Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Mal einer der seltenen klugen Kommentare zur Frage «Wie lässt sich das Gesundheitssystem verbessern?» (NZZ, 23.6.2017). Dabei hätte der Kommentar bereits vor 40 Jahren geschrieben werden können. Wir Älteren kennen das: Die Kosten «explodieren» (tun sie natürlich nicht, sie steigen bloss an, etwa so wie die Preise der SBB-Tickets) und die Politiker in National- und Ständerat und allen voran die grad amtierenden Bundesräte und das BAG drehen – oder drohen zu drehen – an den Stellschrauben, von deren Funktion sie keine Ahnung haben. Mit den üblen Folgen des Gewerkels schlagen sich dann andere herum, in der Regel indem sie – mit gleich wenig Ahnung wie ihre Vorgänger – an andern Stellschrauben oder einfach andersherum drehen. Das sieht auch der kluge Kommentator und schlägt vor – es ist zu bezweifeln, dass er damit auf Verständnis stösst –, den «medizinischen» oder besser wissenschaftlichen Ansatz zu wählen. Nämlich verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Es ist das Prinzip der begleiteten Pilotprojekte; wir würden dem vielleicht Studien sagen. Eine unserem Föderalismus gut anstehende Idee. Wir hatten Ähnliches schon vor Jahren gefordert: So wie die Evidence-Based Medicine verhindert, dass der Patient mit unsinnigen, nutzlosen oder schädlichen Methoden traktiert wird, so könnte Evidence-Based Politics verhindern, dass Bürger und Steuerzahler, allen voran aber Patienten und Ärzte, mit immer neuen, immer gleichermassen wirkungslosen, immer ähnlich teuren Plänen überschüttet werden. Aber klar: Schlagen Sie das mal Politikern vor – die Antwort ist leicht zu erraten: Bitte was?
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Na gut, sicher gibt es Politiker, die den Evidence-Based-Ansatz gut fänden und sogar verstünden. Insofern ist so ein polemisches Gesundheitspolitiker-
Bashing natürlich ungerecht (auch wenn’s guttut). Ausserdem sollte man den guten Willen nicht gering schätzen, den sicher alle mitbringen, die das Gesundheitswesen «retten», das heisst bei noch besserer Qualität billiger werden lassen wollen. (Ob sie realisieren, wie absurd sich das anhört?) Und irgendwie kann man sogar verstehen, dass die meisten nur zwei Kostengruppen kennen, bei denen sich ohne all zu grossen Widerstand beziehungweise unter dem Beifall anderer Kostengruppen Druck machen lässt: Ärzte und Pharmaindustrie. Und schliesslich: Ein ganz klein wenig sind wir Ärzte ja auch nicht unschuldig daran, dass niemand Mitleid mit uns hat.
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In einer irrsinnigen Welt vernünftig sein zu wollen, ist schon wieder ein Irrsinn für sich. (Voltaire)
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Der Journalist behauptete, Wissenschaft und Journalismus basierten auf Vertrauen. Angestachelt von Politikern entziehe ein wachsender Teil der Bevölkerung beiden Institutionen dieses Vertrauen und halte gefälschte News für mindestens so plausibel wie echte. Wie, so die Frage des Journalisten, lässt sich das Vertrauen wiederherstellen? Er selbst meint, das sei möglich. Ist das Naivität oder Zweckoptimismus? Müsste die Antwort nicht ganz einfach lauten: Gar nicht!? Zum einen ist die Unentscheidbarkeit zwischen «Wahrheit» und Fake längst zu einer überaus erfolgreichen politischen wie medialen, ja sogar persönlichen Taktik geworden. Unentscheidbarkeit ist geradezu Ziel der Diskussion oder wird zumindest situativ eingeplant. Oder vielleicht ist Unentscheidbarkeit auch einfach jeder Aussage inhärent, insofern – mit Ausnahme der Mathematik und der Physik – jede Tatsache subjektiv ist und deshalb für ein anderes Subjekt Fake
sein kann. Natürlich wär’s schön, es kristallisierte sich irgendwo eine Gilde heraus, der man glaubt, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen, absichtslos, unideologisch und kompetent die paar Krönchen Wahrheit in der Wüste der Lügen aufspüren will und kann und es auch tut. Nur, bitte: Wer soll das sein? Journalisten und Politiker absichtslos?
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Albert Einstein: «Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.» Irgendwer (nicht Einstein): «Die reinste Form der Dummheit ist es, einfach mal etwas zu ändern und zu hoffen, dass es dann besser wird.» Es scheint, man muss nicht Einstein sein, um recht zu haben. Irgendwie. Manchmal.
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Wer nichts weiss, nichts gelernt hat, nichts kann und eigentlich auch nichts wissen, lernen und tun will und deswegen (oder weil der Arbeitgeber die verschütteten Qualitäten des Mitarbeiters einfach nicht erkannt hat) den Job verloren hat und nun einen neuen sucht, dem helfen Kurse. Vor allem Kurse zur Optimierung seiner Bewerbungsunterlagen. Im besten Fall eignet er sich dadurch eine nicht zu unterschätzende, wenn auch oft nur kurzfristig wirksame Fähigkeit an: die unverzichtbare «Kompetenz-Vortäuschungs-Kompetenz». Damit hat’s mancher schon recht weit gebracht.
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Und das meint Walti, gezeichnet von schlechter Erfahrung: Bei manchen Leuten bleibt einem am Ende nichts weiter übrig, als sie dafür zu loben, dass sie die Hosen richtig herum an haben.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 13 I 2017
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