Transkript
SCHWERPUNKT
Jeder Fehler zählt
CIRS für Praktiker
CIRS steht für «critical incident reporting system» und meint ein System, in welchem sicherheitsrelevante Vorfälle und deren Ursachen erfasst werden. Ziel aller CIRS ist es, künftig ähnliche Fehler zu vermeiden. Während unterschiedlich ausgestaltete CIRS in den Spitälern bereits weit verbreitet sind, gibt es bisher nur wenige Fehlerberichtsdatenbanken für die ärztliche Praxis.
D as Erfassen von Fehlern und kritischen, den Patienten gefährdenden Ereignissen in einem CIRS gehört in vielen Schweizer Spitälern zum Alltag. Allein am CIRRNET,
dem von «Patientensicherheit Schweiz» getragenen
Netzwerk lokaler Fehlermeldesysteme der Schweiz,
beteiligen sich fast 60 Spitäler, indem sie ihre Fälle
anonymisiert auch auf der CIRRNET-Plattform verfüg-
bar machen.
Für Praktiker sind die CIRS-Optio-
nen hingegen noch überschaubar.
Im Rahmen einer prospektiven Stu-
die konnten 180 Hausärzte und Päd-
iater im Sentinella-Netzwerk eine
Zeit lang Fehlermeldungen im Sinne
eines CIRS eintragen. Die Resultate
dieser Studie wurden kürzlich publi-
ziert*: Statistisch betrachtet kam es
Abbildung 1: www.forum-hausarztmedizin.ch
zu 2,07 Fällen von Medikationsfehlern pro Jahr für jeden Hausarzt und
0,15 Fällen pro Pädiater. Hochge-
rechnet auf 100 000 Patienten-Arzt-
Kontakte entsprach das 46,5 Fällen
in der hausärztlichen und 2,8 Fällen
in der pädiatrischen Praxis. Derzeit
werden im Sentinella-Netzwerk
keine Meldungen medizinischer
Fehler mehr erfasst. Dies geschieht
Abbildung 2: www.jeder-fehler-zaehlt.de
allenfalls als Nebeneffekt über das
Swissmedic-System ELVIS, sofern
solche Fehler zu unerwünschten Arzneimittelwirkun-
gen führen.
www.forum-hausarztmedizin.ch
Ein CIRS ausdrücklich für Haus- und Kinderärzte bestand bis zum Frühjahr 2017 beim Kollegium für Hausarztmedizin (KHM). Dieses CIRS wurde jedoch wegen mangelnder Nutzung eingestellt. In der Startphase befindet sich nun ein neues CIRS-Meldesystem unter www.forum-hausarztmedizin.ch, einem seit langem bestehenden, moderierten Online-Forum mit einem breiten Themenspektrum (Abbildung 1). Es gibt dort bereits auch ein moderiertes CIRS-Forum, das sich mit Fehlermeldungen befasst. Die von Haus- und
Kinderärzten gemeldeten Fälle werden anonymisiert aufgeschaltet und diskutiert.
www.jeder-fehler-zaehlt.de
Bei allen bisher genannten CIRS handelt es sich um geschlossene Systeme, das heisst, sowohl für das Melden als auch für das Lesen und Diskutieren von Fehlerfällen müssen sich die Nutzer registrieren. Einen anderen Weg geht das «Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen» am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität, Frankfurt am Main: www.jeder-fehler-zaehlt.de (Abbildung 2). Hier können Fehlerberichte völlig anonym gemeldet werden. Ein Verschlüsselungssystem stellt sicher, dass nicht verfolgt werden kann, woher der Bericht stammt (so besteht beispielsweise keine Möglichkeit, die IPAdresse des Einreichers zu ermitteln). Mitarbeiter des Instituts prüfen den Bericht und geben ihn danach für die Veröffentlichung frei. Das Frankfurter Team achtet insbesondere auch darauf, die gemeldeten Fälle bei Bedarf noch stärker zu anonymisieren, sodass keinerlei Rückschlüsse gezogen werden, um wen es sich handeln und welche Praxis diesen Fall gemeldet haben könnte. Alle Fälle stehen danach jedem Internetnutzer ohne Registrierungshürden zur Lektüre offen. Kommentare sind möglich und werden vom Team der Webseite moderiert. Darüber hinaus werden besonders lehrreiche Fälle als «Fall des Monats» präsentiert sowie Gastkommentare von Spezialisten eingeholt und ebenfalls frei zugänglich gemacht. Bewusst richtet man sich mit jeder-fehler-zaehlt.de nicht nur an die Ärzte, sondern auch an MPA und andere Praxismitarbeiter. Auch Patienten gewährt man freien Zugriff, weil ein offener und offensiver Umgang mit Fehlern das gegenseitige Verständnis in der Regel eher fördere als behindere. Seit Beginn des Projekts 2004 ist die Datenbank von jeder-fehler-zaehlt.de auf zirka 650 Fälle angewachsen, in denen recherchiert werden kann.
Renate Bonifer
* Gnädinger M et al.: Medication incidents in primary care medicine: a prospective study in the Swiss Sentinel Surveillance Network (Sentinella). BMJ Open 2017; 7: e013658. doi:10.1136/bmjopen-2016-013658
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