Transkript
STUDIE REFERIERT
Depressionen im Alter haben eine schlechtere Prognose
Kohortenstudie aus niederländischen Allgemeinpraxen
Eine Beobachtungsstudie wollte ein Bild der Prognose der Depression bei über 55-Jährigen unter den Bedingungen der Alltagspraxis zeichnen und nach möglichen Prognoseprädiktoren suchen.
eines Patientenfragebogens gemäss den Kriterien des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) gestellt und der Schweregrad der Erkrankung mit der Montgomery-ÅsbergDepressionsskala bestimmt. Hauptsächliche Verlaufsparameter waren die Zeit bis zur Erholung und die Wahrscheinlichkeit einer Erholung zu verschiedenen Zeitpunkten. Die Evaluation von prognostischen Indikatoren erfolgte mit multivariablen statistischen Analysen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Obwohl die Auswirkungen einer Depression auf Lebensqualität, allgemeinen Funktionszustand sowie Beginn und Prognose chronischer körperlicher Krankheiten wohl bekannt sind und obschon auch gut dokumentiert ist, dass eine Behandlung auch bei älteren Depressiven effektiv sein kann, wird die Depression bei den meisten älteren Menschen unterdiagnostiziert und bleibt daher unbehandelt. Über die Prognose der Depression unter den Bedingungen der Allgemeinpraxis ist zudem nur wenig bekannt. Daher wollte die «West Friesland Study» Informationen zur Dauer depressiver Episoden und zur Wahrscheinlichkeit einer Erholung sowie zu Prognoseprädiktoren sammeln.
Methodik An dieser Kohortenstudie über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren nahmen 34 Allgemeinärzte aus 32 Grundversorgerpraxen im Nordwesten der Niederlande teil, die Depressive in der zweiten Lebenshälfte (≥ 55 Jahre) betreuten. Die Diagnose einer Major Depression wurde nach einer Vorselektion mittels
Resultate 458 Patientinnen und Patienten durchliefen eine vollständige Evaluation hinsichtlich psychischer Störungen durch ihre Allgemeinpraktiker, 234 Patienten (62% Frauen; 49% 55- bis 64-jährig, 20% 65- bis 74-jährig, 20% ≥ 75 Jahre) fanden mit der definitiven Depressionsdiagnose schliesslich Aufnahme in die Studie. 204 Teilnehmende hatten mindestens eine Follow-up-Messung und wurden analysiert. Die 30 schon nach der Basiserfassung für die Beobachtung verlorenen Patienten waren zwar älter, unterschieden sich in anderen Charakteristika jedoch nicht von den längerfristig Beobachteten. 175 Patientinnen und Patienten beendeten 4 oder mehr der geplanten 7 Kontrolluntersuchungen. Die mittlere Zeit bis zur Erholung von der Major Depression lag bei 19,3 Monaten (95%-Konfidenzintervall [KI] 17,5 bis 21,2 Monate), die mediane Dauer der Episode einer Major Depression betrug 18 Monate (95%-KI 12,8 bis 23,1 Monate). 35 Prozent der depressiven Patienten wurden innerhalb eines Jahres wieder gesund, 60 Prozent erholten sich innert 2 Jahren und 68 Prozent innert 3 Jahren.
Eine schlechte Prognose war assoziiert mit dem Schweregrad der Depression bei der Eingangsuntersuchung, mit einer positiven Familienanamnese für Depressionen und mit einem schlechteren körperlichen Funktionszustand. Während der Beobachtungszeit blieb der Funktionszustand bei Patienten mit chronischer Depression eingeschränkt, nicht aber bei denjenigen, die sich von der Depression erholt hatten. Nur 40 Prozent der depressiven Patienten erhielten zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie eine Therapie (31% Antidepressiva, 9% Überweisung zur psychiatrischen Behandlung). Zwischen einer gegen die Depression gerichteten Behandlung und der Genesung fanden die Autoren keinen statistischen Zusammenhang. Patienten, welche eine Therapie erhielten, hatten bei Beobachtungsbeginn eine schwerere Depression. Während der Beobachtungszeit war keine Veränderung bei der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten zu registrieren, und es ergab sich in dieser Hinsicht auch kein Unterschied zwischen den Patienten, die noch depressiv waren, und denjenigen, die sich erholt hatten. Chronische Erkrankungen nahmen während der Follow-up-Zeit in dieser Kohorte älterer und alter Menschen zu, und deren Prävalenz war bei weiterhin depressiven im Vergleich zu von ihrer Depression genesenen Patienten höher. Die anhaltend depressive Gruppe zeigte zudem eine Abnahme bei Alltagsfunktionen. Während der Beobachtungszeit
Merksätze
■ In dieser Kohortenstudie hatte die Major Depression bei älteren und alten Patienten ab 55 Jahren eine schlechte Prognose (35% Remission nach 1 Jahr, 68% nach 3 Jahren).
■ Die schlechte Prognose könnte mit nicht ausreichender Therapie in der Alltagspraxis zusammenhängen.
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änderte sich der Anteil der depressiven Patienten, die eine Therapie erhielten, kaum, so wurden nach drei Jahren nur 37 Prozent gegen ihre Depression behandelt, während von den genesenen Patienten 24 Prozent eine Therapie erhielten. Überweisungen zum Psychiater waren in dieser Studie die Ausnahme, das Management der Depression erfolgte ganz überwiegend in der Allgemeinpraxis.
Diskussion Die Prognose der Depression unter älteren Patienten ab 55 Jahren ist in der Allgemeinpraxis schlecht. Mit median 18 Monaten dauerte eine Major Depression lange, nach einem Jahr hatten sich rund ein Drittel, nach drei Jahren zwei Drittel von der depressiven Episode
erholt. Bei der Eingangsuntersuchung erhielten bloss 40 Prozent der Depressiven eine Behandlung, was noch unter dem aus einer anderen Erhebung bekannten Landesdurchschnitt von 45 Prozent liegt. Es liegt nahe zu vermuten, dass die schlechtere Prognose bei älteren depressiven Patienten zumindest teilweise mit einer weniger adäquaten Behandlung zusammenhängt. Die ungünstigen Prognoseprädiktoren wie besonders schwere depressive Indexepisode, familiäre Belastung und funktionelle Beeinträchtigung lassen sich in der Routinepraxis sehr einfach eruieren und sollten daher bei der Entscheidung über die Intensität der Behandlung berücksichtigt werden. Wichtig ist zudem die Beobachtung, dass sich mit einer
Erholung von der Depression auch die
funktionelle Beeinträchtigung wieder
bessert.
Die Autoren erwähnen die Einschrän-
kungen ihrer Beobachtungsstudie und
warnen vor kausalen Schlüssen. Sie
sehen aber ihre Ausgangshypothese,
dass eine Depression bei älteren Patien-
ten in der Allgemeinpraxis eine
schlechte Prognose hat, bestätigt. In
ihren Augen ist die allzu oft inadäquate
oder sogar gänzlich fehlende Therapie
eine Erklärungsmöglichkeit.
■
E. Licht-Strunk et al.: Outcome of depression in later life in primary care: longitudinal cohort study with three years’ follow-up. BMJ 2009; 338: a3079. DOI:10.1136/bmj.a3079.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Halid Bas