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KONGRESSBERICHT
Neue Therapiemethoden bei Melanommetastasen
Elektrochemotherapie und onkolytische Immuntherapie
Die Elektrochemotherapie ist eine lokal hochwirksame Behandlungsmethode bei lymphogenen und hämatogenen Hautmetastasen des Melanoms. Die Methode, die wiederholt angewendet werden kann, ist für die Patienten wenig belastend und nur mit geringen Nebenwirkungen verbunden. Während die Elektrochemotherapie nur lokal wirksam ist, können mit der onkolytischen Immuntherapie durch T-VEC-Injektionen zusätzlich auch an entfernten Tumorlokalisationen Wirkungen erzielt werden. Über diese neuartigen Therapiemethoden sprach Prof. Jürg Hafner, Dermatologische Klinik des USZ, in Zürich an einer dermatoonkologischen Fortbildung des Hauttumorzentrums.
Die Idee, durch Elektropermeabilisation der Zellmembran die Zytotoxizität von Zytostatika zu steigern, wurde schon vor 29 Jahren an Zellkulturen entwickelt (1). Die Elektrochemotherapie – der kombinierte Einsatz von Elektroimpulsen und Chemotherapie – wird seit der Jahrtausendwende klinisch zur Behandlung von Melanomhautmetastasen verwendet (2). Obschon diese Therapiemethode ein sehr grosses Potenzial besitze, verbreite sie sich nur langsam, berichtete Hafner.
Hochwirksame Therapiemethode
Mit Stromstössen kann erreicht werden, dass die Zellmembran der Krebszellen vorübergehend permeabler wird, sodass stark hydrophile Zytostatika wie Bleomycin oder Cisplatin, die sonst fast nicht durch die Zellmembran von Tumorzellen penetrieren können, leicht ins Zellinnere gelangen. Für ganz kurze Zeit rupturiert das elektrische Feld die Zellmembran, wobei grosse Moleküle durch die «Elektroporen» in die Zellen eindringen können. Die intrazelluläre Konzentration von Bleomycin, das systemisch eine geringe Toxizität, aber auch eine geringe Wirksamkeit aufweist, kann durch kurze, starke Stromstösse um den Faktor 700 gesteigert werden. Die biologische Potenz der Behandlungsmethode sei enorm, so der Referent. Wer die Methode zum ersten Mal anwende, sei verblüfft über ihre «geradezu sensationelle Wirksamkeit». Eine histopathologische Studie wies bei zwei Patienten mit kutanen Melanommetastasen bereits 10 Minuten nach der Bleomycin-Elektrochemotherapie beginnende Schäden an den Tumorzellen nach (3). In den Metastasen und darum herum bildeten sich 3 Stunden später entzündliche Infiltrate, die hauptsächlich aus CD8-positiven zytotoxischen T-Lymphozyten bestanden und Granzyme-B – ein Enzym, das die Apoptose aktiviert – exprimierten. Durch Apoptose starben die Tumor-
zellen in den nachfolgenden Tagen ab. Im Verlauf von 2 bis 3 Monaten wurden die abgestorbenen Metastasen resorbiert und durch eine leichte dermale Fibrose ersetzt (3).
Behandlungsablauf und Hauptindikationen in der Dermatologie
Zur Elektrochemotherapie steht im USZ seit vierJahren das CE-zertifizierte Gerät Cliniporator™ (Firma IGEA) zur Verfügung. Am USZ werde in Allgemeinnarkose behandelt, denn die Schmerzen und die recht heftigen Zuckungen (Muskelkontraktionen) seien in Tumeszenzlokalanästhesie unzumutbar, berichtete Hafner. Nach der systemischen Applikation eines Bleomycinbolus wird zunächst während 8 Minuten abgewartet, bis sich das Medikament vollständig verteilt hat (2). Danach stehen für die Elektroporation mit Stromstössen lediglich 20 Minuten zur Verfügung, weil die Plasma- und Gewebespiegel von Bleomycin danach bereits wieder abnehmen und der Therapieeffekt schon 30 Minuten nach der Bolusinjektion nicht mehr gewährleistet ist (2). Zur Elektroporation werden am häufigsten hexagonal angeordnete Nadelelektroden in und um die Tumorknoten in die Haut gesteckt. Hauptindikation der Elektrochemotherapie in der Dermatoonkologie sind lymphogen entstandene Melanommetastasen (Satellitenmetastasen = Hautmetastasen im Umkreis von 2 cm um den Primärtumor, In-transit-Metastasen = Hautmetastasen im Abstand von > 2 cm vom Primärtumor entlang des Lymphabflusses zur regionären Lymphknotengruppe) (2). Grundsätzlich können auch hämatogene Hautmetastasen des Melanoms behandelt werden. Nicht nur an den Extremitäten, sondern in allen Hautregionen «vom Scheitel bis zur Sohle» sei die Methode anwendbar, so der Referent.
16 SZD 4/2017
KONGRESSBERICHT
Studien zur Wirksamkeit der Elektrochemotherapie
Bislang wurde zwar noch keine randomisierte, klinische Studie durchgeführt, aber mehrere Fallserien haben die Wirksamkeit der Elektrochemotherapie dokumentiert. Beispielsweise ergab eine prospektive Beobachtungsstudie zur Elektrochemotherapie superfizieller Metastasen von unterschiedlichen Krebsformen (56% davon Melanome) nach 60 Tagen eine Tumoransprechrate von 88 Prozent mit kompletten Remissionen in 50 Prozent der Fälle (4). Kleinere Knoten (unter 2 cm) sprachen deutlich besser an als grössere Tumoren. Das lokale progressionsfreie Überleben nach einem Jahr betrug 73,7 Prozent (4). An einer kürzlich publizierten prospektiven Kohortenstudie beteiligten sich im Rahmen des International Network for Sharing Practices on Electrochemotherapy (InspECT) 13 Krebszentren mit 151 Patienten mit metastasiertem Melanom (5). 60 Tage nach der Elektrochemotherapie wurde bei 58 Prozent der insgesamt 394 behandelten Hautmetastasen ein komplettes Ansprechen und bei weiteren 20 Prozent ein partielles Ansprechen festgestellt. Auch in dieser Studie sprachen kleinere Hautmetastasen besser an als grössere. Die Elektrochemotherapie wurde von den Patienten in der Regel sehr gut toleriert (5). Bei der Elektrochemotherapie werden Tumorantigene in grosser Menge freigesetzt (2). Deshalb gehen Forscher jetzt der Frage nach, ob die Wirksamkeit einer Checkpointinhibitortherapie (z.B. mit Ipilimumab) durch Kombination mit der Elektrochemotherapie weiter verstärkt werden kann (6).
Wirksamkeit von Elektrochemotherapie und T-VEC im Vergleich
Anders als bei der Elektrochemotherapie gibt es für die onkolytische Immuntherapie mit Imlygic® (Talimogen laherparepvec = T-VEC) eine randomisierte, klinische Studie. T-VEC-Injektionen sind indiziert als Monotherapie zur Behandlung von Erwachsenen mit nicht resezierbaren Melanomen mit regionalen oder entfernten Metastasen (Stadien IIIB, IIIC, IVM1a) ohne Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere viszerale Metastasen (7). Bei dieser Behandlungsmethode wird ein attenuiertes, gentechnisch modifiziertes Herpes-simplex-Virus Typ 1 in Tumoren injiziert, wo es sich repliziert und das immunstimulierende Protein GM-CSF (human granulocyte-macrophage colony-stimulating factor) produziert. Diese onkolytische Immuntherapie bewirkt das Absterben von Tumorzellen und die Freisetzung von Tumorzellantigenen. Zusammen mit GM-CSF wird so eine systemische Antitumorantwort ausgelöst. Zusätzlich zur Tumorregression durch direkte lytische Effekte in den mit Injektionen behandelten Tumoren bewirkt
Elektrochemotherapie mit breitem Indikationsspektrum
L Die häufigsten Indikationen der Elektrochemotherapie in der Dermatologie sind lymphogene Satelliten- oder In-transit-Metastasen und hämatogene Hautmetastasen des Melanoms. Gute Voraussetzungen für lokale komplette Remissionen sind: weniger als 7 Hautmetastasen mit einem Durchmesser von weniger als 2 cm.
L Auch ausserhalb der Dermatologie gibt es für die Elektrochemotherapie immer mehr Indikationen.
L Prinzipiell sprechen alle Tumoren, die sich oberflächlich ausbreiten oder zur Lymphangiosis führen können, auf die Elektrochemotherapie an, wobei in der Regel lokal komplette Ansprechraten von 50 bis 70 Prozent erreicht werden können.
L Die Elektrochemotherapie wurde beispielsweise bereits erfolgreich eingesetzt zur Behandlung lokoregionärer Hautmetastasen des Mammakarzinoms, zur Therapie des rezidivierenden Vulvakarzinoms und zur Behandlung von kontinuierlich metastasierenden ORL-Tumoren im Kopfbereich.
L Das Kaposi-Sarkom stellt eine sehr gute Indikation dar, wobei sehr häufig komplette Remissionen erzielt werden können.
L Auch bei nicht resezierbaren Leber- oder Hirnmetastasen kann die Elektrotherapie verwendet werden. (nach Prof. Dr. Jürg Hafner und Referenz [2])
die systemische Antitumorantwort auch eine Tumor-
regression an Lokalisationen ohne Injektionen.
Lokal sei die Elektrochemotherapie mit 50 bis 60 Pro-
zent vollständigen Remissionen bei Melanompatien-
ten möglicherweise geringfügig potenter als die
T-VEC-Therapie (47% vollständige Remissionen in
den Tumoren mit Injektionen), so Hafner. Aber
die T-VEC-Therapie entfaltet darüber hinaus auch
eine Fernwirkung, die bei nicht viszeralen Läsionen
22 Prozent und bei viszeralen Läsionen 9 Prozent
komplette Remissionen erreicht (8). Bei der Elektro-
chemotherapie fehlt eine solche Fernwirkung – es
werden nur diejenigen Metastasen beeinflusst, die
unter Strom gesetzt wurden.
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Orlowski S et al.: Transient electropermeabilization of cells in culture. Increase of
the cytotoxicity of anticancer drugs. Biochem Pharmacol 1988; 37: 4727–4733. 2. Hafner J et al.: Elektrochemotherapie steigert Medikamentenkonzentration. Swiss
Medical Forum 2015; 15: 120–123. 3. Bigi L et al.: Electrochemotherapy induces apoptotic death in melanoma metasta-
ses: a histologic and immunohistochemical investigation. Clin Cosmet Investig Dermatol 2016; 9: 451–459. 4. Campana LG et al.: Treatment efficacy with electrochemotherapy: A multi-institutional prospective observational study on 376 patients with superficial tumors. Eur J Surg Oncol 2016; 42: 1914–1923. 5. Kunte C et al.: Electrochemotherapy in the treatment of metastatic malignant melanoma: a prospective cohort study by InspECT. Br J Dermatol 2017 (Epub ahead of print). 6. Mozzillo N et al.: Assessing a novel immuno-oncology-based combination therapy: Ipilimumab plus electrochemotherapy. Oncoimmunology 2015; 4: e1008842. 7. Arzneimittelinformation Imlygic®, Stand der Information: Juli 2016, www. swissmedicinfo.ch 8. Andtbacka RH et al.: Patterns of clinical response with Talimogene Laherparepvec (T-VEC) in patients with melanoma treated in the OPTiM phase III clinical trial. Ann Surg Oncol 2016; 23: 4169–4177.
Quelle: Fortbildung «Interdisziplinäre Probleme in der Dermatoonkologie», Hauttumorzentrum USZ, 18. Mai 2017 in Zürich.
SZD 4/2017
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