Transkript
Wird es in der Schweiz den selbstständigen Arzt in 20 Jahren noch geben?
Die Möglichkeit zur selbstständigen Berufsausübung wird durch die zunehmenden Regulierungen mehr und mehr eingeschränkt. Leidtragende sind sowohl Ärzte als auch Patienten. Die FMP setzt sich vehement dafür ein, den selbstständigen Arztberuf zu erhalten.
In der heutigen schnelllebigen Zeit ist diese Frage nach der Zukunft des selbstständigen Arztes absolut berechtigt. Die Antwort darauf würde bei kaum einem Arzt auf die Schnelle Ja oder Nein lauten. Um überhaupt eine Antwort zu formulieren, muss zuerst eine aktuelle Analyse des Gesundheitswesens und der geltenden Rahmenbedingungen erstellt werden. Diese fällt meines Erachtens für einen Arzt der kommenden Generationen nicht sehr motivierend und Erfolg versprechend aus.
Die Zufriedenheit mit dem Gesundheitswesen in der Schweiz Das Schweizer Gesundheitswesen darf nach wie vor und insbesondere auch im internationalen Vergleich als sehr gut bezeichnet werden – zumindest aus Sicht des Patienten. Eine Erhebung unter Ärzten mit der Frage, ob sie mit dem heutigen Gesundheitssystem zufrieden seien, ergäbe wohl eine andere Antwort. Bis vor wenigen Jahren haben die Ärzte mehrheitlich zugeschaut, wie sich die politisch diktierten Rahmenbedingungen zusehends zum Nachteil der Ärzteschaft veränderten. Dieses passive Verhalten der Ärzte hatte verschiedene Gründe. Namentlich der für politische Aktivitäten notwendige Zeitaufwand dürfte eine Rolle gespielt haben, aber auch Bequemlichkeit und gar mangelndes Interesse oder fehlende Motivation. Ein gewisser Pessimismus breitet sich aus: Man meint, sowieso nichts ändern zu können. Und offenbar geht es uns Ärzten ja tatsächlich noch zu gut, denn wir haben uns nicht wirklich vehement gegen all die neuen Bestimmungen und Anpassungen gewehrt: die Einführung des Numerus clausus für das Medizinstudium, die Einführung von Tarmed
Der besseren Lesbarkeit wegen verzichten wir auf die weibliche Form, gemeint sind immer beide Geschlechter.
und DRG, den sukzessiven Rückgang des Taxpunktwertes, den drohenden Verlust der Tarifautonomie, das Aufrechterhalten des Ärztestopps, die gesetzlich vorgeschriebenen Datenerhebungen (MARS) und so weiter. In den letzten zwei bis drei Jahren sind die Unzufriedenheit und die Zahl der aufbegehrenden Ärzte beziehungsweise Ärzteorganisationen allerdings deutlich gestiegen. Dies zeigt sich gut an der stetig zunehmenden Zahl von Artikeln über die Entgeltung der ärztlichen Leistung, den Tarmed und all seine Revisionen, aber auch an den zahlreichen Beiträgen über den Arzt als Unternehmer, über die ständig steigenden Anforderungen an sein paramedizinisches Wissen und über die der Entwicklung geschuldeten betriebswirtschaftlichen Anpassungen des Praxisbetriebes.
Die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen Das heutige Gesundheitswesen der Schweiz wird durch das KVG bestimmt. Unser derzeit politisch Verantwortlicher fürs Gesundheitswesen, Bundesrat Alain Berset, hat im Jahre 2004 das Recht zu Anpassungen im Gesundheitswesen erhalten. Seither und vor allem mit dem Projekt «Gesundheit 2020» formulierte er viele Vorschläge und Bestimmungen, die in Richtung Staatsmedizin gehen. Dem Arzt wurde mit Einführung des Tarmed im Jahre 2004 manches versprochen, so etwa der Erhalt einer gerechten stabilen Entlöhnung. Von alledem ist nichts geblieben, die Taxpunktwerte sanken jedes Jahr, und heute droht uns gar der Verlust der Tarifautonomie im ambulanten Bereich. Sicher ist heute schon, dass der Staat ab 2018 die Tarife im ambulanten Bereich vorgeben und damit die Abgeltung des Arztes beziehungsweise unseren Lohn bestimmen wird. Diese Tendenz
widerspricht der Idee des freiberuflich tätigen, selbstständigen Arztes.
Die Anforderungen und der wirtschaft-
liche Druck steigen, die Attraktivität des
Arztberufes nimmt ab
Ein junger Arzt denkt heute nur bedingt
über die Selbstständigkeit nach. Nach lan-
gem Studium und am Ende seiner Ausbil-
dung realisiert er nämlich, dass die politi-
schen Rahmenbedingungen im Gesund-
heitswesen ständig ändern, das heisst völlig
instabil sind und damit unzuverlässig für
Zukunftsberechnungen. Hinzu kommt, dass
die Höhe der Abgeltung der ärztlichen Leis-
tung seit Jahren abnimmt und niemand
sagen kann, was ein Arzt in 10 oder 20 Jah-
ren verdienen wird. Demgegenüber steigen
die Anforderungen an eine selbstständige
Tätigkeit, und die administrativen Arbeiten
und der Betriebsaufwand werden immer
grösser. Das wohl beste Beispiel sind die
steigenden IT-Kosten in jedem medizini-
schen Betrieb. Wo soll unter diesen Bedin-
gungen für einen jungen Arzt die Motiva-
tion herkommen, selbstständig zu werden?
Wollen wir Ärzte, angestellt oder nicht an-
gestellt, wirklich, dass der freiberufliche
Arzt und überhaupt die Möglichkeit zur
Selbstständigkeit verschwinden? Ist es nicht
bedenklich, dass schon heute einzelnen
Ärzten in gewissen ländlichen und städti-
schen Gebieten Kredite von einer Bank ver-
weigert werden, weil Letztere nicht an den
Erfolg des selbstständigen Arztes glaubt?
Es ist meines Erachtens höchste Zeit, dass
wir Ärzte, Allgemeinmediziner wie Spezia-
listen, endlich zusammenspannen, um we-
nigstens die Möglichkeit zur selbstständi-
gen Tätigkeit für jeden Fachbereich in der
Medizin für die nächsten Generationen zu
erhalten. Wir von der FMP Schweiz unter-
stützen daher alle Projekte, welche zum Er-
halt des selbstständigen Arztes beitragen,
etwa die Bestrebungen der AGZ, die Stel-
lung und den Wert des Arztes in der Bevöl-
kerung zu stärken.
O
Dr. med. Gerardo Juan Maquieira Präsident FMP Schweiz
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ARS MEDICI 8 I 2017