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STUDIE REFERIERT
Kreuzschmerzen: Kortisonspritze lindert nur kurz
Chronische Kreuzschmerzen sind weit verbreitet und führen häufig zu einer langfristigen Invalidität. Oft sind degenerative Bandscheibenerkrankungen die Ursache, weshalb intradiskale Glukokortikoidinjektionen als – wenn auch wegen ihrer potenziellen Nebenwirkungen umstrittene – Therapieoption infrage kommen. Eine aktuelle Studie konnte ihr allerdings nur vorübergehende Effektivität bescheinigen.
Annals of Internal Medicine
Um Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen (chronic low back pain, cLBP) zielgerichtet therapieren zu können, werden seit einigen Jahren anhand der Magnetresonanztomografie-(MRT-)Befunde diagnostische Subgruppen gebildet. Der Radiologe Michael T. Modic fand im Jahr 1988 Veränderungen an Deck- und Bodenplatten von Wirbelkörpern, welche an degenerativ geschädigte Bandscheiben angrenzen, und teilte diese in drei Gruppen ein: O Wirbelkörper mit subchondralem Kno-
chenmarködem (Modic 1) O Wirbelkörper mit einer Verfettung des
Knochenmarks (Modic 2) O Wirbelkörper mit Sklerosierungen der
Knochensubstanz (Modic 3).
MC Typ 1 häufig bei Diskusdegenerationen Degenerative Wirbelkörperveränderungen (Modic changes, MC) vom Typ Modic 1 werden bei asymptomatischen Patienten ohne degenerative Bandscheibenerkrankung kaum diagnostiziert. Hingegen zeigen fast 46 Prozent der Patienten mit cLBP in
MERKSÄTZE
O Die intradiskale Glukokortikoidinjektion (GC IDI) konnte als Therapieoption bei cLBP und aktiver Diskopathie wegen der fehlenden Langzeitwirkung nicht bestätigt werden.
O Der schnelle, wenn auch limitierte Wirkungseintritt der GC IDI untermauert jedoch die Hypothese, dass lokale Entzündungsprozesse bei der Pathogenese einer aktiven Bandscheibenerkrankung eine Rolle spielen.
der MRT ein subchondrales Ödem. Der Zusammenhang von MC Typ 1 und einer benachbarten degenerativen Bandscheibenveränderung scheint gegeben zu sein. Es liegt deshalb nahe, bei cLBP eine Therapie anzuwenden, welche die lokalen Entzündungsprozesse unterbricht, wie beispielsweise eine intradiskale Glukokortikoidinjektion (glucocorticoid intradiscal injection, GC IDI). Für die hier besprochene französische Studie wurde von der Hypothese ausgegangen, dass Modic-1-Veränderungen ein radiologischer Hinweis auf eine degenerative Bandscheibenerkrankung sind. Insgesamt 135 Patienten wurden in diese doppelblind randomisierte Multizenterstudie eingeschlossen. Tägliche Kreuzschmerzen seit mindestens 3 Monaten mit einer Intensität von mindestens 40 auf einer 11-Punkte-Skala (0 = keine Schmerzen, 100 = maximale Schmerzen, Abstufung in 10-Punkte-Schritten) während der letzten 48 Stunden sowie MRT-Läsionen des Typs Modic 1 seit weniger als 6 Monaten waren die Einschlusskriterien. Bei allen Patienten wurde eine Diskografie mit 1 ml des Kontrastmittels Iodixanol (Visipaque® 320, in CH nicht registriert) auf Höhe der lumbalen Modic-1Läsion durchgeführt. Der Interventionsgruppe (n = 67; Kontrollgruppe n = 68) wurde zusätzlich zum Kontrastmittel 1 ml (25 mg) Prednisolon (Hydrocortancyl®, in CH nicht registriert) verabreicht. Als primärer Endpunkt wurde eine LBP-Intensität von weniger als 40 auf der 11-Punkte-Skala einen Monat nach Intervention definiert. Nach 12 Monaten wurde der sekundäre Endpunkt gesetzt, und es wurden die LBPIntensität, die Persistenz der aktiven Diskopathie in der MRT, LWS-bedingte Aktivitätseinschränkungen (Quebec Back Pain Disability Scale), die Lebensqualität (Physical Component Summary) und das Vor-
handensein von Depressionssymptomen (Hospital Anxiety and Depression Scale) beurteilt. Bewertet wurden auch die Selbsteinschätzung der Patienten über ihren Gebrauch von Schmerzmitteln (inkl. nicht steroidale Antirheumatika, NSAR), die Arbeitsfähigkeit und Veränderungen des LBPabhängigen Aktivitätslevels während der Studienperiode.
Langfristig keine Wirkung der GC IDI
In der untersuchten Studienpopulation
wurden am häufigsten Modic-1-Verände-
rungen auf Höhe L4/L5 (33,3%) und L5/S1
(54,1%) diagnostiziert. Die durchschnitt-
liche Schmerzintensität wurde mit 70
(40–80) angegeben. Nach einem Monat
gaben 36 Patienten aus der Interventions-
gruppe (55,4%) ein Schmerzlevel von
weniger als 40 und damit eine deutliche
Schmerzlinderung an. In der Kontroll-
gruppe waren es immerhin 21 Patienten
(33,3%), bei denen es nach der Diskografie
ebenfalls zu einer Symptomverbesserung
kam. Vorübergehend (3 Monate nach In-
tervention) lag die Schmerzintensität der
Patienten der Interventionsgruppe sogar
über derjenigen der Kontrollgruppe (50,5
vs. 43,9). Ein möglicher Rebound-Effekt
der Glukokortikoide könnte dafür eine Er-
klärung sein. 12 Monate nach Intervention
lagen die Angaben beider Kohorten wieder
über 40 (Interventionsgruppe: 51,5; Kon-
trollgruppe: 42,5). Zu einer Verbesserung
des durch die cLBP eingeschränkten sub-
jektiven Aktivitätslevels kam es wohl einen
Monat nach Intervention (Interventions-
gruppe: 84,6%; Kontrollgruppe: 54,0%),
nach 12 Monaten konnte dieser Effekt je-
doch nicht mehr festgestellt werden. 54 Pa-
tienten insgesamt benötigten im Verlauf der
Studiendauer eine Hospitalisation als Folge
von Komplikationen ihrer cLBP. Der relativ
schlechte psychische Allgemeinzustand der
Studienpopulation (hohe Arbeitsunfähig-
keitsrate, Angst- und Depressionssymptome,
Vermeidungsverhalten, ungünstige Coping-
Strategien) kann einen Einfluss auf die Stu-
dienresultate gehabt haben.
O
Mariannne I. Knecht
Quelle: Nguyen C et al.: Intradiscal glucocorticoid injection for patients with chronic low back pain associated with active discopathy: a randomized trial. Ann Intern Med 2017: 166(8): 547–556.
Interessenlage: Die referierte Originalstudie wurde über ein Forschungsstipendium des französischen Gesundheitsministeriums finanziert und vom Département de la Recherche Clinique et du Dévelopement de l’Assistance Publique – Hôpitaux de Paris gesponsert.
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ARS MEDICI 13 I 2017