Transkript
ECCO
Bei genetischer Anfälligkeit fördert einseitiges Essen chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Darmflora beeinflusst die Entzündung im Darm
Die Darmflora von westlichen Bevölkerungen hat sich in den vergangenen hundert Jahren den veränderten Ernährungsgewohnheiten angepasst, das heisst, sie ist ärmer geworden. Neuere Studien deuten darauf hin, dass chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) durch die Kombination von speziellen genetischen Konstitutionen und bestimmtem Essen gefördert werden.
Charlie Lees
(Foto: KD)
Quelle: Scientific Session «Pathways of environmental & genetic factors in IBD» beim 12. Kongress der European Crohn's and Colitis Organization (ECCO), 17. Februar 2017, in Barcelona.
Während «westlicher Lebensstil» vor den Sechzigerjahren nur in einer Handvoll Ballungszentren in den USA oder Mitteleuropa in Mode war, breitete er sich in den folgenden Jahrzehnten epidemisch über die ganze Welt aus. Zeitlich nahezu parallel stieg die Häufigkeit chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED). So hätten beispielsweise die Inzidenzen pädiatrischer MorbusCrohn-Fälle in Schottland zwischen 1969 und 2008 um den Faktor fünf zugenommen, berichtete Dr. Charlie Lees aus Edinburgh (GB) am ECCO-Kongress in Barcelona (1). Lange Zeit meinte man, dass zwar verschiedene Umweltfaktoren, nicht aber die Ernährung einen Einfluss auf den Ausbruch einer Darmentzündung hat. Neuere Studien ergeben ein anderes Bild.
Unterschiedliche Mikrobiome
Inzwischen sind im menschlichen Erbgut rund 200 Genloci detektiert worden, die mit einer Anfälligkeit für solche Krankheiten assoziiert sind (2). Diese Dispositionen scheinen in Verbindung mit der Darmflora zu stehen. Allerdings existieren hinsichtlich der Bakterienvielfalt in verschiedenen menschlichen (und nicht menschlichen) Populationen grosse Unterschiede, wie in einer neueren Untersuchung deutlich wurde (3). Eine internationale Wissenschaftlergruppe verglich die Mikrobiome von Menschen aus den USA, Malawi und Venezuela mit denjenigen verschiedener afrikanischer Menschenaffenarten. Erwartungsgemäss beherbergten die Affen die grösste Vielfalt an Bakterienfamilien, -gattungen und -arten. Interessanterweise wiesen sowohl ursprünglich lebende Indianer aus dem venezolanischen Regenwald als auch dörflich lebende Einwohner aus Malawi signifikant mehr Bakterienspezies auf als US-Amerikaner. Aber auch innerhalb der gleichen Bevölkerungsgruppe kann es zu grossen Veränderungen hinsichtlich des Mikrobioms kommen – und das in sehr kurzer Zeit. So habe sich gemäss einer Studie aus dem Jahr 2014 innerhalb von nur 2 bis 4 Tagen die Diversität der Darmflora dramatisch verändert, berichtete Lees, je nachdem, ob die gesunden Probanden vor allem fettreiche tierische oder pflanzliche Nahrung aufgenommen hätten (4). Sind es nun der Zucker, das Fett, die Proteine, die Pflanzenfasern, die Früchte, Vitamin D oder andere Nahrungsmittel, die für bestimmte Veränderungen im Darm verantwortlich sind? Tatsächlich hätten eine ganze Reihe von Faktoren Einfluss auf mögliche Entzündungen, so der
britische Spezialist. So erhöhe eine fettreiche Ernährung sowohl das Risiko von Colitis ulcerosa als auch von Morbus Crohn (5). Zudem konnte in einer Studie aus dem Jahr 2015 gezeigt werden, dass auch Emulgatoren (Carboxymethylcellulose und Polysorbat-80) bei Mäusen die Darmflora verändern und damit sowohl die Entstehung des metabolischen Syndroms als auch der Colitis ulcerosa triggern (6). Auf der anderen Seite vermindere eine obstund faserreiche Ernährung das Risiko für Morbus Crohn sowie eine gemüsereiche Diät das Risiko für Colitis ulcerosa, sagte Lees.
Genetische Suszeptibilität
Voraussetzung für die Entwicklung von Darmentzündungen unter dem Einfluss bestimmter Nahrungsmittel ist jedoch eine gewisse Anfälligkeit (7). Nachdem in einer amerikanischen Studie genetisch anfällige Mäuse mit viel gesättigten Fettsäuren ernährt worden waren, nahm ein potenziell pathogenes Bakterium (Bilophila wadsworthia) im Darm dieser Tiere überhand. Die Folge waren proinflammatorische Reaktionen und die Entstehung von Colitis ulcerosa. Hingegen blieben WildtypMäuse von einer Überbevölkerung dieses Bakteriums und von Darmentzündungen verschont. Diese Ergebnisse, so die Autoren, lieferten möglicherweise eine Erklärung dafür, wie westliche Ernährungsweisen mit ihrem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren für die zunehmende CED-Prävalenz bei genetisch anfälligen Personen verantwortlich sein könnten.
Laufende Studie
Derzeit wird in der schottischen PREdiCCT-Studie (the prognostic effect of environmental stimuli in Crohn’s and colitis) mit jeweils 750 Morbus-Crohn- und Colitis-ulcerosa-Patienten untersucht, inwieweit sich die Ernährung auf das Mikrobiom und die Darmentzündungen auswirkt. Dafür werden langfristig die Ernährungsgewohnheiten und die Darmflora der Teilnehmer dokumentiert und mit eventuellen Krankheitsschüben korreliert. Letztlich wolle man mit dieser Studie Individuen identifizieren, die ein hohes Risiko für eine aggressive CED-Verlaufsform besässen, um möglichst frühzeitig reagieren zu können.
Klaus Duffner
Referenzen online unter www.rosenfluh.ch
10 • CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2017
Referenzen: 1. Henderson P et al.: Inflammatory bowel Diseases 20012; 18 (6): 999–1005. 2. Lees CW et al.: GUT 2011; 60: 1739–1753. 3. Moeller et al.: PNAS 2014; 111(46): 16431–16435. 4. David et al.: Nature 2013; 505: 559–563. 5. Hou JK et al.: Am J Gastroenterol 2011; 106(4); 563–573. 6. Chassaing B et al.: Nature 2015; 519(7541): 92–96. 7. Devkota S et al.: Nature. 2012 Jul 5; 487(7405): 104–108.
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