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SSAI
Update zu Nahrungsmittelintoleranzen
Neues zu FODMAP und Glutensensitivität ohne Zöliakie
Nahrungsmittelintoleranzen kommen häufig vor, besonders bei Patienten mit Reizdarmsyndrom. Bei diesem Krankheitsbild eignet sich die FODMAP-Diät als diätetische Behandlung. Eine glutenfreie Diät ist dagegen nicht immer sinnvoll. Darüber berichtete PD Dr. Daniel Pohl aus Zürich beim SSAI-Jahreskongress.
Fast ein Viertel der Allgemeinbevölkerung gibt Nahrungsmittelunverträglichkeiten an, von den Patienten mit Reizdarmsyndrom (IBS) sogar mehr als zwei Drittel. Als in Studien durch Elimination von Kohlenhydraten Besserungen der IBS-Symptome erreicht werden konnten, fand das Konzept der fermentierbaren Kohlenhydrate (FODMAP = Fermentable Oligo-, Di-, Monosaccharides And Polyols) Beachtung. Als FODMAP werden verschiedene fermentierbare Kohlenhydrate zusammengefasst: • Oligosaccharide wie Fruktane (z.B. in Weizen, Zwiebeln,
Artischocken) und Galaktane (z.B. Linsen, Bohnen) • Disaccharide wie Laktose (z.B. in Milch, Joghurt) • Monosaccharide wie Fruktose (z.B. in Äpfeln, Honig) • Polyole wie Sorbit (z.B. in Kirschen, Blumenkohl,
E 420) sowie Mannit, Maltit, Isomaltit (z.B. E 967, E 421, E 965, E 53).
Was bewirken FODMAP im Darm?
Die Absorption von FODMAP im Dünndarm kann durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden (1): • fehlende Hydrolysierung: zum Beispiel Laktosemal-
absorption bei Laktasemangel, unverdauliche Oligosaccharide • ungünstige Nahrungszusammensetzung: zum Beispiel keine gleichzeitige Glukoseeinnahme, die erforderlich wäre für adäquate Fruktoseresorption (glukoseinduzierte Fruktoseresorption durch GLUT2-Transporter) • zu hohe Dosis: Einnahmemenge grösser als im Dünndarm resorbierbare Menge • Transitzeit • Erkrankungen der Mukosa. Der im Dünndarm nicht resorbierte Anteil von FODMAP bewirkt Wassereinstrom durch Osmose und Gasproduktion durch bakterielle Fermentation mit Dehnung der Dickdarmwand. Inkomplette Kohlenhydratresorption im Dünndarm ist aber nicht eine hinreichende Erklärung für die Symptominduktion, denn nicht alle Personen zum Beispiel mit Laktasemaldigestion oder Fruktosemalabsorption entwickeln Symptome (1). Für die Symptomatik bei IBS-Patienten sind noch weitere modifizierende Faktoren – periphere und zentralnervöse – erforderlich. Zu den peripheren Faktoren gehören beispielsweise die viszerale Hypersensitivität und Veränderungen der Mikrobiomzusammensetzung im Darm. Zentrale Einflüsse sind zum Beispiel Stress, Angststörungen, Depression, aufmerksame Selbstbeobachtung, Symptomerwartung und Symptomkonditionierung.
FODMAP-Diät ist eine IBS-Diät
Die entscheidende Studie, die überzeugend zeigen konnte, dass sich eine FODMAP-Diät (Low FODMAP diet)
als IBS-Diät eignet, wurde in Australien als randomisierte, verblindete Cross-over-Studie mit 30 IBS-Patienten und 8 gesunden Kontrollpersonen durchgeführt (2). Während der 3-wöchigen FODMAP-Diätperiode (Einnahme von weniger als 0,5 g FODMAP pro Mahlzeit) wurden die funktionellen gastrointestinalen Symptome bei den IBS-Patienten effektiv reduziert, dies im Vergleich zu typischer australischer Ernährung. Bei den Kontrollpersonen kam es bei keiner der beiden Diätformen zu Symptomveränderungen (2). Mit seiner Arbeitsgruppe ist PD Dr. Pohl der Frage nachgegangen, ob bei allen IBS-Patienten eine FODMAP-Intoleranz besteht. Mit einem Lactulose-Provokationstest fand er bei etwa 70 Prozent der IBS-Patienten eine FODMAP-Intoleranz. 75 der insgesamt 90 IBS-Patienten sprachen gut auf die FODMAP-Diät an. Auch konventionelle IBS-Ernährungsempfehlungen können im direkten Vergleich mit der FODMAP-Diät durchaus mithalten. Im Rahmen einer randomisierten, verblindeten Multizenterstudie erhielten während 4 Wochen von insgesamt 75 IBS-Patienten 38 eine FODMAPDiät und 37 die konventionelle Ernährung für IBS-Patienten. Dazu gehörten folgende Empfehlungen (3): • regelmässiger Ernährungsrhythmus mit 3 Mahlzeiten
und 3 Snacks pro Tag (nie zu viel oder zu wenig) • in Ruhe langsam essen und gut kauen • Reduktion von fetten und gewürzten Speisen, Kaffee,
Alkohol, blähenden Speisen wie Zwiebeln, Kohl, Bohnen • Meidung von kohlensäurehaltigen Erfrischungsgeträn-
ken, Kaugummis und künstlichen Süssstoffen • Verteilung der Nahrungsfaseraufnahme gleichmässig
über den Tag. Die Schweregrad der IBS-Symptome (IBS Symptom Severity Scale) nahm in beiden Gruppen signifikant ab, aber ohne signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die Autoren der Studie vermuten, dass eine Kombination von Elementen der beiden untersuchten Ernährungsstrategien die IBS-Symptome noch stärker reduzieren könnte (3).
Ist glutenfreie Diät gesund oder riskant?
«Glutenfrei» ist zu einem beliebten Einkaufsargument bei Nahrungsmitteln geworden. Da sich viele Konsumenten ohne Zöliakie von glutenfreier Diät mehr Gesundheit versprechen, boomt die glutenfreie Nahrungsmittelindustrie. Doch schadet Gluten wirklich der Gesundheit, und ist «glutenfrei» wirklich gesund für Gesunde? Gluten mit seinen beiden Hauptkomponenten Gliadin und Glutenin – beides Speicherproteine – gibt dem Teig die gewünschten Backeigenschaften. Wissenschaftler mahnen zur Vorsicht, denn glutenfrei bedeute nicht risikolos, berichtete
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Pohl. Bei Personen mit glutenfreier Diät sei ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes festgestellt worden, möglicherweise wegen des reduzierten Anteils von Ballaststoffen in der Diät. Ein anderer Befund, der zu denken geben sollte, ist der erhöhte Cadmiumblutspiegel, der bei Personen mit glutenfreier Diät festgestellt wurde. Nur bei Rauchern mit ihren ohnehin stark erhöhten Cadmiumblutspiegeln war kein Einfluss der glutenfreien Diät feststellbar. In einer prospektiven Kohortenstudie war höherer Glutenkonsum mit einem geringeren koronaren Risiko assoziiert (4). Möglicherweise wird das koronare Risiko bei Meidung von Gluten durch reduzierte Aufnahme günstig wirkender Vollkornprodukte erhöht. Bei Personen im niedrigsten Fünftel bezüglich Glutenaufnahme kam es zu 352 Myokardinfarkten pro 100 000 Personenjahre, bei Personen im höchsten Fünftel (höchste Glutenaufnahme) zu 277 Myokardinfarkten pro 100 000 Personenjahre (4).
Glutensensitivität ohne Zöliakie
Als Non-Celiac Gluten Sensitivity (NCGS) oder Glutensensitivität ohne Zöliakie wird eine Erkrankung bezeichnet, die zu ähnlichen Symptomen wie die Zöliakie führt, bei der es sich aber nicht wie bei der Zöliakie um eine Autoimmunkrankheit handelt und bei der kein genetischer Einfluss besteht. Zu den Symptomen gehören Müdigkeit, Energielosigkeit, Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung. Häufig handelt es sich um eine Selbstdiagnose bei Patienten, die sich bei
Tabelle:
Differenzialdiagnosen bei Weizen- beziehungsweise Glutenunverträglichkeit
Diagnose Zöliakie
Prävalenz 1%
NCGS
?
Weizenallergie 0,1%
Biomarker tTG-IgA (IgA-Antikörper gegen Gewebetransglutaminase) Keiner bekannt
IgE-Antikörper
Sicherung der Diagnose Biopsie
Doppelblinde, plazebokontrollierte, orale Weizenprovokation IgE und doppelblinde, plazebokontrollierte, orale Weizenprovokation
weizenfreier oder glutenfreier Diät besser fühlen. Im Unterschied zur Zöliakie gibt es für die NCGS keinen diagnostischen Test. Es handelt sich um eine Ausschlussdiagnose (Zöliakie und Weizenallergie wurden ausgeschlossen). Wahrscheinlich ist nicht Gluten für die NCGS verantwortlich, sondern Amylase-Trypsin-Inhibitoren von Weizen (ATI) lösen die Symptome aus. ATI sind hochgradig hitzeund proteaseresistent. Sie aktivieren in Makrophagen und dendritischen Zellen der Darmmukosa Toll-like-Rezeptoren 4 (TLR4) des angeborenen Immunsystems (5). Getreide, das nicht glutenhaltig ist, bewirkt dagegen keine oder nur eine geringe Stimulation der TLR4.
Alfred Lienhard
Literatur unter www.rosenfluh.ch
Quelle: «From gluten hypersensitivity to FODMAPs», Vortrag bei der gemeinsamen Jahresversammlung 2017 der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SSAI), 1. Juni 2017 in St. Gallen.
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Referenzen: 1. Simrén M: Diet as a therapy for irritable bowel syndrome: progress at last. Gastroenterology 2014; 146: 10–12. 2. Halmos EP et al.: A diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome. Gastroenterology 2014; 146: 67–75. 3. Böhn L et al.: Diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome as well as traditional dietary advice: a randomized controlled trial. Gastroenterology 2015; 149: 1399–1407. 4. Lebwohl B et al.: Long term gluten consumption in adults without celiac disease and risk of coronary heart disease: prospective cohort study. BMJ 2017; 357: 1892. 5. Schuppan D et al.: Wheat amylase trypsin inhibitors as nutritional activators of innate immunity. Dig Dis 2015; 33: 260–263.
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