen Kardiologen veröffentlichten niedrigeren Hypertoniegrenzwerte (1) gefährden ältere Patienten, warnt die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG). Jenseits des Atlantiks gilt jetzt nur noch ein Blutdruck von weniger als 120/80 mmHg als normal, bereits ab 130/80 mmHg spricht man in den USA von Hypertonie. Die DGG bestreitet nicht, dass die neuen Grenzwerte des Bluthochdrucks für viele, gerade jüngere Patienten nützlich sein können. Gemeinsam mit vielen Kollegen anderer Disziplinen, die mit der Behandlung älterer Patienten befasst sind, warnt sie jedoch ausdrücklich vor der Übertragung dieser Empfehlungen auf ältere Patienten. Es wird nicht bezweifelt, dass die den neuen Grenzwerten zugrunde liegenden Studien sorgfältig durchgeführt wurden und entsprechende Schlussfolgerungen nachvollziehbar sind. Das Problem tauche aber bei der Übertragung der Studienergebnisse auf den älteren Patienten im Praxisalltag auf: 1. Die automatische, unbeobachtete Blutdruck-
selbstmessung, die in der für die neuen Grenzwerte wichtigsten Studie (SPRINT) eingesetzt wurde, ergibt Werte, die etwa 15/8 mmHg niedriger liegen als bei Messungen durch medizinisches Personal. 2. In die Studie wurden nur sehr rus̈ tige, zu Hause lebende, ältere Patienten aufgenommen. So fit wie die Patienten der Studie sind aber bei Weitem nicht alle Personen im höheren Lebensalter. Die grosse Gefahr liege daher in der Übertragung dieser Studienergebnisse auf den älteren Patienten im Allgemeinen, so die DGG. Häufig befinden sich ältere Patienten in einem schlechteren Allgemeinzustand mit zahlreichen Begleiterkrankungen wie zum Beispiel einer kognitiven

Beeinträchtigung. Unter Umstän-

den leben sie aufgrund einer oder

mehrerer Behinderungen bereits

in Alters- und Pflegeheimen. Da

solche Patienten in schlechterem

Allgemeinzustand gar nicht in die

relevanten Studien aufgenommen

wurden, dürfe man deren Schluss-

folgerungen nicht einfach auf die-

ses Patientenkollektiv übertragen.

Nur diejenigen Patienten, die in

den zugrunde liegenden Studien

beschrieben werden und deren

Blutdruck auf die beschriebene Weise gemes-

sen wurde, könnten von einer intensiveren Blut-

druckbehandlung profitieren. Bei allen anderen

älteren Patienten sei zu befürchten, dass der

Schaden einer intensiven Blutdrucksenkung

den zu erwartenden Nutzen übersteige, und ge-

rade diese Patienten bilden einen grossen Anteil

der älteren Bevölkerung.

Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass

bei vielfach erkrankten hochbetagten Patienten

eine intensivere Blutdrucksenkung mit vielen

Problemen einhergeht (2). Der niedrige Blut-

druck bedeutet eine grössere Sturzgefahr und

damit auch ein höheres Frakturrisiko. Ausser-

dem geht ein niedriger Blutdruck bei diesen Pa-

tienten mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.

So hatten Altersheimbewohner, deren Blut-

druck mit zwei oder mehr blutdrucksenkenden

Präparaten auf < 130 mmHg gesenkt wurde, ein um 78 Prozent höheres Mortalitätsrisiko als gleichaltrige Heimbewohner, die nur ein Mittel zur Blutdrucksenkung erhielten und deren Blut- druck bei > 130 mmHg lag (3).

DGG/RBO L

Pressemitteilung der DGG vom 15. Dezember 2017
1. Whelton PK et al.: ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/ APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA guideline for the prevention, detection, evaluation, and management of high blood pressure in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. Hypertension 2017 Nov 13; Epub ahead of print.
2. Benetos A et al.: An expert opinion from the European Society of Hypertension-European Union Geriatric Medicine Society working group on the management of hypertension in very old, frail subjects. Hypertension 2016; 67: 820–825.
3. Benetos A et al: Treatment with multiple blood pressure medications, achieved blood pressure, and mortality in older nursing home residents: the PARTAGE study. JAMA Intern Med 2015; 175(6): 989–995.

Rückspiegel

Vor 10 Jahren
Vitamine schützen Raucher nicht
Nachdem schon seit Längerem bekannt ist, dass Vitamin A das Lungenkrebsrisiko für Raucher wider Erwarten nicht senkt, sondern sogar eher noch erhöht, zeigt sich dies nun auch für Vitamin-E-Supplemente. In einer prospektiven Kohortenstudie mit rund 77 000 Männern und Frauen in den USA vermindern weder Vitamin C noch Folsäure das Lungenkrebsrisiko. Bei Raucherinnen und Rauchern ist Vitamin E sogar mit einer leichten Risikoerhöhung verbunden.

Vor 50 Jahren
Down-Syndrom
Kinder mit Down-Syndrom sollen nicht in ein Heim gegeben werden, sondern in ihren Familien aufwachsen, fordert der US-amerikanische Arzt C.H. Carter, Sunland Hospital Orlando, Florida, weil sie dann einen um durchschnittlich 20 Punkte höheren Intelligenzquotienten erreichen als Down-Syndrom-Kinder im Heim.

Vor 100 Jahren
Chinin gegen Malaria

Für Patienten mit schwerer Malaria empfiehlt

der Wiener Professor von Stejskal intravenöse

Chiningaben. Am wichtigsten sei dabei, das

Chinin während des Fieberanfalls zu injizieren.

Zu den Nebenwirkungen heisst es in ARS

MEDICI: «Der Injektion folgt fast augenblick-

lich ein kurz dauernder unangenehmer Zu-

stand von allgemeiner Erregung, Hörstörun-

gen, bitterem Geschmack im Munde und so

weiter.» Stejskal berichtet von zirka 50 Fällen,

vorwiegend Patienten mit längerer Krank-

heitsgeschichte und mehreren erfolglosen

Therapieversuchen, denen er mit dieser Strate-

gie helfen konnte. Patienten mit schwerer

Malaria tertiana seien nach zwei bis fünf Injek-

tionen über Monate hinweg fieberfrei geblie-

ben. Sein jüngster Fall, ein Patient mit der be-

sonders gefährlichen Malaria tropica, wurde

nach einer Injektion fieber- und plasmodien-

frei; die «kolossale Milzschwellung» ging rasch

zurück.

RBO L

ARS MEDICI 1+2 | 2018