Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Demenzreport Schweiz: Hausarztbefragung zur Frühdiagnose
Hausärzte haben einen grossen Einfluss auf den Zeitpunkt der Demenzdiagnose. Schliesslich sind sie in der Regel die Ersten, an die sich ein Patient wendet, wenn er wegen nachlassender kognitiver Leistungsfähigkeit Sorgen hat. Auch Angehörige, denen auffällt, dass irgendetwas nicht stimmt, suchen häufig zunächst Rat in der Hausarztpraxis. Ob der Hausarzt dann aber wirklich nachhakt und dem Verdacht beispielsweise mit dem BrainCheck (1) auf den Grund geht, hängt im Wesentlichen von seiner Einstellung gegenüber der Frühdiagnose einer demenziellen Entwicklung ab. In der Literatur wird häufig ein diagnostisch-therapeutischer Nihilismus beklagt, weil viele Ärzte mit dem Argument, man könne sowieso nichts gegen Demenz tun, untätig blieben. Schweizer Fachleute wollten nun genauer wissen, wie es um die Frühdiagnose demenzieller Entwicklungen in den Hausarztpraxen hierzulande bestellt ist und haben dazu die 4460 im Berufsverband MFE Haus- und Kinderärzte Schweiz organisierten Hausärzte befragt.
Die Studie wurde durch das AlzheimerForum und das BAG im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie unterstützt und von den Instituten für Hausarztmedizin durchgeführt. Am 6. Basler Demenzforum stellten PD Dr. med. Klaus Bally und Dr. Stéphanie Giezendanner, Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, Resultate der Umfrage erstmals der Öffentlichkeit vor (2). Die Umfrage zeigt, weshalb die meisten Teilnehmer eine möglichst frühe Diagnose einer demenziellen Entwicklung befürworten: O 68 Prozent gaben an, die Frühdia-
gnose wegen der Beratung und der Betreuung von Patienten und Anhörigen und im Sinne einer Schadensminderung durchzuführen. O 22 Prozent nannten als Grund, dass Massnahmen ergriffen werden können, um den Krankheitsverlauf zu beeinflussen. O Nur 3 Prozent sprachen sich dagegen aus, weil die Frühdiagnose mangels therapeutischer Erfolgsaussichten nutzlos sei.
An der Umfrage beteiligten sich 21 Prozent aller Hausärzte, denen der Fragebogen zugeschickt wurde. Wie bei allen Umfragen dieser Art antworteten vermutlich eher diejenigen, denen das Thema ohnehin am Herzen liegt. Trotzdem wird in dem Resultat eine wichtige Botschaft für die Praxis sichtbar: Die frühe Diagnose einer demenziellen Entwicklung kann im Sinne einer Schadensbegrenzung und vorausschauender Planung für alle Beteiligten nützlich sein. Das häufigste Stadium, in dem die Diagnose von den Umfrageteilnehmern gestellt wurde, war die leichte Demenz (ca. 60%). Zirka ein Drittel der Fälle wurden früher, im Stadium des «mild cognitive impairment», entdeckt, der Rest erst in fortgeschrittenen Demenzstadien.
RBOO
1. Neues Programm zum Schutz vor Demenz. Risikodiagnose mit BrainCheck, Prävention mit BrainCoach. Ars Medici 2017; 17: 732–734.
2. Präsentation am 6. Basler Demenzforum, 16. November 2017.
Ernährung
Salzsensitiver Bluthochdruck wegen Darmflora
Zu viel Kochsalz in der Nahrung kann bei salzsensitiven Personen den Bluthochdruck fördern. Im Tierversuch konnten Forscher am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin nun zeigen, dass Laktobazillen die schädliche Salzwirkung ausgleichen können. Man hatte zunächst herausgefunden, dass zu viel Salz die Laktobazillen im Darm der Tiere dezimierte. Gleichzeitig stiegen Blutdruck und die Zahl der Th17Helferzellen. Diese Immunzellen stehen mit Bluthochdruck und Autoimmunerkrankungen in Verbindung. Erhielten die Tiere jedoch probiotische Laktobazillen zusätzlich zur salzreichen Nahrung, ging die Zahl der Th17-Helferzellen wieder zurück, und der Blutdruck sank.
Das Mikrobiom ist demnach ein wichtiger Faktor für durch Salz beeinflusste Erkrankungen. In einer Pilotstudie mit zwölf gesunden Männern ging man der Frage nach, ob die ausgleichende Wirkung der Laktobazillen auch bei Menschen nachweisbar ist. Die Probanden nahmen zwei Wochen lang zusätzlich 6 Gramm Kochsalz täglich zu sich. Da sie ihre normalen Essgewohnheiten beibehielten, verdoppelten sie damit in etwa ihre tägliche Salzzufuhr. Auch hier reagierten die Darmbakterien der Gattung Lactobacillus empfindlich. Die meisten waren nach zwei Wochen erhöhter Salzaufnahme nicht mehr nachweisbar. Gleichzeitig ermittelten die Wissenschaftler, dass der Blutdruck und die Zahl der autoimmunologisch be-
deutsamen Th17-Helferzellen im Blut
anstieg. Ob und welche Probiotika zur
salzreichen Kost Blutdruckanstieg und
immunologische Wirkung ausgleichen
könnten, weiss man aber noch nicht.
Geplant sei nun eine randomisierte,
doppelblinde Hypertoniestudie mit einer
grösseren Teilnehmerzahl an Männern
und Frauen, heisst es in einer Presse-
mitteilung des MDC. Erst danach könne
man über eine therapeutische Anwen-
dung von Probiotika gegen salzbedingte
Hypertonie oder autoimmune Erkran-
kungen nachdenken.
MDC/redO
Wilck N et al.: Salt-responsive gut commensal modulates TH17 axis and disease. Nature 2017, published online 15 Nov 2017.
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Pharmakologie
Compliance: Vertrauen ist gut, ist Kontrolle besser?
In den USA wurde soeben die erste Pille mit einem Sensor zugelassen, der – sobald er durch den Magensaft freigelegt wurde – den Vollzug der Einnahme per App an den Arzt meldet. Der winzige Sensor, nicht grösser als ein Sandkorn, erhielt bereits vor fünf Jahren den Segen der FDA. Eingebaut in eine Aripiprazoltablette, ist nun das erste Medikament mit der neuen Technologie verfügbar; es wird unter anderem bei Schizophrenie oder bipolarer Störung eingesetzt.
Für Kritiker wird damit ein orwellsches Szena-
rio Realität, das die Würde des Patienten ver-
letze, während Befürworter die Entwicklung
als willkommene Hilfe begrüssen, zumal Pa-
tienten, die auf eine regelmässige Medika-
menteneinnahme angewiesen seien, für die
Kontrolle dankbar seien.
Tatsache ist, dass es mit der Compliance bei
regelmässiger Medikamenteneinnahme im
Allgemeinen nicht allzu gut aussieht: Man
schätzt, dass mindestens die Hälfte der Pa-
tienten früher oder später nachlässig wird. Ob
dies jedoch eine totale Kontrolle rechtfertigt
oder das Recht des Menschen auf Selbstbe-
stimmung nicht doch schwerer wiegt, ist eine
offene Frage.
RBOO
Pressemeldung pte 14. November 2017.
Kardiologie
Höheres Risiko für Frauen im ersten Jahr nach dem Herzinfarkt
Frauen haben im ersten Jahr nach einem Herzinfarkt ein höheres Mortalitätsrisiko als Männer mit vergleichbarer Krankengeschichte, das ist das Ergebnis einer Müncher Studie mit 4100 Patienten. Auf den ersten Blick ist das höhere Mortalitätsrisiko der Frauen nach einem Herzinfarkt nicht erstaunlich. Schliesslich sind Frauen zum Zeitpunkt des Infarkts im Mittel zehn Jahre älter als Männer, und sie haben häufiger Begleiterkrankungen wie Diabetes. Zudem werden Infarkte bei Frauen seltener durch begrenzte Gefässverschlüsse ausgelöst, die vergleichsweise leicht wieder erweitert werden können. Stattdessen sind bei ihnen die Koronargefässe häufiger diffus befallen; die Reperfusion mittels Ballondilatation und Stent ist schwieriger oder gar nicht möglich. Doch auch wenn man die Faktoren Alter, Begleiterkrankungen und Art der Behandlung statistisch herausrechnet, bleibt es bei der erhöhten Post-Myokardinfarkt-Mortalität für Frauen im Vergleich zu den Männern – allerdings nur für das erste Jahr nach dem Infarkt.
Als Ursache für dieses Phänomen vermuten
die Münchner Forscher, dass gesellschaft-
liche und psychische Gründe eine wichtige
Rolle spielen. So sollten Frauen wieder
schneller «funktionieren», und sie sind ge-
fährdeter für depressive Erkrankungen, was
das Mortalitätsrisiko ebenfalls erhöhen
könnte.
In den beiden Studien, von denen die Daten für
die aktuelle Untersuchung stammen, wurden
psychosoziale Faktoren allerdings nicht er-
fasst. Zukünftige Studien müssten zeigen, ob
diese der Hauptgrund für die festgestellten
Unterschiede seien oder ob es andere, mögli-
cherweise biologische Gründe gebe. In jedem
Fall sei es aber wichtig, dass sich die behan-
delnden Spezialisten und der Hausarzt um die
betroffenen Frauen besonders intensiv küm-
merten, heisst es in einer Pressemitteilung
der TU-München.
TUM/redO
Ubrich R et al.: Sex differences in long-term mortality among acute myocardial infarction patients: Results from the ISAR-RISK and ART studies. Plos One 2017; 12(10): e0186783 und Pressemitteilung der TU-München vom 25. Oktober 2017.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Geklonte Primaten
US-amerikanische Forscher verkünden am 14. November 2007 in der Zeitschrift «Nature», dass sie 20 Embryonen aus den Hautzellen eines erwachsenen Resusaffenmännchens geklont hätten. Aus den Embryonen habe man zwei Stammzelllinien etabliert und in der Zellkultur Herzund Nervenzellen erzeugt. Dieses Mal scheint die Publikation der Wahrheit zu entsprechen – anders als drei Jahre zuvor, als eine andere Forschergruppe in «Science» fälschlicherweise behauptet hatte, menschliche Klone erzeugt zu haben.
Vor 50 Jahren
Chromosomenschäden durch LSD
In vitro verursacht LSD Chromosomenschäden in Leukozytenkulturen. LSD wird auch therapeutisch eingesetzt, so beispielsweise bei Schizophrenie. Ähnliche Chromosomenschäden zeigen sich auch bei einem Patienten, der über vier Jahre lang LSD nahm. LSD führt demnach nicht nur zu vorübergehenden Rauschzuständen und einer mitunter länger andauernden Persönlichkeitsveränderung, sondern auch zu genetischen Schäden.
Vor 100 Jahren
Babysauger aus Elfenbein
In ARS MEDICI werden weiche Elfenbeinsauger für Babyflaschen als Ersatz für Gummisauger empfohlen. Die Sauger sind aus einem Stück Elfenbein gedreht und werden auf ein Saugröhrchen aus Knochen geschraubt, das den Korken in der Flasche durchbohrt. Korken und Saugröhrchen werden vor jedem Gebrauch ausgekocht. Den Sauger kann man nicht auskochen, deshalb wird er in Bohrwasser (3%) aufbewahrt und sei, richtig behandelt, unbegrenzt haltbar.
RBO
ARS MEDICI 23 I 2017