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Mit Diät und Medikamenten gegen Meteorismus
Blähungen sind häufig und unangenehm. Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom können sie krankheitswertig werden und die Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Neben Diätmassnahmen stehen seit einigen Jahren auch mehrere wirksame medikamentöse Optionen für dieses Problem zur Verfügung.
Reno Barth
Bei Meteorismus müsse unterschieden werden zwischen dem subjektiven Gefühl des Geblähtseins und einer objektivierbaren Distension des Abdomens, sagte Prof. Dr. Vincenzo Stanghellini von der Universität Bologna an der United European Gastroenterology Week (UEGW) in München. Studien belegen eine Korrelation subjektiv wahrgenommener Blähungen und Distension – bei Reizdarmpatienten allerdings nur bei zirka 50 Prozent der Be-
Eine Mehrzahl der Betroffenen ist überzeugt, dass die Beschwerden mit dem Konsum bestimmter Lebensmittel in Zusammenhang stehen. «Wir wissen aber, dass nur wenige Patienten in der Lage sind, das angeschuldigte Lebensmittel in einem verblindeten Provokationstest zu identifizieren», sagte Dr. Jessica Biesiekierski von der Universität Leuven. «Dennoch versuchen die meisten Betroffenen, ihre Beschwerden durch Veränderungen der Ernährung in den
Nur wenige Patienten können das angeschuldigte Lebensmittel in einem verblindeten Provokationstest identifizieren.
troffenen (1). Meteorismus kann für manche Betroffene ausgesprochen belastend sein – laut Studiendaten aus Japan ist es sogar das belastendste Symptom, das Patienten mit Reizdarmsyndrom (IBS) angeben (2). Neben IBS sind Verstopfung, Übergewicht und weibliches Geschlecht die wichtigsten Risikofaktoren für krankheitswertige Blähungen (3). Leider trägt bei manchen Menschen die allgemein empfohlene ballaststoffreiche Kost zu diesem Problem bei. «Es wäre ein echter Fehler, bei diesen Patienten die Zufuhr von Ballaststoffen weiter zu steigern. In vielen Fällen empfehle ich, weniger Obst und Gemüse zu konsumieren», so Stanghellini. Der Einfluss der Ernährung auf die intestinale Gasproduktion ist in Studien gut dokumentiert (4).
Griff zu bekommen. Oft geht das so weit, dass es mit einer gesunden Ernährung nicht mehr kompatibel ist, weil die Patienten immer mehr Nahrungsmittel von ihrem Speiseplan streichen.» Tatsächlich gibt es jedoch Beweise dafür, dass bestimmte Nahrungsmittel oder Nahrungsbestandteile zu Blähungen führen können. Am besten sei die Datenlage für bestimmte Proteine wie Gluten, FODMAP (fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols) oder Ballaststoffe, so Biesiekierski. Die Wege, über die Nahrungsmittel zu gastrointestinalen Beschwerden führen können, sind komplex. Sie können über lösliche Nahrungsbestandteile oder über Wirkungen auf das Mikrobiom führen, das Epithel beeinträchtigen, Entzündung auslösen oder mit
dem enterischen Nervensystem interagieren.
FODMAP-arme Diät
Der Ausschluss sogenannter FODMAP zur Reduktion von Blähungen hat sich bewährt, wie mittlerweile auch eine Metaanalyse zeigt (5). «FODMAP sind eine Gruppe natürlich vorkommender, kurzkettiger Kohlenhydrate, die im Dünndarm schlecht resorbiert werden können. Sie verstärken den Einstrom von Wasser in den Darm und werden, sobald sie das Kolon erreichen, von den Darmbakterien fermentiert. Dabei kommt es zur Gasbildung», erläuterte Biesiekierski. Wer bereits unter einer funktionellen Darmerkrankung leide, reagiere darauf besonders empfindlich – mit Blähungen und Beschwerden. Zu den FODMAP gehört auch die Fruktose, wenn sie in grösseren Mengen als Glukose konsumiert wird. Bewegt sich der Glukose- und Fruktosekonsum im äquimolaren Bereich, kann die Fruktose gut resorbiert werden. Biesiekierski betonte, dass die Malabsorption von Fruktose physiologisch sei und bei jedem Menschen auftrete, dies aber nur bei Personen mit IBS oder anderen Darmerkrankungen zu Beschwerden führe. Ebenso kann eine Malabsorption von Sorbitol und Mannitol bei entsprechend empfindlichen Personen zu Symptomen führen. In der kürzlich publizierten Metaanalyse zur Wirksamkeit einer FODMAPreduzierten Diät (5) erwiesen sich Blähungen als das IBS-Symptom, das in den verfügbaren, nicht randomisierten Studien am deutlichsten und statistisch signifikant beeinflusst werden konnte. In den randomisierten Studien war der Effekt auf abdominale Schmerzen und Blähungen am grössten, blieb hier allerdings unter der Schwelle statistischer Signifikanz.
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Probleme bei FODMAP-armer Diät
Eine FODMAP-reduzierte Diät ist im täglichen Leben nicht leicht zu implementieren. Der sinnvollste Weg sei, so Biesiekierski, die persönliche Beratung durch Ernährungsfachleute. Dabei besteht auch die Möglichkeiten, die Diät an die individuellen Ernährungsgewohnheiten des Patienten anzupassen. Beispielsweise können Hülsenfrüchte durch langes Einweichen verträglicher gemacht werden, und bei Patienten mit Laktoseintoleranz ist die Laktasesub-
Am besten ist die Datenlage für Gluten,
FODMAP und Ballaststoffe.
stitution hilfreich. Die Diät sollte zunächst über vier Wochen strikt eingehalten werden. Wenn der Patient adhärent ist und keine Wirkung eintritt, ist auch bei längerem Durchhalten der Diät nicht mit Erfolgen zu rechnen. Bei gutem Ansprechen wird nach vier Wochen eine «Re-Challenge» (Provokation) empfohlen. Hinsichtlich einer längerfristigen Anwendung schafft die FODMAP-arme Diät einige Probleme. «Die Diät ist etwas teurer, und sie schafft Probleme mit dem sozialen Umfeld. Es wird schwierig, in Restaurants oder Kantinen zu essen, und auch gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie können zum Problem werden», sagte Biesiekierski. Dennoch ist die Adhärenz in Studien recht gut. In einer kürzlich publizierten Arbeit hielten 84 Prozent der Patienten eine modifizierte FODMAParme Diät durch und blieben im Median 16 Monate konsequent dabei (6). Auf Weizen, Milchprodukte und Zwiebeln wurde meist dauerhaft verzichtet. Langfristig sei zu beachten, dass die Patienten eine ausreichend nährstoffreiche Kost bekämen. Dies sei bei FODMAP-armen Diäten nicht immer ganz einfach, und in manchen Fällen müssten einzelne Nährstoffe auch supplementiert werden, so Biesiekierski. Ein Problem der FODMAP-armen Diät ist die Beeinflussung des Mikrobioms. Der Verzicht auf Laktose und Fruktane bewirkt einen massiven quantitativen Rückgang der Darmbakterien. Insbesondere sind davon Bifidobakterien betroffen. In Stuhlproben von Personen unter FODMAP-armer Diät war der Anteil butyratproduzierender Clostri-
dium coccoides reduziert und jener des schleimhautschädigenden Ruminococcus torques erhöht (7). «Diese Daten legen nahe, dass eine strenge LowFODMAP-Diät nur kurze Zeit durchgehalten werden sollte. Allerdings reichen auch die Studien nur über kurze Zeiträume, und wir haben keine Langzeitdaten», sagte Biesiekierski.
Glutensensitivität:
Fakt oder Fiktion?
Eine weitere Option ist die glutenfreie Ernährung. Wenn Patienten angäben, dass sie von Weizenprodukten Blähungen bekämen, sei es allerdings schwierig, die Symptome mit einem konkreten Inhaltsstoff in Verbindung zu bringen. So könnte durchaus auch die Kohlenhydratkomponente im Weizen für manche Personen unverträglich
Eine der ersten kontrollierten Studien in dieser Indikation wurde mit der Kombination von Aktivkohle und Simeticon (Disflatyl® Tropfen, Flatulex® Kautabletten und Tropfen) durchgeführt und ergab eine statistisch signifikante Reduktion der Blähungen (10). Die Reduktion der Blähungen konnte ebenfalls nach oraler Einnahme des Enzyms Alphagalaktosidase nachgewiesen werden (11). Die in Spargel vorkommende Betagalaktosidase reduzierte Blähungen bei Patienten mit Laktoseintoleranz (12). Probiotika könnten in Zukunft ebenfalls eine Rolle in der Behandlung der Patienten mit Blähungen spielen. Scarpignato wies allerdings darauf hin, dass die Wirkungen vom jeweiligen Mikrobenstamm abhängen, was umfangreiche Forschungsarbeiten und klinische
Es könnte eine Glutensensitivität abseits der Zöliakie geben.
sein. Allerdings sei es auch bereits gelungen, bei entsprechend empfindlichen Personen, die nicht unter Zöliakie litten, in einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie gastrointestinale Beschwerden durch Gluten nachzuweisen (8). «Es könnte also tatsächlich das Krankheitsbild einer Glutensensitivität abseits der Zöliakie geben. Allerdings ist die Studienlage dazu sehr heterogen und die Diskussion in vollem Gange», sagte Biesiekierski.
Medikamente gegen Meteorismus
Medikamentöse Optionen für die Behandlung bei Blähungen wurden erst in jüngster Zeit entwickelt. Noch Ende der Achtzigerjahre kamen die Autoren einer Übersichtsarbeit zu dem Ergebnis, dass es nicht eine einzige wirksame Substanz gegen Beschwerden aus dem IBS-Symptomkomplex gebe (9). «Erst in den vergangenen zehn Jahren wurden Blähungen als Endpunkt in randomisierten, kontrollierten Studien verwendet. Daher gibt es für die neueren Substanzen belastbare Evidenz. Allerdings ist in vielen Fällen nicht klar, ob diese Substanzen intrinsische Wirkungen auf die Gasbildung haben oder ob die Besserung der Blähungen ein Nebeneffekt der Wirkungen dieser Substanzen auf Obstipation oder Diarrhö ist», sagte Prof. Dr. Carmelo Scarpignato von der Universität Parma.
Studien erforderlich macht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne darum keine evidenzbasierte Empfehlung für den Einsatz von Probiotika gegen Meteorismus gegeben werden (13). Spasmolytika haben ebenfalls ihren Platz in der Behandlung bei Blähungen. So zeigte Otiloniumbromid (Spasmomen®) in einer grossen, internationalen Studie deutliche Wirkung auf Bauchschmerzen und Meteorismus (14). Ein altes und ebenfalls in kontrollierten Studien wirksames Spasmolytikum ist Pfefferminzöl. Eine erst seit Kurzem verfügbare Retardformulierung setzt das Öl erst im Dünndarm frei und erwies sich in einer kontrollierten Studie als wirksam bezüglich der IBS-Symptomatik inklusive Blähungen (15). So neu scheint diese Idee nicht zu sein, denn seit Langem sind magensaftresistente Pfefferminzkapseln verfügbar (z.B. Colpermin®), die das Öl normalerweise ebenfalls erst im Dünndarm freisetzen. Da Meteroismus mit verlangsamter Darmpassage assoziiert ist, liegt auch der Einsatz von Prokinetika nahe. Prucaloprid (Resolor®) hat sich in klinischen Studien bewährt, mit einem besonders deutlichen Effekt auf Blähungen (16). Bei Patienten mit Meteorismus werden Auffälligkeiten in der bakteriellen Besiedlung des Darms gefunden. Folglich stellt das lokal wirksame Antibiotikum
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Rifaximin eine weitere Option für die Behandlung bei Meteroismus und Reizdarmsyndrom dar (off label). Rifaximin wird nicht absorbiert und hat daher keine systemischen Wirkungen.
fung eingesetzte Guanylatzyklase-CAgonist Linaclotid (Axulta®, Constella®) (21) und der Chloridkanalaktivator Lubiproston (Amitiza®) (22) haben sich dabei besonders bei Patien-
Bei vielen Medikamenten ist unklar, ob sie intrinsische Wirkungen auf die Gasbildung haben oder ob die Besserung ein Nebeneffekt ihrer Wirkungen auf Obstipation oder Diarrhö ist.
Scarpignato wies darauf hin, dass unter Therapie mit Rifaximin das Profil des Darmmikrobioms weitgehend erhalten bleibe, Lactobazillus-Stämme (17) und Bifidobakterien (18) jedoch zunähmen, die zu entsprechenden metabolischen Veränderungen führten. Rifaximin habe sich in Bezug auf eine Besserung von Meteroismus im Vergleich zu Plazebo als signifikant überlegen erwiesen. In der Phase-III-Studie, die zur Zulassung von Rifaximin in der Indikation IBS führte (in der Schweiz keine Zulassung für diese Indikation), war Meteorismus ebenfalls ein Endpunkt (19). «Heutzutage ist Meteroismus nicht nur ein Symptom im Rahmen des IBS, sondern häufig iatrogen. Und zwar als Folge einer durch die Verschreibung eines PPI begünstigten bakteriellen Überwucherung des Dünndarms», sagte Scarpignato. Auch in dieser Indikation hat sich Rifaximin als wirksam erwiesen. Eine Metaanalyse belegt die signifikante Wirksamkeit von Rifaximin gegen Meteorismus bei Patienten mit einer Fehlbesiedelung des Dünndarms (SIBO: small intestinal bacterial overgrowth) (20). Scarpignato wies auch auf drei relativ neue Substanzen hin, die in Studien mit dem Endpunkt Meteorismus deutliche Wirksamkeit gezeigt haben. Der zur Behandlung des Reizdarms mit Verstop-
ten mit schweren Blähungen bewährt.
Ebenfalls gute Daten gibt es für den
2016 in Europa zugelassenen lokal
wirksamen Opioidrezeptormodulator
Eluxadolin (23).
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Quelle: United European Gastroenterology Week 2016; Session; «Management of bloating and flatulence», am 17. Oktober in Wien
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