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Kognitive Störungen bei Angst und Depression
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32831
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SYMPOSIUM
8th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD)
Kognitive Störungen bei Angst und Depression

Unter dem Titel «Kognitive Störungen bei Angst und Depression» wurden am diesjährigen Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) die kognitiven Aspekte in Bezug auf die häufigsten psychischen Störungen, Angst und Depression, beleuchtet.

K ognitive Störungen sind ein grosses Problem bei Patienten mit Angst und Depression. Sie beeinflussen die Lebensqualität und können zu deutlichen Beeinträchtigungen führen. Das diesjährige Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) beleuchtete verschiedene aktuelle Aspekte dieser Thematik. Weitere Highlights waren die ersten Schweizer Behandlungsempfehlungen zu Burnout und das Update der Empfehlungen zur Behandlung von Depression.
Update Behandlungsempfehlungen Depression und Burn-out Im vergangenen Jahr hat die SGAD in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Bipolare Störungen und der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) ein Update zu den Behandlungsempfehlungen der unipolaren depressiven Störungen veröffentlicht. Zudem wurde im Auftrag der SGPP vom Schweizer Expertennetzwerk für Burnout (SEB) unter Mitwirkung der SGAD eine zweiteilige Empfehlung zur Burn-out-Behandlung erarbeitet. Prof. Holsboer-Trachsler präsentierte die für die psychiatrische Praxis besonders relevanten Aspekte der beiden neuen Guidelines. Anhand des typischen Verlaufs einer depressiven Episode erklärte Prof. Holsboer-Trachsler, dass die stabile Remission das Ziel jeder Depressionsbehandlung darstelle. Ohne Remission bestehen Risiken wie beispielsweise eine Verschlechterung von komorbiden Pathologien, verminderte Lebensqualität oder Residualsymptome. Letztere sind auch Prädiktoren für ein erhöhtes Rückfallrisiko. Deshalb ist die medikamentöse Behandlung so lange fortzusetzen, bis die Residualsymptome abgeklungen sind. Sie betonte zudem, dass sich die grosse Anzahl der heute zur Verfügung stehenden Antidepressiva primär in ihrem neurochemischen Wirk- und Nebenwirkungsprofil unterscheiden und weniger in ihrer depressionslösenden Wirkung. Entsprechend ist für die Wahl des richtigen Antidepressivums ein «systematisches Ausprobieren» indiziert, basierend auf den kli-

nisch-diagnostischen Kriterien sowie klinischen Abwägungen wie zum Beispiel dem Ansprechen auf frühere Behandlungsversuche, der Überdosierungssicherheit, Komorbiditäten und -medikationen oder der Patientenpräferenz. Unabhängig von der anfänglichen Wahl des Antidepressivums zeigt sich bei mindestens 30 Prozent der Depressionen eine ungenügende Therapieantwort. Mit dem ABCB1-Gen-Test hat ein neues Instrument Eingang in die Behandlungsempfehlungen gefunden, welches das Potenzial hat, diesen Anteil von Teil- beziehungsweise Non-Response zu senken. Der Test gibt Auskunft über die individuellen DNASequenzvarianten im ABCB1-Gen, das ein «Wächtermolukül» der Blut-Hirn-Schranke kodiert (P-Glykoprotein, P-gp). Da viele der gängigen Antidepressiva P-gp-Substrate sind und ihr Übertritt ins Hirn erschwert ist, gelangt der behandelnde Arzt durch den ABCB1-Test schneller zum richtigen Medikament. Darüber hinaus erhält er personalisierte Therapieempfehlungen. Der Test ist empfohlen bei teilweisem oder keinem Ansprechen auf eine 2bis 4- wöchige Behandlung mit einer antidepressiven Medikation in adäquater Dosierung, wie Prof. Holsboer-Trachsler ausführte. Basierend auf dem Testergebnis erfolgt die Behandlungsoptimierung durch Dosisanpassung, Wechsel des Antidepressivums oder eine frühe Eskalationsstrategie.
Burn-out-Behandlung Das Burn-out ist im ICD-10 als «Zustand der totalen Erschöpfung» aufgeführt – nicht als eigenständige Krankheitskategorie. Dennoch stellt es einen ernst zu nehmenden Risikozustand dar, wie Prof. Holsboer-Trachsler gleich zu Beginn ihres Referats zu den Therapieempfehlungen hinsichtlich Burn-out klarstellte. Eine Chronifizierung der andauernden Stressbelastung kann weitere psychiatrische und somatische Erkrankungen zur Folge haben. Nebst Angst- und Schlafstörungen sind insbesondere depressive Störungen häufig mit Burn-out assoziiert. Anhand eines Phasenmodells und den dazugehörigen Symptomen erklärte Prof. Holsboer-Trachsler anschaulich, wie sich aus chro-

nischem Stress über das Burn-out und eine depressive Symptomatik schliesslich eine klinische Depression entwickeln kann, und nannte auch die pathophysiologischen Grundlagen dazu. Die Symptome eines Burn-outs sind stark vom Stadium der Stressbelastungsstörung abhängig und überschneiden sich in ihrer klinischen Präsentation stark mit anderen Erkrankungen. Darum ist eine gründliche Differenzialdiagnose zentral für die Indikation der massgeschneiderten Therapie. Das Ziel der Burn-out-Therapie ist eine stabile Remission einer komorbiden Depression, die Erneuerung von Vitalität und Erholungsfähigkeit, die Wiederherstellung der Belastbarkeit sowie die Verstärkung von konstruktiven Bewältigungsstrategien. Die Therapie orientiert sich am Schweregrad der Beschwerden sowie am Vorhandensein einer komorbiden Depression. Angesichts der Vielschichtigkeit des Krankheitsbildes Burn-out ist eine mehrdimensionale psychiatrisch-psychologische Interventionsstrategie angezeigt. Sie umfasst die Aspekte Patientenbegleitung mit integrierter Psychoedukation, biologisch-medizinische Dimensionen (Phytotherapie bzw. Pharmakotherapie mittels Antidepressiva bei vorhandener depressiver Störung), ergänzende Massnahmen wie Sport, Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen, Psychotherapie und existenzielle Dimensionen (Ziele und Werte). Im letzten Schritt steht schliesslich eine individuell angepasste Strategie zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt im Mittelpunkt.
Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit Für das Funktionieren im Alltag – und in der Arbeitswelt im Speziellen – spielt die kognitive Leistungsfähigkeit eine zentrale Rolle. Doch gerade Störungen im kognitiven Bereich sind eine häufige Folge von Depression, wie Prof. Dr. rer. nat. med. habil. Pasquale Calabrese, Dipl.-Psych. und Leiter der Arbeitsgruppe Neuropsychologie und Verhaltensneurologie, Fakultät für Psychologie, Universität Basel, ausführt. Es lässt sich eine «kognitive Signatur» der Depression identifizieren, betroffen sind dabei die Domänen der Aufmerksamkeit, der mentalen Kontrolle, des geistigen Tempos und das Gedächtnis. Bei Letzterem wird häufig ein Bias hin zu negativ emotional verknüpften Informationen beobachtet. Die mit Depression verbundenen kognitiven Leistungsbeeinträchtigungen haben öfter einen direkten Effekt auf das tägliche Leben des Patienten. Doch die kognitiven Störungen

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und ihre Auswirkungen auf den Alltag entgehen nicht selten dem klinischen Blick. Prof. Calabrese plädierte deshalb dafür, bei Depressionspatienten auch in Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten genau hinzuschauen, zum Beispiel mit dem von ihm entwickelten Kognitiven Depressions-Index oder anderen, sogenannten kognitiven Screeningverfahren. Letztere erlauben es auch, kognitive Veränderungen im Therapieverlauf zu dokumentieren.

Cognitive Enhancement – Mythen und Fakten Das Referat von Prof. Boris Quednow, Leitender Psychologe an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, erweiterte das Thema der kognitiven Leistungsfähigkeit schliesslich auf die Gesunden. Es ging der Frage nach, was denn am Cognitive Enhancement – der Leistungssteigerung mittels Pharmakostimulanzien – tatsächlich dran ist. Können die für diesen Zweck am häufigsten eingesetzten Substanzen Methylphenidat, Amphetamine und Modafinil den grossen Erwartungen von Öffentlichkeit und Medien standhalten? Lassen sich alle kognitiven Domänen gleichzeitig verbessern? Die aktuelle Studienlage zeigt, dass dem Cognitive Enhancement mit Stimulanzien immer ein Zielkonflikt innewohnt: Verbesserungen in gewissen Domänen werden mit Verschlechterungen in anderen Domänen «erkauft». Eine Leistungssteigerung findet eher auf der Motivations- denn auf der kognitiven Ebene statt. Zudem profitieren mehrheitlich Personen mit kognitiven Defiziten oder Einschränkungen, zum Beispiel aufgrund von Schlafentzug. Prof. Quednow stellte zum Abschluss seines Referats denn auch klar, dass ein ausgeschlafenes gesundes Hirn kaum zu «verbessern» ist.

Schlaf und kognitive Störungen

Ein ausgeschlafenes Hirn ist nicht nur bei Er-

wachsenen entscheidend, sondern spielt auch

in der kindlichen Entwicklung eine wichtige

Rolle. So zeigte Prof. Dr. sc. nat. Reto Huber, Vor-

sitzender des Zürcher Zentrums für interdiszi-

plinäre Schlafforschung (ZiS), eindrucksvoll, wie

sich die langsamwellige Aktivität des Gehirns

während des Tiefschlafs im Lauf der Zeit verän-

dert und dass diese Verteilung sehr genau der

lokalen Entwicklung der Hirnregionen ent-

spricht. Prof. Huber präsentierte die Situation

bei Kindern mit ADHS, bei denen eine Entwick-

lungsverzögerung zu verzeichnen ist, und bei

Jugendlichen mit Depression, deren Verteilung

von langsamwelliger Aktivität Gleichaltrigen

eher «voraus» ist. Abschliessend verwies Prof.

Huber darauf, wie wichtig nicht nur ausreichen-

der, sondern auch guter Schlaf für die kognitive

Entwicklung ist.

G

Kasten:
Crashkurs zur Phytotherapie
Das Thema Phytotherapeutika stiess bei den Teilnehmern auf reges Interesse, wie die grosse Zahl von 160 Teilnehmern zeigte. Anbei ein kurzer Überblick über die gängigen phytotherapeutischen Behandlungsoptionen bei Angst und Depression.
Prof. Dr. rer. nat. Anne Eckert, Leiterin des Neurobiologischen Labors, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, sprach zur Pharmakologie der Phytotherapeutika. Sie zeigte, dass im Gegensatz zu synthetischen Medikamenten die Zusammensetzung von Phytotherapeutika sehr stark variieren kann, sodass man mit einer unterschiedlich ausgeprägten Wirkung rechnen muss, dies vor allem bei OTC-Produkten. Im Anschluss daran stellte sie die Wirkmechanismen des Johanniskraut-Inhaltsstoffs Hyperforin, des Lavendelöls Silexan, des Ginkgo-biloba-Extrakts und kurz von Rosenwurz vor.
Johanniskrautextrakt: Hyperforin hat den Hauptanteil an der antidepressiven Wirkung und hemmt die Aufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und L-Glutamat in der Synapse. Hypericin gibt dem Johanniskrautextrakt die spezifische Farbe. Es hemmt serotonerge und dopaminerge Transmittersysteme sowie an der Depressionsentstehung beteiligte Hormone der hypothalamisch-hypophysären Nebennierenrindenachse. Das Flavanoid Rutin hat selber keine antidepressive Eigenschaft. Aber ausschliesslich Extrakte mit hohem Rutingehalt besitzen auch die volle Wirksamkeit. Der Hyperforin- und Rutingehalt kann in den verschiedenen Johanniskrautextrakten stark variieren. Insgesamt ist der Gehalt an Hyperforin und Rutin bei OTC-Produkten bedeutend niedriger als bei verschreibungspflichtigen Johanniskrautpräparaten (z.B. Hyperiplant®, Jarsin®, Rebalance®). Studien zeigen, dass Hyperforin im Vergleich zu chemischen Antidepressiva eine neuronale Ausdifferenzierung bewirkt, die jener des BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) ähnelt.
Lavandula angustifolia: Das ist die kultivierte Lavendelform. Der Japaner Akio Nakamura konnte zeigen, dass die Inhalation bestimmter Düfte das Stressempfinden reduzieren kann. Das standardisierte ätherische Öl wird durch Dampfdestillation gewonnen. Das Lavendelöl in Silexan (Lasea®) hat einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Pregabalin und Gabapentin. Der anxiolytische Effekt wird unter anderem der Bindung an präsynaptische spannungsabhängige Kalziumkanäle zugeschrieben.
Rosenwurz: Diese Antistresspflanze aus dem Norden wirkt gegen Stress und trägt zur Stärkung der physischen und psychischen Widerstandskraft bei. Rhadiola rosea wächst auch in den Alpen. Rosenwurz ist zur Behandlung einer leichten bis mittelschweren Depression nicht zugelassen, sondern ist ohne ärztliche Verordnung zur Linderung körperlicher und geistiger Symptome bei Stress und Überarbeitung erhältlich (z.B. Vitango®).
Ginkgo: Ginkgoextrakte wie zum Beispiel Symfona®, Tebokan®, Rezirkane® haben keine zugelassene Indikation, werden aber «zur symptomatischen Behandlung von Einbussen in der mentalen Leistungsfähigkeit nach Ausschluss spezifischer und spezifisch zu behandelnder psychiatrischer oder hirnorganischer Störungen» oder/und «bei nachlassender Konzentration» und so weiter eingesetzt. Neuste Erkenntnisse aus der Alzheimer-Forschung zeigen, dass die Spezialextrakte zur Neuroprotektion, Neuroplastizität und Neuroregeneration beitragen. Die Wirkung beruht auf der Wirkung der Flavanoide, der Gingkolide und von Bilobalid. Studien zu EGb761® (Tebokan©) zeigen in vivo, dass der oxidative Stress reduziert wird und eine Verbesserung der Zellvernetzung im Maushirn stattfindet.
Prof. Dr. med. Martin Hatzinger, Direktor Psychiatrische Dienste soH, Chefarzt Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Dienste Solothurn, erläuterte die klinische Anwendung von Phytotherapeutika bei Angst und Depression. Er hob hervor, dass diese Behandlung sehr nebenwirkungsarm sei und deshalb eine hohe Akzeptanz bei den Patienten geniesse. Gerade bei leichter und mittelschwerer Depression kann Johanniskraut gemäss Behandlungsempfehlungen auch in der First-Line-Therapie eingesetzt werden. Darüber hinaus zeigt Silexan® eine guteWirksamkeit in der Behandlung von Ängstlichkeit und Unruhe. Abschliessend verwies Prof. Hatzinger auf aktuelle Studien, die eine Linderung von Stresssymptomen durch Rosenwurz belegen.
Annegret Czernotta
Quelle: Gekürzte Medienmitteilung SGAD vom 7. April 2017.

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