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ECCO
CED und das tägliche Gift
Lifestylefaktoren beeinflussen die Krankheitsaktivität
Die Inzidenz chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) steigt seit Jahrzehnten permanent an. Zwar wurde eine grosse Anzahl von CED-Genloci entdeckt, warum jedoch solche Krankheiten bei manchen Menschen schliesslich auftreten, liegt nach wie vor im Dunkeln. Sicher ist, dass bestimmte Umweltfaktoren den Ausbruch der Erkrankung beeinflussen.
Stephan Vavricka (Foto: KD)
Swiss IBD Cohort Study: Weitere Informationen unter http://www.ibdcohort.ch/ index.php/home-21.html
Schon lange bekannt ist, dass Rauchen den Ausbruch von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) fördert. Laut den Daten der SwissIBD Cohort Study liegt die Raucherrate unter Patienten mit Morbus Crohn (MC) bei 40 Prozent, während Colitis-ulcerosa-(UC-)Betroffene nur zu rund 15 Prozent zur Zigarette greifen (p < 0,001). Überdies wurde festgestellt, dass sich über die Jahre hinweg signifikant weniger Nichtraucher in einer aktiven MC- beziehungsweise UC-Krankheitsphase befinden als Raucher. Entsprechend höher ist für Raucher das Risiko für Fisteln, Strikturen, Rückfälle, Steroidgebrauch und Operationen (1). Gift 1: Nikotin Möglicherweise spielt auch die Beeinflussung des Mikrobioms durch Nikotin eine Rolle. Denn gemäss einer Schweizer Studie verschieben sich nach einem Rauchstopp die Quantitäten der vier wichtigsten Bakterienformen, Firmicutes (z.B. Clostridium), Actinobacteria (z.B. Bifidobacteria), Bacteroidetes (z.B. Bacteroides) und Proteobacteria, deutlich (2). Welche Konsequenzen diese Veränderungen der Darmflora letztlich haben, muss noch geklärt werden. Eines sei allerdings sicher, so Prof. Stephan Vavricka aus Zürich: «Es würde vielen Betroffenen WICHTIGE LIFESTYLE-FAKTOREN BEI CHRONISCH ENTZÜNDLICHEN DARMERKRANKUNGEN (CED) Stress Nikotin CED mehr bringen, mit dem Rauchen aufzuhören, als teure Medikamente zu nehmen.» Gift 2: Stickstoffdioxid Neben dem Rauchen triggert auch die Luftverschmutzung CED. So wurde in einer kanadischen Untersuchung festgestellt, dass vor allem die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) und Schwefeldioxid (SO2) in der Wohnumgebung für ein signifikant höheres MC-Risiko verantwortlich sein könnte (3). Besonders alarmierend ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass nicht ältere Menschen, sondern vor allem Kinder und Jugendliche von diesem Risiko betroffen sind. Gift 3: Stress Schon vor einigen Jahren wurde eine klare Korrelation zwischen Stress und dem Auftreten von CED-Flares nachgewiesen (4). Allerdings war es in einer Cochrane-Analyse von 21 randomisierten psychologischen Interventionsstudien nicht möglich, den positiven Effekt von Psychotherapien hinsichtlich der Verminderung von CED-Flares zu zeigen. «Das war für einige meiner Patienten, die sich von psychologischen Interventionen Hilfe versprochen hatten, ein Rückschlag», so Vavricka. Allerdings wurde dieser Analyse vorgeworfen, zu allgemein zu bewerten und zu wenig auf die jeweiligen Studiendesigns und damit Lebenssituationen der Betroffenen einzugehen. Tatsächlich zeigte eine differenzierte neuere Analyse, dass beispielsweise kognitive Verhaltenstherapien in Verbindung mit CED-fokussierten Beratungen sehr wohl einen positiven Einfluss auf die Krankheitsaktivität haben können. Gerade für CED-Patienten mit ihren spezifischen Belangen stehen viel zu wenig spezialisierte Psychologen zur Verfügung, so der Zürcher Gastroenterologe: «Ich wäre sehr froh, wenn wir einen Spezialistenkreis aufbauen könnten, der sich besser um den psychologischen Stress unserer Patienten kümmern könnte.» Luftverschmutzung Bewegungsmangel Gift 4: Bewegungsmangel Hat ein eher sitzender Lebensstil Einfluss auf die Krankheitsaktivität von CED? Untersuchungen mit CED-Patienten, die sich über 3 beziehungsweise 12 Monate einem regelmässigen kontrollierten Sportprogramm unterzogen, zeigten zwar Verbesserungen des BMI, der psychischen Verfassung, der Lebensqualität und der 6 • CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2017 ECCO Knochendichte, jedoch keinen statistisch nachweisbaren Einfluss auf die Aktivität der Darmentzündungen (7, 8). Allerdings scheint es eine Korrelation zwischen BMI und Krankheitsaktivität zu geben. So leiden übergewichtige MC-Patienten häufiger unter Krankheitsschüben als Normalgewichtige (9). Klaus Duffner Referenzen: 1. Lakatos PL: World J Gastroenterol 2007. 2. Biedermann L et al.: Inflamm Bowel Dis 2014 Sep; 20(9): 1496–501. 3. Kaplan GG et al.: Am J Gastroenterol 2010 Nov; 105(11): 2412–2419. 4. Lewenstein Am J Gastro 2000. 5. Timmer A et al.: Cochrane Database Syst Rev 2011; (2): CD006913. doi: 10.1002/14651858.CD006913.pub2. 6. Sajadinejad MS et al.: Gastroenterol Res Pract 2012; doi: 10.1155/ 2012/106502. 7. Ng V et al.: Clin Sport Med 2007; 17: 384–388. 8. Robinson RJ et al.: Gastroenterology 1998; 115: 36–41. 9. Blain A et al.: Vlin Nutr 2002; 21: 51–57. Quelle: Scientific Session «Pathways of environmental & genetic factors in IBD» beim 12. Kongress der European Crohn's and Colitis Organization (ECCO), 17. Februar 2017, in Barcelona. KONGRESSNOTIZEN Menschliche Fisteln in Mäusen Einer schweizerisch-israelischen Arbeitsgruppe ist es erstmals gelungen, Fisteln zu züchten. Dazu transplantierten Dr. Ramona Bruckner und Kollegen von der Universität Zürich beziehungsweise Jerusalem fetale menschliche Darmstückchen auf den Rücken von Versuchsmäusen. Daraus entwickelten sich bei einem Teil dieser Tiere nach 12 Wo- chen tatsächlich Fisteln. Untersuchungen der Zellen dieser Fisteln ergaben starke Ähnlichkeiten zu entsprechenden Zellen bei Menschen. Bei der Entwicklung der Fisteln scheint die Transition vom Epithel- zum Mesenchymgewebe eine entscheidende Rolle zu spielen. Auch die auslösenden Faktoren sind immer besser bekannt. «Ein solches Modell macht die Forschung an Fisteln viel leichter und viel systematischer», freute sich Prof. Gerhard Rogler vom USZ, der Seniorleiter der Studie. «Ich bin mir sicher, dass dies in Zukunft den Patienten etwas bringen wird.» Ramona Bruckner wurde am Kongress für ihre Studien zur Fistelentstehung mit einem ECCO-Preis ausgezeichnet. KD Quelle: Bruckner RS et al.: New human gut xenograft mouse model for intestinal fistulas. ECCO 2017; Vortrag und Abstract DOP059. Verbindung zu arteriellen Erkrankungen Chronische systemische Entzündungen sind mit einem erhöhten Risiko für akute arterielle Erkrankungen verbunden, allerdings war das Ausmass dieses Risikos für CED-Patienten bisher noch unklar. Um dieser Frage nachzugehen, wertete Julien Kirchgesner aus Paris in einer Kohortenstudie die Daten von 200 000 CED-Patienten aus. Dabei wurde deutlich, dass Männer mit Morbus Crohn (HR: 1,71) und Colitis ulcerosa (HR: 2,08) im Vergleich zur gesunden Bevölkerung signifikant stärker unter Bluthochdruck, Dyslipidämie oder Diabetes mellitus litten sowie häufiger zur Zigarette und zu Alkohol griffen. Unter allen CED-Patienten betrug die standardisierte InzidenzRatio (SIR) für ischämische Herzkrankheiten 1,17, für zerebrovaskuläre Erkrankungen 1,19 und für periphere arterielle Erkrankungen 1,27 (alle p < 0,001). Im Vergleich zur Allge- meinbevölkerung zeigten jüngere Patienten mit Morbus Crohn mit einem SIR von 1,56 das höchste Risiko für solche Ereignisse. Auch an- dere Studien würden den Zusammenhang zwi- schen CED und ischämischer Herzkrankheit bestätigen, sagte Mitautor Nynne Nyboe An- dersen aus Kopenhagen. KD Quelle: Increased risk of acute arterial events in young patients with severely active inflammatory Bowel Disease: A nationwide French cohort study. ECCO 2017; Vortrag OP003. Postoperative Bakterienzusammensetzung entscheidend Crohn-Patienten, die sich einer Operation unterzogen haben, sind seltener von einem Rückfall betroffen, wenn sie bestimmte Bakterien im Darm beherbergen (1). Wurde in den Stuhlproben postoperativer Patienten eine Dominanz von Lachnospiraceae (Ordnung Clostridiales) festgestellt, war in den folgenden 18 Monaten signifikant weniger häufig ein Crohn-Relapse zu beobachten. Eine Dominanz von Enterobacteriaceae und ein Zurücktreten oder Fehlen der Bakterienordnungen Clostridiales und Lactobacillales war hingegen eher mit einem Rückfall assoziiert. Die Resultate wurden am ECCO von einer australisch-eng- lisch-chinesischen Forschungsgruppe vorgestellt (1). Auch französische Wissenschaftler interessierte, welchen Einfluss Darmbakterien auf das postoperative Ergebnis von Morbus-CrohnPatienten haben (2). Allerdings nahmen sie primär die Rolle des Darmbakteriums Escherischa coli, genauer seine pathologische Form «adherent invasive E. coli» (AIEC), unter die Lupe. Ergebnis: Von 26 Patienten mit AIEC-Besiedlung zeigten 10 (38%) innerhalb der ersten 6 Monate ein Wiederaufflackern der Erkrankung. Demgegenüber zeigten von 143 ohne diesen Keim nur 24 (17%) einen Relapse (p = 0,01). Demnach, so die Autoren aus sechs französischen Spitälern, sei die Präsenz von AIEC bei den operierten Crohn-Patienten mit einem «schweren endoskopischen Relapse» assoziiert. KD Quellen: 1. Post-operative Crohn’s disease recurrence is associated with specific changes in the faecal microbiome – potential pathogenic and protective roles Poster presentations. ECCO 2017, Abstract P773. 2. Barnich N et al.: The presence of adherent-invasive Escherichia coli strains on the surgical specimen is a predictor of severe endoscopic postoperative recurrence in Crohn’s disease. ECCO 2017, Abstract P772. 8 • CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2017