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FORTBILDUNG
Serie: E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen
Das elektronische Patientendossier (Teil 2): Eine grosse Herausforderung für Spitäler
Per 15. April 2017 traten die Verordnungen zum Bundesge-
setz über das elektronische Patientendossier (EPDG) vom
15. Juni 2015 in Kraft. Spätestens nach drei Jahren Über-
gangsfrist müssen sich die Spitäler einer Gemeinschaft
oder einer Stammgemeinschaft nach EPDG anschliessen,
um dem Gesetz gerecht zu werden. Was das für ein Spital
bedeutet, wird im Folgenden am Beispiel des Universitäts-
Spitals Zürich aufgezeigt.
Stefan Wittenberg
Zur Realisierung des elektronischen Patientendossiers bedarf es «funktionierender» Gemeinschaften und Stammgemeinschaften (siehe Kasten 1). Noch aber befinden sich diese nicht im produktiven Betrieb. Das liegt vor allem daran, dass sie gemäss EPDG zertifiziert werden müssen. Da aufgrund der Komplexität die Zertifizierungsbedingungen zurzeit jedoch nur teilweise feststehen, können die Anbieter von Gemeinschaften und Stammgemeinschaften ihr Produkt derzeit noch nicht zertifizieren lassen.
Elektronisches Patientendossier versus Mehrwertdienste Deshalb haben diese Anbieter ihre Umsetzungstätigkeiten auf das Business-to-Business-(B2B-)Geschäft fokussiert. Dieses (auch Mehrwert- und Zusatzdienste genannt) ist kein Teil des EPDG und untersteht somit nicht der gesetzlichen Regelung. Basierend auf der Umsetzungsthematik des EPDG ist in der digitalen Gesundheitswelt ein Aktivismus entstanden, der nun als Katalysator für lange diskutierte Themen im B2B-Bereich dient. Darunter fallen beispielsweise Zusatzdienste wie eRadiologie, eLabor/ePathologie, eMedikation oder auch die eAnmeldung einer Überweisung.
Rolle. Zudem sind sie erstens auch für das USZ freiwillig und unterliegen zweitens keinem Termindruck – als Folge dessen kann das UniversitätsSpital Zürich die Kosten- und Umsetzungsplanung dieser Zusatzdienste selbst lenken. Somit stellte sich für das UniversitätsSpital Zürich die Frage, ob wir uns erst auf die Umsetzung der Pflicht, also das Erfüllen des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier, fokussieren, oder ebenso wie die axsana AG auf die Mehrwertdienste konzentrieren sollen? Ganz klares Ziel des UniversitätsSpitals Zürich ist es, die Frist bezüglich des EPDG per April 2020 einzuhalten. Für die technische Umsetzung des elektronischen Patientendossiers und seine Anbindung an die XAD-Plattform (siehe Kasten 2) rechnen wir mit rund einem Jahr. Deshalb hat das USZ sich entschlossen, das elektronische Patientendossier (ePD) im Jahr 2019 in Angriff zu nehmen und in den Jahren 2017 und 2018 die für das USZ interessanten Mehrwertdienste umzusetzen.
Potenzial der Mehrwertdienste
In erster Linie sieht das USZ in den Mehrwertdiensten sehr grosses Potenzial, weil diese einen echten Nutzen stiften und die Zusammenarbeit unter den Leistungserbringern durch die B2B-Dienste vereinfacht wird. Die Leistungserbringer wachsen also mittels der XAD-Plattform zusammen, was im Endeffekt dem Patienten reibungslosere Prozesse garantiert. Die Überweisung von einem Leistungserbringer zum anderen läuft heute komplett unharmonisch ab, und die Koordination ist noch sehr rudimentär. Die einen verwenden Faxdienste, andere schicken eine (gesicherte) E-Mail, und wieder andere melden eine Überweisung per Telefon. Alle diese Kommunikationskanäle sind unstrukturiert und können deshalb nicht automatisiert in das Praxis- oder Klinikinformationssystem des anderen Leistungserbringers übernommen werden. Strukturierte Daten werden den Ablauf um einiges vereinfachen und schneller machen. Oft gehen in den unstrukturierten Kommunikationskanälen wichtige Informationen unter.
Hohe Umsetzungskosten
beeinflussen die Entscheidung
Die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers hat für ein Spital hohe Investitionskosten zur Folge. Es bedarf beispielsweise der Anpassung bestehender IT-Infrastrukturen und die Umstellung interner Prozesse. Dazu kommen Aufwände bezüglich der Einhaltung der Vorgaben des Bundesgesetzes, aber auch des Datenschutzes. Im Vergleich dazu spielen die Kosten für die Mehrwertdienste eine untergeordnete
Harmonisierung umso einfacher,
je mehr Teilnehmer
Dem UniversitätsSpital Zürich ist die Vereinfachung der Anmeldungen jeglicher Art, sei dies für einen ambulanten Untersuch oder zu einem stationären Aufenthalt, ein grosses Anliegen. Der Zuweiser soll die Anmeldung am USZ schnell, sicher und strukturiert durchführen können. Allerdings bedingt dies, dass nicht nur das USZ sich der XAD anschliesst, sondern auch die niedergelassenen Ärzte. Und gerade hier hat
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Kasten 1:
Was bieten Gemeinschaften und Stammgemeinschaften an?
Gemäss EPDG versteht man unter «Gemeinschaften» und «Stammgemeinschaften» dezentrale Umsetzungsprojekte mit dem Zweck, eine «Affinity Domain» zu bilden. Diese werden von Gesundheitsfachpersonen und ihren Einrichtungen getragen, also von den regionalen Spitälern, Heimen, Ärzten, Apotheken, Spitex-Diensten oder Therapeuten. Die «Gemeinschaften» beschränken ihre Rolle auf den Datenaustausch. Die «Stammgemeinschaften» übernehmen darüber hinaus alle Aufgaben, die für eine Teilnahme der Patientinnen und Patienten notwendig sind. Dazu gehören die Information der Patientinnen und Patienten, das Eröffnen eines ePD oder der Betrieb eines Zugangsportals. Zum aktuellen Zeitpunkt ist keiner der Anbieter im produktiven Betrieb. Voraussetzung dafür wäre eine Zertifizierung, die entsprechenden Kriterien sind jedoch noch nicht endgültig definiert.
der Deutschschweiz oder allenfalls in der gesamten Schweiz stattfinden kann. Derzeit ist ein «Roaming» zwischen den Plattformen fur̈ das elektronische Patientendossier vorgesehen, jedoch noch nicht fur̈ die Mehrwertdienste. Deshalb ist es aus unserer Sicht sinnvoll, sich einer ub̈ erregional agierenden Gemeinschaft/Stammgemeinschaft anzuschliessen, weil man dadurch die Mehrwertdienste innerhalb seines eigenen Ökosystems verwenden kann. Die XAD verfolgt dieses ub̈ erregionale Ziel. Neben der Überweisung, also einer eAnmeldung, stehen für das USZ auch folgende B2B-Dienste an prominenter Stelle: Berichte-, Bilder- und Befundübermittlung. Vom UniversitätsSpital Zürich erstellte Dokumente sollen via XAD schnell und einfach dem Zuweiser und auch dem Nachsorger zur Verfügung gestellt werden können. Zusätzlich sollen in Zukunft dem Zuweiser Statusinformationen über den Aufenthalt seines Patienten am USZ übermittelt werden, damit der Zuweiser immer nachvollziehen kann, wie es dem Patienten geht und welcher gerade der aktuelle Behandlungsschritt ist.
Kasten 2:
Auswahl der Stammgemeinschaft
Das USZ hat entschieden, sich der Stammgemeinschaft «Cross Affinity Domain (XAD)» der Firma axsana AG anzuschliessen. Erstens will diese überregional agieren, was für das UniversitätsSpital Zürich eine Grundvoraussetzung darstellt, und zweitens ist die Firma axsana AG aus der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich entstanden. Die eine Hälfte des Aktienkapitals der axsana AG ist im Besitz der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich und die andere Hälfte gehört den Leistungserbringerverbänden wie beispielsweise der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ) oder dem Verband Zürcher Krankenhäuser (VZK). Aber auch die Verbände der Apotheker, der Spitex und der Pflegeheime sind Mitinhaber. Durch diese Konstellation kann das UniversitätsSpital, gemeinsam mit den Vertretern der anderen Leistungserbringer, die axsana AG positiv beeinflussen.
der Gesetzgeber aus Spitalsicht ein sehr einseitiges Bundesgesetz zum elektronischen Patientendossier erlassen. Spitäler und andere Einrichtungen, die stationäre Dienstleistungen im Gesundheitswesen anbieten, werden gezwungen, sich innerhalb einer Übergangsfrist einer «Affinity Domain» anzuschliessen, einer Gruppe von Gesundheitsfachpersonen, die nach bestimmten Regeln zusammenarbeiten und sich zum Datenaustausch eine technische Infrastruktur teilen. Die Teilnahme der ambulant behandelnden Leistungserbringer aber bleibt freiwillig. Umso wichtiger ist es, dass die Stammgemeinschaftsbetreiber (wie bspw. die Firma axsana AG mit der Affinity Domain namens XAD) die ambulant behandelnden Leistungserbringer mittels nutzenbringenden Mehrwertdiensten dazu motivieren, sich einer Affinity Domain anzuschliessen. Unserer Meinung nach muss alles unternommen werden, damit sich so viele Leistungserbringer wie möglich der XAD oder einer anderen Gemeinschaft anschliessen. So kann sichergestellt werden, dass eine Harmonisierung im Gesundheitswesen in der Region Zürich oder überregional in
Verpflichtung der Leistungserbringer
Nun könnte man interpretieren, dass der Anschluss eines Leistungserbringers an die XAD vor allem die Mehrwertdienste fördert, aber natürlich gilt dasselbe auch für das elektronische Patientendossier. Damit das ePD dem Patienten einen Nutzen stiftet, muss es ebenso durch die grösstmögliche Zahl der Leistungserbringer bedient werden. Es versteht sich von selbst, dass der Patient ein vollständiges Bild seiner Krankenakte wünscht und deshalb auch diejenigen Leistungserbringer ihren Beitrag ans ePD leisten müssen, die durch das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier nicht dazu verpflichtet sind.
Der Schweizer Bürger soll ein elektronisches
Patientendossier besitzen
Allerdings darf es nicht sein, dass wir Leistungserbringer alle unseren Teil zum ePD beisteuern, aber die Schweizer Bürger keine elektronischen Patientendossiers eröffnen oder anschliessend nicht gebrauchen. Dann hätten wir Leistungserbringer alle viel Geld zur technischen Umsetzung ausgegeben für etwas, das nicht verwendet wird. Deshalb sehen wir es als Aufgabe des Bundes, der Kantone und auch der Stammgemeinschaftsbetreiber, breitgestreute Werbung für das elektronische Patientendossier zu machen. Leider sind derzeit keine Marketingmassnahmen im Gange, welche die Bevölkerung zum Thema ePD sensibilisieren. Daraus schliesst das USZ, dass auch die Leistungserbringer selbst für den Erfolg des elektronischen Patientendossiers einen grossen Teil an Marketingaktionen durchführen werden müssen. Jedoch kann diese Werbung für das ePD nicht nur durch die Spitäler und Pflegeheime gestemmt werden. Auch beim Haus- oder Spezialarzt, in der Apotheke und bei der Spitex muss die Information über das ePD vorliegen und den Bewohnern der Schweiz niederschwellig zur Verfügung stehen.
Weitere nützliche Anwendungen für den Patienten
Um das elektronische Patientendossier über die Ablage von relevanten Dokumenten in der Krankenakte hinaus zu nutzen, will das USZ zum Beispiel auch ein Online-Checkin anbieten. Dieses soll den Patienten die Möglichkeit geben,
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administrative Fragen zum Spitaleintritt bereits zu Hause im XAD-Patientenportal online zu beantworten. Weiterführend sollen Terminbuchungen, beispielsweise für eine ambulante Untersuchung, im Patientenportal durch den Patienten selbst verwaltet werden können. Möchte ein Patient einen Termin verschieben, weil er den vorgesehenen Termin am USZ nicht wahrnehmen kann, wird er die Änderung zukünftig direkt im Patientenportal ausführen können. Neben diesen gibt es aus unserer Sicht noch viele weitere Angebote, die dem Patienten nützen könnten, wie zum Beispiel ein Impfdossier oder die eMedikation. Eine weitere Option könnte eine direkte Verbindung zwischen dem ePD und medizinischen Sensoren sein, welche ihre Daten direkt ins elektronische Patientendossier schreiben und dort vom Leistungserbringer eingesehen werden könnten. Chronische Krankheiten und Langzeitpatienten liessen sich damit aus der Ferne überwachen, und die Einträge der Sensoren ermöglichten ein umfassendes Bild über den Verlauf im elektronischen Patientendossier.
Was bringt die Zukunft?
In meiner Vision wird das elektronische Patientendossier in der Zukunft das Potenzial besitzen, die aktuell eingesetzten Primärsysteme, also die Praxis- und Klinikinformationssysteme, abzulösen. Das würde die Kosten des Betriebs der vielen Informatiksysteme massiv minimieren. Wenn jeder Leistungserbringer und jeder Patient Zugang zu nur noch einer Krankenakte pro Patient hat, könnten Redundanzen vermieden werden. Das käme dem Gesundheitssystem zugute und könnte schliesslich darin enden, dass die Kosten im Gesundheitswesen für alle sinken. Neben dem Abbau von Redundanzen könnten zusätzlich Prozesse vereinheitlicht werden, was sich ebenso auf die Kostenstruktur im Gesundheitswesen auswirken würde. Bis wir jedoch so weit sind, dass das ePD funktioniert und meine Vision eines Tages Realität wird, müssen noch viele andere Fragen und Probleme gelöst werden. Wir, in der Informatik des USZ, beschäftigen uns jeden Tag damit, diese Fragen zu klären, und kommen der Zukunft Schritt für Schritt näher.
Tragen auch Sie zum Gelingen bei
Ich bin der Meinung, dass das elektronische Patientendossier
ein sehr grosses Potenzial hat. Aus der Auseinandersetzung
mit dem Bundesgesetz über das elektronische Patientendos-
sier in Bezug zur Digitalisierung des Gesundheitswesens sind
viele gute Ideen hervorgegangen, welche nun als Zusatz-
dienste, gemeinsam mit dem ePD, umgesetzt werden wollen.
Das bedingt jedoch die Zusammenarbeit und den Willen aller
Leistungserbringer, ihren Teil zum Gelingen des elektroni-
schen Patientendossiers beizusteuern. Dazu gehört auch das
Marketing in der Bevölkerung. Ich lade deshalb auch Sie hier-
mit herzlich ein, das elektronische Patientendossier der
Schweizer Bevölkerung näherzubringen, denn durch jeden
einzelnen Bürger wird dem elektronischen Patientendossier
Leben eingehaucht
Nur gemeinsam, mit Beteiligung aller, wird das elektronische
Patientendossier zum Erfolg kommen!
O
Stefan Wittenberg Portfoliomanager eHealth UniversitätsSpital Zürich, Direktion ICT 8091 Zürich, Rämistrasse 100 E-Mail: stefan.wittenberg@usz.ch
Interessenkonflikte: keine
Mehr zum Thema online im Blog des UniversitätsSpitals Zürich
Begleitend zur Fortbildungsserie «E-Health: Digitalisierung in der Medizin», die in Kooperation mit der Abteilung für Klinische Telemedizin des Universitätsspitals Zürich entsteht, finden Sie im Blog des USZ ergänzende Informationen und Meinungen zum Thema unter: www.blog.usz.ch
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