Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 15.12.2016
Über 53 Prozent der Invaliditätsfälle aus psychischen Gründen
Martina Andrea Geissbühler Nationalrätin SVP Kanton Luzern
Kürzlich wurde vom Bundesamt für Statistik (BfS) die neueste IVStatistik veröffentlicht! Der hohe Anteil der IV-Bezüger aus psychischen Gründen (53%!) und der zusätzlich steigende Anteil an IV-Bezügern unter 25 Jahren lassen aufhorchen! Denn seit 1995 hat sich die Anzahl jugendlicher IVBezüger mit psychiatrischer Diagnose verdreifacht («Tages-Anzeiger» vom 4. Februar 2014)!
Während die totale Anzahl der IV-Bezüger von 240 905 (im Jahr 2010) auf 223 161 (im Jahr 2015) gesunken ist, stieg im gleichen Zeitraum der Anteil der IV-Bezüger aus psychischen Gründen von 117 991 (im Jahr 2010) auf 120 063 (im Jahr 2015).
Fragen: 1. Welche Massnahmen plant der
Bundesrat, um diesem steigenden Trend der Invalidität aus psychischen Gründen entgegenzuwirken? 2. Ist er sich des steigenden IVAnteils von Jugendlichen unter 25 Jahren bewusst?
3. Es sind Fälle bekannt geworden, die nach exzessivem Drogenkonsum (inkl. Cannabis) einen totalen Zusammenbruch erlitten und danach in psychiatrische Behandlung kamen und zu IV-Bezügern wurden. Was gedenkt er zu tun, um dieser Entwicklung im Zusammenhang mit Drogenkonsum entgegenzuwirken?
4. Jede Person, die aus psychischen Gründen für invalid erklärt wird, wird auch mit Psychopharmaka behandelt. Psychopharmaka haben aber massive und gefährliche Nebenwirkungen, und obwohl sie manchmal das Symptom unter-
drücken und sich die betroffene Person kurzfristig besser fühlt, kann sie damit die dahinterliegenden Probleme nicht lösen. Dazu kommt, dass bei einer Behandlung mit Psychopharmaka die Person in vielen Fällen nicht mehr arbeitsfähig ist und damit zu einem Langzeitpatienten wird. Was kann er unternehmen, um diesem Dilemma entgegenzuwirken und vermehrt Behandlungen mit Naturprodukten ohne Nebenwirkungen zu fördern?
Stellungnahme des Bundesrats vom 15.2.2017
1./2. Der Bundesrat ist sich der Problematik der steigenden Anzahl ausgesprochener Neurenten an junge Menschen und Personen mit psychischen Beeinträchtigungen durchaus bewusst. Aus diesem Grund hat er das Projekt «Weiterentwicklung der IV» lanciert, das Massnahmen zur Optimierung der IV für diese beiden Zielgruppen vorsieht. Die Vernehmlassung zur entsprechenden Vorlage dauerte vom 4. Dezember 2015 bis zum 18. März 2016, und die Botschaft wird im ersten Quartal 2017 ans Parlament überwiesen. 3. Im November 2015 hat der Bundesrat die Nationale Strategie Sucht 2017–2024 verabschiedet, die Teil der Agenda Gesundheit 2020 ist. Ziel der Strategie ist es, die Entstehung von Suchterkrankungen zu verhindern, den betroffenen Personen die nötige Hilfe und medizinische Behandlung zu
bieten, gesundheitliche und soziale Schäden zu verringern und die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu reduzieren. Bei der IV gilt gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes eine Sucht allein – sei dies eine Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit – nicht als Invalidität im Sinne des Gesetzes. Sie spielt hingegen eine Rolle, wenn sie eine Krankheit oder einen Unfall verursacht hat, die beziehungsweise der zu einer Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit führt und damit der Erwerbsfähigkeit schadet, oder wenn sie aufgrund einer solchen gesundheitlichen Beeinträchtigung entstanden ist. Wenn die Sucht einer versicherten Person die Evaluation ihres Gesundheitszustandes und ihrer Eingliederungsfähigkeit behindert, kann die IV zudem verlangen, dass sie sich
im Rahmen ihrer Mitwirkungsund Schadenminderungspflicht in eine Behandlung begibt. 4. Für einen Anspruch auf eine Rente müssen alle zumutbaren Massnahmen und somit auch zweckmässige medizinische Behandlungen ausgeschöpft sein. Welche Massnahmen jeweils angezeigt, zweckmässig und zumutbar sind, muss im Einzelfall von einer medizinischen Fachperson festgestellt werden. Der Einsatz von Psychopharmaka gehört in manchen, aber nicht in allen Fällen zur evidenzbasierten Behandlung von psychischen Erkrankungen. Gemäss verschiedenen Behandlungsrichtlinien von Fachgesellschaften sollten dabei pharmazeutische Behandlungen immer in Kombination mit einer Psychotherapie durchgeführt werden. Bei schweren Erkrankungsfällen schafft der Einsatz von Psychopharmaka oftmals die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Psychotherapie, in der dahinterlie-
gende Probleme angegangen werden können. Die kombinierte Therapie kann dazu beitragen, dass psychisch erkrankte Menschen berufstätig bleiben können oder der Wiedereinstieg in den Beruf so rasch als möglich gelingen kann. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit («Versorgungssituation psychisch erkrankter Personen in der Schweiz», Oktober 2016) zeigt, dass die Richtlinien der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen weitgehend berücksichtigt werden, im stationären Setting sogar bis zu 99 Prozent. Dabei ist der Einsatz von Naturprodukten in der Praxis bereits gut etabliert. Gemäss Expertenmeinung werden in 30 bis 40 Prozent der Behandlungen nebst synthetischen Substanzen auch phytotherapeutische eingesetzt (z.B. Rebalance, Redormin, Relaxane, Jarsin).
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ARS MEDICI 9 I 2017
POLITFORUM
INTERPELLATION vom 12.12.2016
Frühzeitige Erkennung von Brustkrebs bei Frauen mit erhöhtem Risiko – wer kommt in Zukunft dafür auf?
Liliane Maury Pasquier Nationalrätin SP Kanton
Am 17. Juni 2015 wurde die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) in mehreren Punkten geändert. Eine der neuen Bestimmungen, die am 1. Januar 2017 in Kraft treten, betrifft Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko. Fortan werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur noch die Kosten für Mammografien oder Mamma-MRI für die frühzeitige Erkennung von Brustkrebs übernommen, die in zertifizierten Brustzentren durchgeführt werden. Soll die Leistung in einer an-
deren Institution erbracht werden, ist vorgängig die Zustimmung des Versicherers einzuholen. Da es in der Schweiz nur wenige Brustzentren gibt, stelle ich dem Bundesrat folgende Fragen: 1. Ist der Bundesrat nicht der An-
sicht, dass diese Bestimmung schwer umsetzbar ist? Wenn nicht, wie kann sie seiner Meinung nach umgesetzt werden? 2. Ist der Bundesrat nicht der Ansicht, dass mit dieser Änderung für Frauen der Zugang zu Untersuchungen, die für sie erwiesenermassen notwendig sind, eingeschränkt wird?
Begründung Die oben erwähnte Änderung der KLV führt in der Praxis zu grossen Problemen. In vielen Kantonen
gibt es nämlich kein zugelassenes Brustzentrum. In anderen, wie zum Beispiel im Kanton Genf, gibt es nur eines, in diesem Fall das Zentrum im Genfer Universitätsspital (HUG). In Genf werden jährlich schätzungsweise 12 500 Mammografien bei Frauen mit mässig bis stark erhöhtem Brustkrebsrisiko durchgeführt, die nicht über das vom Kanton organisierte Screening laufen. Wenn diese 12 500 Untersuchungen ebenfalls vom HUG durchgeführt werden sollten, würde es theoretisch siebenmal mehr technische und personelle Ressourcen brauchen, was schlicht unmöglich ist. Wenn dagegen private Radiologieinstitute, die bis anhin diese Untersuchungen durchgeführt haben, diese Unter-
suchungen weiterhin durchführen sollen, hängt deren Kostenrückerstattung vom Goodwill des Versicherers ab. Da die Zahl der zugelassenen Brustzentren in der Schweiz begrenzt ist, ist diese Bestimmung in gewissen Kantonen möglicherweise nicht umsetzbar. Diese Änderung beeinträchtigt nicht nur die freie Ärztewahl, sondern könnte auch dazu führen, dass Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko der Zugang erschwert wird zu Untersuchungen, deren Notwendigkeit unbestritten ist und die ihre Gesundheit und ihr Leben schützen sollen.
Stellungnahme des Bundesrats vom 15.2.2017
1. Der Bundesrat erachtet die Gewährleistung einer hohen Qualität bei der Brustkrebsfrüherkennung für Frauen mit erhöhtem Risiko als sehr wichtig. Eine hochstehende Früherkennung soll unter anderem das Risiko für falschpositive Befunde mit der Folge der Verunsicherung und Belastung der Frauen sowie unnötigen Eingriffen möglichst tief halten. Der angesprochene Beschluss des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) vom 17. Juni 2015 verfolgt diese Zielsetzung. Er umfasst zwei Punkte: einerseits die zusätzliche Möglichkeit der Durchführung einer Magnetresonanztomografie (MRI) bei Frauen mit stark erhöhtem Brustkrebsrisiko gemäss einem risikobasierten Überwachungsprotokoll (in Kraft seit dem 15. Juli 2015) und andererseits die Vorgabe der
Durchführung in einem zertifizierten Brustzentrum, welche nach einer Übergangszeit von eineinhalb Jahren per 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Es besteht jedoch zu dieser Vorgabe auch die Ausnahmeregelung, dass für eine Durchführung in einer nicht zertifizierten Institution vorgängig die Zustimmung des Versicherers einzuholen ist. Die Übergangsfrist ermöglichte den bisher nicht zertifizierten Brustzentren, sich auf die neuen Vorgaben vorzubereiten. Derzeit gibt es in der Schweiz 19 zertifizierte Brustzentren. Die Untersuchungen können auch von Radiologen gemacht werden, die vertraglich einem zertifizierten Brustzentrum angeschlossen sind. Meldungen betreffend ungenügende Umsetzbarkeit oder Kapazitätsengpässe sind beim EDI oder beim Bundesamt für Gesundheit in dieser Zeit nicht eingegangen.
Der Bundesrat erachtet diese Massnahme zur Gewährleistung einer hohen Qualität als angemessen. Angesichts der seit Jahren geäusserten Forderungen nach mehr Qualität in der Gesundheitsversorgung erscheint dieser Schritt angezeigt und vertretbar. 2. Schätzungen zur Menge an Untersuchungen sind schwierig, da keine statistischen Daten von bis anhin durchgeführten Untersuchungen mit Verbindung zum Risiko der Frauen zur Verfügung stehen. Wie viele der bisher durchgeführten Mammografien ausserhalb des Screeningprogramms für Frauen ohne erhöhtes Risiko zur Abklärung von verdächtigen Befunden oder zur Früherkennung bei Frauen mit erhöhtem Risiko durchgeführt wurden, ist deshalb nicht bekannt. Weiter ist die Teilnahmerate in Bezug auf das neu geregelte Früherkennungsschema nicht bekannt.
Unter Berücksichtigung der Annahmen von Experten, die bei den seinerzeitigen Beratungen mitgewirkt haben, geht der Bundesrat hingegen von wesentlich tieferen Untersuchungszahlen als von der Interpellantin genannt aus. Zudem könnten die betroffenen Frauen von der bereits erwähnten Möglichkeit Gebrauch machen, die Untersuchung nach Einholung der Zustimmung des Versicherers in einer anderen qualifizierten Einrichtung durchführen zu lassen. Dementsprechend sieht der Bundesrat den Zugang zur Gesundheitsversorgung bei Brustkrebs nicht gefährdet. Sollten in der Praxis für die betroffenen Frauen dennoch relevante Probleme hinsichtlich des Zugangs auftreten, wird sich das EDI damit befassen und allenfalls Massnahmen ergreifen.
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