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KHM
Diabetesreduktion durch Magenbypass erreichbar
Nach Operation ist der Antrieb zum Essen stark eingeschränkt
Foto: kd
Die dauerhafte Reduktion des Körpergewichts bei adipösen Menschen ist durch eine konservative Behandlung meist zum Scheitern verurteilt. Am KHM-Kongress erklärte der Chirurg Dr. Martin Sykora vom Kantonsspital Nidwalden, warum eine Magenbypass-Operation für viele Betroffene eine echte Chance ist.
Martin Sykora
Mit Ernährungsberatungen, Lifestyleprogrammen, Verhaltenstherapien oder kalorienreduzierenden Diäten ist es tatsächlich häufig möglich, zu einer spürbaren Gewichtsabnahme zu kommen. Das Problem dabei: Nur 4 bis 5 Prozent der Patienten könnten das tiefere Gewicht auf Dauer halten, dann stelle sich bei den meisten der berüchtigte Jo-Jo-Effekt ein, erklärte Dr. Martin Sykora (1). Handelt es sich bei den Patienten um übergewichtige Kinder, sind konservative Therapien nicht selten erfolgreich. Allerdings sollte so früh wie möglich reagiert werden, denn je älter ein übergewichtiges Kind ist, desto schwieriger wird es, zu einer nachhaltigen BMI-Veränderung zu kommen. Liegt der BMI bei Kindern und Jugendlichen über der 95. Perzentile, werden 65 Prozent davon als Erwachsene einen BMI von mehr als 35 aufweisen (2). Ist der BMI über der 99. Perzentile, hätten solche Kinder später sogar zu 100 Prozent einen BMI von mehr als 35 (Durchschnitt 43) zu erwarten, meinte Sykora. Dabei stünden für eine medikamentöse Behandlung nur wenige Substanzen zur Verfügung. Eine davon ist Orlistat. Gemäss einer älteren Untersuchung konnte durch die Behandlung mit Orlistat plus Änderung der Lebensgewohnheiten nach knapp vier Jahren eine Gewichtsreduktion von 6,9 kg im Vergleich zum Ausgangswert erreicht werden (Plazebo plus Änderung Lebensgewohnheiten: 4,1 kg, p < 0,001) (3). Werde dieses Medikament jedoch wieder abgesetzt, gehe das Gewicht wieder hoch, so der Chirurg. Genetische Prädisposition beim Essverhalten Ein gängiges Urteil lautet: Übergewicht ist selbstverschuldet. Ist das wirklich so? In einer schwedischen Studie wurden zur Adoption freigegebene eineiige Zwillinge Tabelle: Verbesserung verschiedener Parameter durch Magenbypass-Operation (9) Anzahl Patienten (n) Koronare Herzkrankheit Typ-2-Diabetes mellitus Krebs Unfall/Suizid Gesamt Gastric Bypass 9949 2,6 0,4 5,5 11,1 37,6 nicht operiert 9628 5,9 3,4 13,3 6,4 57,1 Reduktion –56% –92% –60% +58% –40% untersucht. Sie wuchsen in unterschiedlichen Familien und damit auch in unterschiedlichen Milieus auf. Es zeigte sich, dass sich die beiden Zwillinge hinsichtlich ihres Körpergewichts sehr ähnelten – und zwar unabhängig von den Adoptiveltern oder dem sozialen Umfeld. Tatsächlich kennt man mittlerweile genetische und epigenetische Faktoren (FTO-Gen), die das Essverhalten beeinflussen (4). Sind Hochrisiko-Allele des FTO-Gens vorhanden, besteht für folgende Regulationsparameter ein erhöhtes BMI-Risiko: 1. Essen ohne Hunger, 2. kalorische Kompensation (weniger essen, nachdem viel gegessen wurde) und 3. Food-Responsiveness (Neigung zu essen bei alimentären Reizen). Hungergefühl verschwunden Bei stark adipösen Patienten wächst das gesundheitliches Risiko drastisch. Wer mit 20 Jahren unter einem übergewichtsassoziierten Typ-2-Diabetes leidet, hat eine um 15 Jahre geringere Lebenserwartung (5). Da Diäten in den seltensten Fällen einen nachhaltigen Erfolg zeigen, werden immer häufiger Operationen am Magen-DarmTrakt in Betracht gezogen. Sykora stellte eine kleine Statistik des Kantonsspitals Nidwalden vor: Die dort operierten jungen Menschen (Durchschnittsalter: 17 Jahre, n = 10) wiesen ein durchschnittliches Gewicht von 127 kg und einen BMI von 44 auf. «Nachdem wir ihnen einen Magenbypass angelegt hatten, wogen sie nach zwei Jahren im Schnitt noch knapp über 80 kg. Das sind jetzt andere Menschen.» Bei einem Magenbypass wird der Dünndarm hochgezogen und mit einem kleinen Magenanteil verbunden. Der Restmagen und der Zwölffingerdarm werden durch eine zweite Naht weiter unten an den Dünndarm angeschlossen. Nach der Operation sind die Patienten gezwungen, deutlich langsamer zu essen. Auch der Spiegel des «Hungerhormons» Ghrelin ist nach der Operation signifikant niedriger und jener des Sättigungshormons GLP1 höher (6). Der Antrieb zu essen, ist stark eingeschränkt, das Sättigungsgefühl stellt sich viel schneller ein. Das hat Konsequenzen: Unabhängig von der Gewichtsreduktion verbessert sich der Diabetes allein durch die hormonelle Veränderung. «Wir haben regelmässig Diabetespatienten, die zwei Jahre nach der Operation auf Insulin und andere Medikamente komplett verzichten können», berichtete Sykora. Allerdings sei das Zurückdrängen des Diabetes nur möglich, wenn die Be- 14 • CongressSelection Hausarztmedizin • September 2017 troffenen rechtzeitig kämen (7). «Wenn ein Pankreas ausgebrannt ist, haben wir natürlich nur noch eingeschränkte Möglichkeiten.» Zudem sind eine Verbesserung vieler weiterer kardiometabolischer Parameter und geringere Krebsraten festzustellen (Tabelle). Mittlerweile berücksichtigen mehrere internationale Fachgesellschaften diese Ergebnisse (allerdings noch nicht die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie) und empfehlen bei einem Scheitern der konservativen Therapie ab einem bestimmten BMI eine Magenoperation. Nichts tun ist gefährlicher Immer wieder wird das hohe Operationsrisiko bei solchen Eingriffen warnend betont. Tatsächlich beträgt aber die mittlere Operationsdauer für einen Magenbypass in der Schweiz 111 Minuten, in spezialisierten Zentren sogar deutlich weniger. Die Infektionsrate liegt in der Schweiz bei 4,5 Prozent. Aufgrund internationaler Untersuchungen wurde der «Gefährlichkeitslevel» solcher Operationen mit demjenigen von Gallen- oder Blasenoperationen gleichgesetzt. So liegt die Mortalität beim «Roux-en-Y-Gastric Bypass» (Abbildung) bei 0,3 Prozent (zum Vergleich: Appendektomie 0,5%, Kolektomie 1,7%) (8). Sehr wichtig sei jedoch in Zusammenarbeit mit den Hausärzten die postoperative Begleitung der Patienten, dies hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Substitution von Mangelerscheinungen oder einer psychologischen Unterstützung. Das Fazit des Chirurgen: «Beim Abwägen zwischen Operationsrisiko und der möglichen Verminderung der Komorbiditäten ist es sicher gefährlicher, nicht zu operieren» (9). Klaus Duffner Quelle: «Therapie des Metabolischen Syndroms». 19. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 22./23. Juni 2017 in Luzern. Referenzen: 1. Wadden TA et al.: Treatment of obesity by moderate and severe caloric restriction. Results of clinical research trials. Ann Intern Med 1993; 119: 888–893. Abbildung: Roux-en-Y-Magenbypass (Quelle: wikipedia.com) 2. Freedmann DS et al.: Cardiovascular risk factors and excess adiposity among overweight children and adolescents: the Bogalusa Heart Study. J Pediatr 2007; 150: 12–17. 3. Torgersen JS et al.: XENical in the prevention of diabetes in obese subjects (XENDOS) study: a randomized study of orlistat as an adjunct to lifestyle changes for the prevention of type 2 diabetes in obese patients. Diabetes Care 2004; 27: 155–161. 4. Speliotes EK et al.: Association analyses of 249 796 individuals reveal 18 new loci associated with body mass index. Nat Genet 2010; 42: 937–948. 5. Rhodes ET et al.: Estimated morbidity and mortality in adolescents and young adults diagnosed with Type 2 diabetes mellitus. Diabetes Med 2012; 29: 453–463. 6. Peterli R et al.: Improvement in glucose metabolism after bariatric surgery: comparison of laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass and laparoscopic sleeve gastrectomy: a prospective randomized trial. Ann Surg 2009; 250: 234–241. 7. Schauer PR et al.: Clinical outcomes of metabolic surgery: efficacy of glycemic control, weight loss, remission of disease. Diabetes Care 2016; 39: 902–911. 8. Aminian A et al.: How safe is metabolic/diabetes surgery? Diab Obes Metab 2015; 17: 198–201. 9. Adams TD et al.: Long-Term Mortality after Gastric Bypass Surgery. NEJM 2007; 357: 753–761. KHM Foto: KHM Die Vortragssäle des KKL Luzern waren am KHM-Kongress gut besetzt. CongressSelection Hausarztmedizin • September 2017 • 15