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ERNÄHRUNG UND UMWELT
Umweltwirkungen der Milchproduktion und Milchverarbeitung
Thomas Nemecek
Die Milchproduktion wirkt sich in vielfältiger Weise auf die Umwelt aus. Sowohl stickstoffhaltige Emissionen wie Ammoniak, Lachgas oder Nitrat als auch Methan spielen hierbei eine zentrale Rolle. Die Milchproduktion braucht zudem eine grosse Fläche für die Bereitstellung des Futters. Dadurch übt sie eine grosse Wirkung auf das Klima, die Versauerung, die Eutrophierung (Überdüngung) und die Biodiversität aus. Wichtige Faktoren für das Ausmass der Umweltwirkungen sind die Art der Fütterung, die Tierhaltung und die Milchleistung. Nachgelagerte Prozesse wie Verarbeitung, Verpackung, Lagerung und Transport haben meist einen deutlich geringeren Einfluss als die landwirtschaftliche Produktion. Durch eine gute Verwertung der Nebenprodukte und Vermeidung von Abfällen lassen sich diese Umweltwirkungen vermindern.
Thomas Nemecek
Umweltwirkungen in der Milchproduktion
Die Milchproduktion ist wichtig für die Schweizer Landwirtschaft, hat aber auch einen grossen Beitrag zu deren Umweltwirkungen (1). Ökobilanzen können solche Umweltwirkungen über ganze Wertschöpfungsketten aufzeigen (siehe Kasten). Wichtige Emissionen und Prozesse, welche die Umwelt beeinflussen, werden nachfolgend dargestellt: Ammoniak (NH3) entweicht hauptsächlich aus den tierischen Ausscheidungen, sei es im Stall, im Laufhof, aus dem Hofdüngerlager (Gülle und Mist) oder nach der Ausbringung von Hofdüngern auf dem Feld oder der Wiese. Besonders hohe Emissionen entstehen nach der Ausbringung von Gülle; sie können durch die Technik der Ausbringung (z.B. mit dem Schleppschlauchsystem) oder durch die Wahl des Zeitpunkts vermindert werden. Deutlich tiefere Ammoniakemissionen entstehen, wenn die Kühe auf der Weide sind. Ammoniak trägt zur Versauerung und Überdüngung von empfindlichen Ökosystemen bei. Auch nach der Anwendung von mineralischen Stickstoffdüngern entsteht Ammoniak, allerdings in geringerem Umfang als bei tierischen Ausscheidungen. Methan (CH4) wird hauptsächlich durch Mikroorganismen bei der Verdauung im Pansen der Kühe gebildet und ist ein 28-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid (CO2). Es entsteht in geringerem Masse auch bei der Lagerung der Hofdünger und aus den Ausscheidungen auf der Weide. Eine Reduktion der Methanemissionen ist schwierig, weil sie durch das Verdauungssystem der Wiederkäuer bedingt sind. Entscheidend ist vor allem eine gute Verwertung des
Futters, das heisst, dass aus einem Kilogramm Futter
möglichst viel Milch erzeugt wird.
Lachgas (N2O) wird bei den Umsetzungsprozessen von
Stickstoff gebildet und entweicht in die Atmosphäre, wo
es 265-mal stärker auf das Klima wirkt als CO2. Diese
Prozesse finden sowohl bei tierischen Ausscheidungen
als auch bei mineralischen Stickstoffdüngern statt. Die
Entstehung von Lachgas hängt stark von Wetterbedin-
gungen und vom Boden ab und ist deshalb schwierig zu
kontrollieren und vorherzusagen.
Stickstoff- und Phosphorverbindungen aus
tierischen Ausscheidungen und aus mineralischen Düngern können in die Gewässer gelangen und dort zur Überdüngung (sogenannter Eutrophierung) führen. Dadurch wird das Wachstum von Algen in
Effets environnementaux de la production laitière et de la transformation en produits laitiers
Gewässern stark gefördert, was zu einer unerwünschten Sauerstoffarmut bei ihrem Abbau führt. Sofern die Tiere das Futter nicht direkt von der Weide fressen, ist die Produktion
Mots clés: Pertinence pour le climat du secteur alimentaire – perte de biodiversité – changement d'affectation des terres – modes d’alimentation durables (=sustainable)
des Futters mit weiteren Aufwendungen verbunden. Futter vom Acker wie Getreide, Soja oder Mais bedingt den Einsatz von Saatgut, Düngern, Pestiziden, Maschinen mit entsprechenden Abgasen und hohem Energiebedarf und teilweise eine Bewässerung. Die Bereitstellung dieser Produktionsmittel ist mit Umweltwirkungen verbunden, und bei deren Anwendung entstehen Emissionen, welche die Umwelt belasten können. Wird Futter auf Grasland produziert, braucht es oft einen intensiven Maschineneinsatz mit vielen
La production de lait a de nombreux effets sur l’environnement. Les facteurs importants qui déterminent l’ampleur des effets environnementaux sont la nature du fourrage, le type d’élevage et le rendement laitier. Les processus en aval tels que le traitement, l’emballage, le stockage et le transport exercent le plus souvent des effets nettement moins marqués que la production agricole. Une bonne valorisation des sous-produits et la prévention de la production de déchets permettent de réduire ces effets environnementaux.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2017 19
ERNÄHRUNG UND UMWELT
Ökobilanzmethode
Die Ökobilanz oder Lebenszyklusanalyse ist eine Methode des Umweltmanagements (ISO-Normen 14040 und 14044) und hat zum Ziel, die Umweltwirkungen von Produkten, Prozessen und Systemen umfassend aufzuzeigen. Sie zeichnet sich durch zwei Hauptmerkmale aus: 1. Berücksichtigung eines Lebenszyklus («von der Wiege bis zur Bahre»): Es werden, ausgehend von der Gewinnung der Rohstoffe wie Erdöl oder Phosphaterz, Prozesse wie die Herstellung der Produktionsmittel, landwirtschaftliche Produktion, Verarbeitung, Lagerung, Verpackung und Transport bis zum Konsum berücksichtigt. 2. Die Ökobilanz strebt eine umfassende Bewertung aller relevanten Umweltwirkungen an wie Energiebedarf, Ressourcen-, Flächen- und Wasserbedarf, Treibhauspotenzial, Ozonbildung, Ozonabbau, Eutrophierung, Versauerung, Öko- und Humantoxizität, Biodiversität und Bodenqualität. Die Umweltwirkungen werden auf eine sogenannte funktionelle Einheit bezogen; oft ist dies 1 Kilogramm Produkt wie zum Beispiel Frischmilch oder Käse.
Überfahrten und Düngung mit entsprechenden Emissionen. Für den Winter muss Futter konserviert werden als Dürrfutter oder Silage, was ebenfalls entsprechende Aufwendungen bedingt. Weltweit wird eine grosse Fläche für die Milchproduktion genutzt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Biodiversität. Durch Umwandlung von naturnahen Flächen in landwirtschaftliche Nutzfläche für die Weide oder zum Anbau des Futters werden die Habitate vieler Pflanzen- und Tierarten verkleinert. Im Gegensatz zu Ackerflächen, wo direkt Nahrungsmittel angebaut werden können, ist bei Graslandflächen nur eine Nutzung durch Raufutter verzehrende Tiere möglich; in erster Linie sind das die Wiederkäuer Rinder, Schafe und Ziegen.
Faktoren mit Einfluss auf die Umweltwirkungen
Korrespondenzadresse: Dr. Thomas Nemecek Stellvertretender Forschungsgruppenleiter Ökobilanzen Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), Agroscope Forschungsbereich Agrarökologie und Umwelt Forschungsgruppe Ökobilanzen Reckenholzstrasse 191 8046 Zürich E-Mail: thomas.nemecek@ agroscope.admin.ch Internet: www.agroscope.ch
Solche Prozesse und Emissionen, die mit der Milchproduktion verbunden sind, wirken sich auf die Umwelt aus. Das Ausmass dieser Umweltwirkungen hängt jedoch von verschiedenen Faktoren wie Fütterung, Tierhaltung und Milchleistung ab: Fütterung: Bei den Futtermitteln wird zwischen Grundfutter wie Gras, Heu, Grassilage oder Maissilage einerseits und Kraftfutter wie zum Beispiel Getreide (Gerste, Weizen), Maiskörnern oder Sojaschrot andererseits unterschieden. Kraftfutter hat eine höhere Nährstoffdichte und daher mehr Energie oder Protein als Grundfutter. Hohe Milchleistungen pro Tier lassen sich nur durch hohen Einsatz von Kraftfutter erreichen. Die Produktion von Kraftfutter ist aber mit höheren Umweltwirkungen verbunden als die Produktion von Grundfutter. Tierhaltung: Insbesondere wenn die Tiere Gras selber auf der Weide fressen können, entfällt der Aufwand für Futterernte, Transport und Konservierung (Heutrockung oder Silagebereitung). Damit lassen sich mit diesen Prozessen verbundene Umweltwirkungen vermeiden (Treibstoffverbrauch, Emissionen von Traktoren, elektrischer Strom). Die Stallsysteme und die Art der Hofdüngerlagerung und -ausbringung können gewisse Emissionen stark beeinflussen.
Milchleistung: Mit steigender Milchleistung muss ein geringerer Anteil der Futterenergie für die Erhaltung aufgewendet werden, und entsprechend mehr Futterenergie steht für die Produktion von Milch zur Verfügung. Dies macht die Produktion effizienter. Allerdings ist zu beachten, dass auch mehr Kraftfutter eingesetzt werden muss, was zu unerwünschten Wirkungen auf die Umwelt führen kann. Milchproduktion ist eine effiziente Form der Graslandnutzung; sie erlaubt, Nahrungsenergie und qualitativ hochwertiges Protein mit deutlich geringeren Umweltwirkungen zu erzeugen als mit Rindfleisch (2). Zu beachten ist allerdings, dass die Produktion von Milch immer mit Rindfleisch gekoppelt ist, da die Milchkuh jedes Jahr ein Kalb gebären muss und am Ende ihres Lebens zu Fleisch verarbeitet wird. Eine Studie von Agroscope hat Milch und Käse aus Schweizer Produktion mit Importen verglichen (3). Dabei zeigte es sich, dass Schweizer Käse günstiger oder ähnlich für die Umwelt abschneidet im Vergleich mit den Importen. Dies wird auf die günstigen Bedingungen für das Graswachstum zurückgeführt, die zu guten Erträgen und einer hohen Qualität führen. Dadurch wird es möglich, Milch mit einem zurückhaltenden Einsatz von Kraftfutter zu produzieren.
Umweltwirkungen in der Milchverarbeitung
Die landwirtschaftliche Produktion dominiert die Umweltwirkungen; die nachgelagerten Stufen der Verarbeitung von Milch, Lagerung, Verpackung und Transport tragen maximal 30 Prozent zu den gesamten Umweltwirkungen bei; meist aber deutlich weniger. Bei der Milchverarbeitung spielen der Einsatz von Energie und Wasser eine wichtige Rolle. Die Herstellung von Käse ist relativ energieintensiv; noch bedeutender ist jedoch der Bedarf an Energie für die Herstellung von Milchpulver. Die Transporte spielen bei Käse und Milchpulver eine eher geringere Rolle, weil es sich um stark «konzentrierte» Produkte handelt. Für die Herstellung von 1 Kilogramm Hartkäse werden beispielsweise zirka 10 Liter Milch benötigt. Frischmilch und Produkte wie Joghurt oder Eiscreme müssen ständig gekühlt beziehungsweise tiefgekühlt werden, was den Aufwand für die Lagerung und den Transport erhöht. Eine wichtige Rolle bei der Milchverarbeitung spielen die Nebenprodukte. Bei der Käseherstellung beispielsweise entstehen grosse Mengen von Molke mit wertvollen Inhaltstoffen. Diese sollten möglichst gut für die menschliche Ernährung oder für die Fütterung unserer Nutztiere eingesetzt werden. Hier liegt ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Die Konsumenten können ebenfalls einen Beitrag leisten, indem sie nur das einkaufen, was sie auch fristgerecht verbrauchen können, und dadurch mithelfen, Abfälle bei den leicht verderblichen Milchprodukten zu vermeiden.
Literatur auf www.sze.ch abrufbar.
20 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2017