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BERICHT
Tipps bei der Antidiabetika-Wahl
SGED hat ihre Empfehlungen angepasst
In den letzten 20 Jahren haben sich die medikamentösen Möglichkeiten in der Typ-2-Diabetes-Therapie vervielfacht. Standen in den Achtzigerjahren mit Metformin und Sulfonylharnstoffen 2 Medikamentenklassen zur Verfügung, so kann heute zwischen 8 Klassen gewählt werden. Zusammen mit all den Kombinationsmöglichkeiten kommt man auf gegen 70 Optionen. Nach welchen Kriterien soll die geeignete Therapie nun gewählt werden?
Valérie Herzog
«Wichtig ist es, auf die Evidenz zu schauen», betont Prof. Roger Lehmann, Leitender Arzt für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung sowie Leiter Diabetologie und Inseltransplantationsprogramm, Universitätsspital Zürich, am 21. Herzkreislauftag in Zürich. Die Senkung des Blutzuckers bewirkt eine Reduktion von mikrovaskulären Komplikationen wie Neuropathien, Nephropathien und Retinopa-
MERKSÄTZE
O Bei einer eGFR < 30 ml/min Therapie mit DPP-4-Hemmern und/oder Insulin.
O Bei kardiovaskulärer Erkrankung empfiehlt sich eine frühe Kombination von Metformin plus SGLT-2-Hemmer (Empagliflozin) oder GLP-1-RezeptorAgonisten (Liraglutid).
O Ohne kardiovaskuläre Anamnese Metformin plus SGLT-2-Hemmer (Empagliflozin), GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Liraglutid) oder DPP-4-Hemmer wählen.
O Bei Herzinsuffizienz Einsatz des SGLT-2Hemmers (Empagliflozin).
O Insulinmangel mit lang oder ultralang wirksamem Insulin behandeln
thien. Für eine Senkung von makrovaskulären Komplikationen wie zum Beispiel kardiovaskulären Ereignissen und damit der Mortalität braucht es jedoch sehr viel mehr Zeit. Ein solcher Effekt konnte nach 17 Jahren in der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) bewiesen werden. Der in jüngerer Zeit eingeführte SGLT-2-Hemmer Empagliflozin und der GLP-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid konnten in der EMPA-REG-OUTCOME- beziehungsweise der LEADER-Studie wieder einen mortalitätssenkenden Effekt (−33 bzw. −15%) bei Hochrisikopatienten schon nach viel kürzerer Zeit als noch in der UKPDS zeigen (1, 2). Diese neuen Daten wurden nun in die aktuellen Therapierichtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) aufgenommen (3) (Tabelle 1).
Vier Fragen führen zum Ziel
Liegt der HbA1c-Wert über dem individuellen Zielbereich, müssen für eine erfolgreiche Therapiewahl vier Fragen beantwortet werden: 1. Braucht der Patient Insulin? 2. Sind kardiovaskuläre Erkrankungen
vorhanden? 3. Liegt die glomeruläre Filtrationsrate
(GFR) unter 30 ml/min? 4. Besteht eine Herzinsuffizienz oder ein
hohes Risiko dafür?
Akronyme
LEADER Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of Cardiovascular Outcome Results – A Long Term Evaluation
EMPA-REG OUTCOME Empagliflozin Cardiovascular Outcome Event Trial in Type 2 Diabetes Mellitus Patients
DURATION-8 Combination of Exenatide Once Weekly and Dapagliflozin versus Exenatide or Dapagliflozin for Type-2-Diabetes
Das HbA1c-Ziel folgt keiner strikten Tabelle. Es muss den Lebensumständen angepasst werden und wird anhand von verschiedenen Parametern wie Motivation, Diabetesdauer, Hypoglykämierisiko, Komorbiditäten, Lebenserwartung, bestehenden vaskulären Komplikationen sowie anhand allfällig vorhandener Unterstützung (s. Abbildung) definiert. Der Durchschnitt aus allen Parametern ergibt dann das ungefähre HbA1c-Ziel. Hat der Patient einen sehr hohen HbA1c-Wert und ist er metabolisch dekompensiert (Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie), ist eine initiale Insulintherapie nie falsch und eine gute Wahl. Nach Rekompensation der Stoffwechsellage muss evaluiert werden, ob wirklich ein Typ-2-Diabetes vorliegt und es sich nicht um einen Typ 1 oder eine spezifische Diabetesform (chronische Pankreatitis, monogener Diabetes) handelt. Bei einem Diabetes mellitus Typ 2 kann eine Umstellung auf eine orale Therapie versucht werden, bei den anderen Typen ist meist Insulin die Therapie der Wahl. Liegt eine kardiovaskuläre Erkrankung vor, bieten
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Tabelle 1:
Empfehlungen der SGED 2016
Wirkstoffklasse
Reduktion Relative HbA1ckardiovaskulärer Senkung Komplikationen (Effektivität)
Niereninsuffizienz (eGFr < 45/< 30 ml/min)
Hypoglykämierisiko
Effekt auf Applikation Tageskosten Körpergewicht
SGLT-2-Hemmer GLP-1-Rezeptor-Agonisten Metformin DPP-4-Hemmer Insulin (i.d.R. basal) Sulfonylharnstoffe
↓↓ ↓↓ ↓ (Langzeit) ↔ ↔
↔
↓–↓↓ ↓↓(↓)
↓ ↓ ↓↓↓
↓
+/+/+/+/+ +/+
-/-
↔ ↓↓ oral $$
↔
↓↓↓
Injektion
$$$
↔ ↓ oral $
↔ ↔ oral $$
↑↑
↑↑
Injektion
$–$$
(Art/Dosis)
↑ ↑ oral $
Je nach Zielsetzung in der Horizontalen ergeben sich vertikal die geeigneten Substanzklassen.
sich gemäss den Empfehlungen der SGED die frühe Kombination von Metformin mit SGLT-2-Hemmern (Empagliflozin) oder GLP-1-RezeptorAgonisten (Liraglutid) an. Die Wahl erfolgt je nach individueller Präferenz für orale oder zu injizierende Präparate.
Ein Hypoglykämierisiko besteht bei beiden Präparaten nicht, und es ist mit einer Körpergewichtsreduktion zu rechnen. Ist die Anamnese aus kardiovaskulärer Sicht bland, kann Metformin entweder mit DPP-4-Hemmern, GLP-1-Rezep-
HbA1c-Ziel setzen
sehr streng
weniger streng
Einstellung des Patienten und Therapiemotivation
Risiko für Hypoglykämien, andere Nebenwirkungen
Diabetesdauer
hoch motiviert, adhärent
weniger motiviert, nicht adhärent
kümmert sich exzellent um sich
kümmert sich schlecht um sich
tief hoch
neu diagnostiziert
lange Diabetesdauer
Lebenserwartung
lang
kurz
Wichtige Komorbiditäten
keine
wenige/mild
schwer
Bestehende vaskuläre Komplikationen
keine
wenige/mild
schwer
Ressourcen, Unterstützung Individuelles HbA1c-Ziel
alles vorhanden 5,5 6,0
limitiert
6,5
7,0 7,5 8,0 nach Diabetologia 2012; 55: 1577–1596
Abbildung: Der vertikale Durchschnitt aus jedem Parameter ergibt das HbA1c-Ziel.
tor-Agonisten oder SGLT-2-Hemmern gegeben werden. Ist infolge Verschlechterung des HbA1c und Gewichtszunahme über die Jahre eine Eskalation notwendig, sind weitere Kombinationen möglich, wobei auf eine Erhöhung des Hypoglykämierisikos und die Gewichtszunahme unter Insulin und Sulfonylharnstoffen zu achten ist. «Die beste Kombination zur Vermeidung dieser Risiken ist wahrscheinlich die Kombination von GLP-1-Rezeptor-Agonist plus SGLT-2-Hemmer, wie in der kürzlich publizierten DURATION-8-Studie (4), doch das wird von der Krankenkasse noch nicht zurückerstattet», bedauert Lehmann. Liegt eine chronische Niereninsuffizienz (CKD) vor, beeinflusst deren Stadium anhand der GFR die Wahl des Antidiabetikums beziehungsweise die Dosisanpassung. Ein CKD-Stadium IIIb mit einer GFR zwischen 45 und 30 ml/min erfordert Anpassungen. Metformin soll nicht neu verschrieben und bereits eingesetztes in der Dosis halbiert werden, SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten sind nephroprotektiv und brauchen keine Anpassung – ebensowenig wie DPP-4-Hemmer und Insulin. Sulfonylharnstoffe sind abzusetzen. Sinkt die GFR unter 30 ml/min, wird die orale Therapie sehr limitiert, und es kommen lediglich DPP-4-Hemmer (Linagliptin ohne Dosisanpassung, Sitagliptin mit Dosisreduktion) und bei Bedarf zusätzlich Insulin infrage. Ultralang wirksame Basalinsuline (Tresiba®, Toujeo®) bergen ein wesentlich kleineres Hypoglykämierisiko.
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Antidiabetika (Beispiele)
Wirkstoffklasse Biguanid SGLT-2-Hemmer GLP-1-Agonist DPP-4-Hemmer
Sulfonylharnstoff
Substanz Metformin Empagliflozin Liraglutid Sitagliptin Linagliptin Saxagliptin Gliclazid
Herzinsuffizienz vermeiden
Die vierte Frage dreht sich um die Prävention oder die Verbesserung einer bestehenden Herzinsuffizienz. Alle Daten sprechen hier für den SGLT-2-Hemmer Empagliflozin. In der EMPA-REG-Studie führte er zu einer Risikoreduktion für Hospitalisation infolge Herzinsuffizienz unter Empagliflozin 10 mg vs. Plazebo von 38 Prozent (p = 0,002). Die Risikoreduktion für die Gesamtmortalität betrug versus Plazebo 30 Prozent
Handelsname
Glucophage® od. Generika
Jardiance®
Victoza®
Januvia®, Xelevia® Trajenta® Onglyza®
Diamicron® od. Generika
(p < 0,001) (1). DPP-4-Hemmer (ausser Saxagliptin), GLP-1-Rezeptor-Agonisten, Insulin sowie Metformin sind in dieser Hinsicht indifferent.
Fazit Soll also nach allen Regeln der Kunst eine Therapie ohne Hypoglykämien und ohne Gewichtszunahme etabliert werden – was dem Wunsch der meisten Patienten entspricht –, muss Metformin mit einem SGLT-2-Hemmer oder
einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten gewählt werden, so das Fazit von Lehmann. Sollte der Effekt dann noch ungenügend sein, kann zum SGLT-2Hemmer ein DPP-4-Hemmer oder ein Sulfonylharnstoff wie Gliclazid zugegeben werden, womit aber wieder ein geringes Hypoglykämierisiko besteht. O
Valérie Herzog
Quelle: 21. Herzkreislauftag, 1.12.2016, «Vor- und Nachteile der neuen Medikamente», Zürich.
Literatur: 1. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular out-
comes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128. 2. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322. 3. Empfehlungen der SGED/SSED: Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. http://sgedssed.ch/fileadmin/files/6_empfehlungen_fachpersonen/61_richtlinien_fachaerzte/SG ED_Empfehlung_BZ-Kontrolle_T2DM_Finale_Version_12_korr_17.10.16.pdf. Letzter Zugriff: 6.2.2017. 4. Frias JP et al.: Exenatide once weekly plus dapagliflozin once daily versus exenatide or dapagliflozin alone in patients with type 2 diabetes inadequately controlled with metformin monotherapy (DURATION-8): a 28 week, multicentre, double-blind, phase 3, randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4: 1004–1016.
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