Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 29.9.2016
Ärztemangel als wirkliches Problem?
Heinz Brand Nationalrat SVP Kanton Graubünden
Der Bundesrat wird gebeten, folgende Fragen zu beantworten: 1. Stellt der via Medien behauptete
«Ärztemangel» die rechtzeitige und ausreichende Behandlung der Bevölkerung heute und in den nächsten 15 Jahren tatsächlich infrage? 2. Ist mit der heutigen geografischen und elektronischen Mobilität der Bevölkerung und den modernen Möglichkeiten der medizinischen Rettungs- und Einsatzkräfte die landesweit
unterschiedliche Ärzte- und Spitaldichte wirklich ein Problem, welches die ausreichende Gesundheitsversorgung ernsthaft gefährdet? 3. Ist er nicht auch der Meinung, dass die Versorgungssituation in der Schweiz insgesamt von Überversorgung und Mengenausweitung gekennzeichnet ist? 4. Handelt es sich nicht eher um «Scheinlücken», die einem OECD-Vergleich nicht standhalten? 5. Ist er nicht auch der Meinung, dass Überversorgung und Mengenausweitung beziehungsweise überflüssige und ineffiziente Leistungen wichtige Gründe für die permanent übermässig ansteigenden Gesundheitskosten hierzulande sind?
6. Teilt er die Auffassung, dass die auch von ihm in Gesundheit 2020 dargelegte Effizienzschwäche des schweizerischen Gesundheitswesens wesentlich eine Folge der politisch beeinflussbaren Faktoren Überversorgung, Vertragszwang sowie fehlende Qualitätstransparenz der Leistungserbringer ist?
Begründung Via Medien wird vor einem «Ärztemangel» gewarnt, der heute vor allem Hausärzte, künftig auch Spezialärzte betreffe. Die OECD-Statistiken 2013/11 zeigen ein anderes Bild: Bei der Ärzteanzahl liegt in Mitteleuropa nur Österreich vor der Schweiz (4 Ärzte pro 1000 Einwoh-
ner; Benchmark 3,3). Beim Alter der Ärzte liegt die Schweiz unter dem Benchmark der OECD, was die These «Überalterung» relativiert. Das Potenzial weiblicher Ärzte ist bei uns aber noch nicht ausgeschöpft; wir verfügen mit rund 40 Prozent über vergleichsweise tiefe Werte. Beim Anteil Allgemeinpraktiker (28%) liegt die Schweiz international fast im OECD-Durchschnitt. Bei der Psychiatrie hingegen überschreiten wir die Vergleichswerte um das Dreifache (4,5 pro 10 000 Einwohner; Benchmark 1,5), beim weiteren Gesundheitspersonal um rund das Doppelte (17,4 pro 1000 Einwohner; Benchmark 9,1). Sorge bereitet allenfalls der «Ärzteimport», wo die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern rund 10 Prozent über dem Durchschnitt liegt.
Am 2.12.2016 antwortet der Bundesrat darauf wie folgt (leicht gekürzt):
1. Mit 4 Ärztinnen und Ärzten pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner im Jahr 2013 gehört die Schweiz zu den OECD-Ländern mit der höchsten Ärztedichte. Die Anzahl Ärztinnen und Ärzte pro Einwohnerin und Einwohner schwankt jedoch sehr stark je nach Kanton und Spezialisierung. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass sich die Schweiz im Allgemeinen eher in einer Überversorgungssituation befindet, auch wenn es lokal – insbesondere in der Grundversorgung – Engpässe geben kann. Über 30 Prozent der in der Schweiz praktizierenden Ärztinnen und Ärzte verfügen über einen ausländischen Abschluss, und ihr Anteil wächst von Jahr zu Jahr. Um die Auslandabhängigkeit zu verringern und die Versorgung in Zukunft möglichst mit mehr im Inland ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten zu sichern, hat der Bundesrat im Rahmen der Begleitmassnahmen zur Umsetzung von Artikel 121a BV und der
Fachkräfte-Initiative beschlossen, zusammen mit den Kantonen Massnahmen für eine nachhaltige Erhöhung der Anzahl Abschlüsse in Humanmedizin zu ergreifen. Hierfür sieht er im Rahmen der Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation 2017–2020 einen Zusatzkredit von 100 Millionen Franken vor. Die Erhöhung der Anzahl Abschlüsse ist keine isolierte Massnahme. Im Rahmen der bundesrätlichen Strategie Gesundheit 2020 sind zahlreiche weitere Massnahmen ergriffen worden, mit denen die medizinische Grundversorgung, die interprofessionelle Zusammenarbeit und die bedarfsgerechte Verteilung der Ärztinnen und Ärzte auf die verschiedenen Fachgebiete der Medizin gestärkt werden. 2.–6. Im Rahmen der geltenden Verfassung liegt die Gesundheitsversorgung im Kompetenzbereich der Kantone. Um die Steuerung im ambulanten Bereich zu verbes-
sern, wären die kantonalen Behörden ermächtigt gewesen, den Versorgungsbedarf in Bezug auf die als optimal bestimmte Versorgungsqualität zu ermitteln, und dies in Koordination untereinander. In einem System mit Vergütung nach Einzelleistungen besteht ohne Steuerung das Risiko, dass die Anzahl Konsultationen und die Menge ärztlicher Eingriffe mit der Ärztedichte steigen, was die Kosten in die Höhe treibt. Deshalb unterstützte der Bundesrat die Verlängerung der Gültigkeit von Artikel 55a KVG, mit der die Kantone die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten für weitere drei Jahre einschränken können. Er bemüht sich entschieden darum, eine langfristige Alternative zu dieser Massnahme zu finden, um den Kostenanstieg bei den Leistungen des ambulanten Bereichs einzudämmen, wobei gleichzeitig der Zugang der Bevölkerung zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung ge-
währleistet sein soll. Kriterien wie die Ärztedichte und die Angebotsqualität werden berücksichtigt, und verschiedene Stossrichtungen wie eine Lockerung des Vertragszwangs oder eine Tarifdifferenzierung, beispielsweise nach Region, Leistungspalette oder Qualitätskriterien, werden geprüft. Zudem hat das EDI am 2. September 2016 angekündigt, dass es weitere Massnahmen prüft, um den Kostenanstieg zulasten der Krankenversicherung in den Griff zu bekommen. Es wird auch Modelle analysieren, die in anderen europäischen Ländern zur Steuerung des Mengenwachstums eingesetzt werden. Im Vordergrund stehen Deutschland und die Niederlande, die vergleichbare Gesundheitssysteme haben. Sie wenden im stationären wie auch im ambulanten Bereich Steuerungsinstrumente bei den Budgets oder der Menge der zu erbringenden Leistungen an.
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ARS MEDICI 7 I 2017
POLITFORUM
INTERPELLATION vom 29.11.2016
Prämienanstieg der obligatorischen Krankenversicherung stoppen Ansatzpunkte und Lösungsvorschläge! Welche Rezepte hat der Bundesrat?
Thomas de Courten
Nationalrat SVP Kanton BaselLandschaft
Der ungebremste Prämienanstieg in der Krankenversicherung beschäftigt und belastet Familien und Haushalte immer stärker. Bundesrat und Parlament sind gefordert. Welche der nachstehend vorgeschlagenen Ansatzpunkte und Massnahmenvorschläge zur Eindämmung der stetig wachsenden Gesundheitskosten und des damit verbundenen Prämienanstiegs in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) erachtet der Bundesrat als wirtschaftlich, zweckmässig und wirksam? Welche ist er politisch selbst einzubringen oder zumindest zu unterstützen bereit?
1. Beschränkung des Leistungskatalogs der OKP auf das medizinisch Erforderliche, Verzicht auf nur Wünschbares.
2. Stärkere Kostenbeteiligung der Patienten bei Bagatelle-Arztbesuchen.
3. Stärkung der Eigenverantwortung durch höhere Wahlfranchisen, honoriert durch Prämienreduktionen.
4. Einschränkung der Wahlfreiheiten in der Grundversicherung.
5. Höhere Hürden bei der Inanspruchnahme bzw. Erteilung von Krankheitsdispensen im Beruf.
6. Beschränkungen des Zugangs zu «Notfall»-Leistungen in Bagatellfällen.
7. Lockerung des Vertragszwangs der Krankenversicherer gegenüber den Leistungserbringern.
8. Überprüfung der Tarife und Tarifstrukturen im stationären und im ambulanten Bereich.
9. Mehr Transparenz für die Kostenträger bei der Diagnose und Rechnungsstellung der Leistungserbringer.
10. Lockerung des Krankenversicherungsobligatoriums.
11. Einschränkungen der Leistungspflicht bei hoch- und höchstpreisigen, ausschliesslich lebensverlängernden medizinischen Massnahmen.
12. Einschränkung der OKP-Leistungspflichten gegenüber Asylanten, Sans-Papiers und Flüchtlingen.
13. Reduktion der Medikamentenüberversorgung durch konsequente Anwendung des therapeutischen Wirkungs- und Qualitätsnachweises.
14. Mehr Transparenz und Wettbewerb in der Angebotsplanung.
15. Mehr Transparenz und Kostenkontrolle bei den gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Spitzenmedizin, der Forschung und der Lehre.
16. Auflösung der Interessenkonflikte der Kantone aus der Mehrfachrolle als Planer, Besteller, Eigner, Leistungserbringer, Schiedsrichter und Aufsichtsorgan.
17. Forcierung von effizienten Behandlungskonzepten, Fallpauschalen und Managed-CareModellen.
18. Kostenerstattung nur bei nachweislich erfolgreicher Leistungserbringung (z.B. nicht bei Fehloperationen oder spitalbedingten Nachbehandlungen).
Dies die Antwort des Bundesrats vom 15.2.2017
Der Bundesrat teilt die Besorgnis des Interpellanten über die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung und die damit verbundene finanzielle Belastung insbesondere der Familien. Er hat bereits im Rahmen der Botschaft vom 26. Mai 2004 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung festgehalten, dass für die Kostenentwicklung nicht die Pflichtleistungen per se entscheidend sind, sondern die Häufung unangemessener Anwendungen im Einzelfall und daher Bestrebungen, die zu einer Reduktion des Volumens medizinisch nicht indizierter und damit unnötiger Leistungen führen, intensiviert werden müssen. Die vom Interpellanten aufgeführten Ansatzpunkte und Massnahmenvorschläge wurden seither grösstenteils in Vorstössen, aber auch in Vorschlägen des Bundesrates thematisiert. So wurden z. B. die Lockerung des Vertragszwanges oder die Einführung eines Behandlungsbeitrages von 30 Franken für die ersten sechs Besuche bei einem Arzt oder einer Ärztin bzw.
in einem Spitalambulatorium vom Parlament abgelehnt. Entsprechend beschränkt sich der Bundesrat nachfolgend auf eine generelle Einschätzung zu den Möglichkeiten der Kosteneindämmung und verzichtet auf eine detaillierte Stellungnahme zu den einzelnen Punkten. Im Rahmen der Strategie Gesundheit 2020 hat der Bundesrat die Kostendämpfung in der Krankenversicherung denn auch als eine der Hauptzielsetzungen aufgenommen und mehrere Ziele und Massnahmen definiert. So wurde auch eine Reihe von Massnahmen ergriffen, welche die Gesundheitskosten bereits um mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr gesenkt haben. Weitere Massnahmen sind eingeleitet, die in den kommenden Jahren die nächsten spürbaren Einsparungen bringen werden. So soll die Prüfung der kassenpflichtigen Arzneimittel ab 2017 wieder aufgenommen werden, und es sollen bei Originalen wie bei den Generika namhafte Einsparungen erzielt werden. Zudem ist das
Bundesamt für Gesundheit daran, die Höchstvergütungsbeträge für medizinische Mittel und Gegenstände anzupassen sowie die Vergütung von Analyseleistungen zu überprüfen. Es bereitet zudem Anpassungen übertarifierter Leistungen im Tarif für ärztliche Leistungen Tarmed vor. Darüber hinaus werden medizinische Behandlungen künftig vermehrt darauf hin überprüft, ob sie wirksam sind. Weiter werden ein Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel und eine Anpassung des Vertriebsanteils bei allen Arzneimitteln vorbereitet. Die Zusammenarbeit und Kommunikation der Gesundheitsfachleute soll durch eine Stärkung der koordinierten Versorgung verbessert, nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Probleme oder Diabetes sollen durch eine nationale Strategie bekämpft und die Qualität der medizinischen Behandlungen soll weiter erhöht werden. Zusätzliche Massnahmen wie die Pflicht zu Mengensteuerungen, Tarifsenkungen bei überdurchschnittlicher Kostenentwicklung, die Durchsetzung der ambulanten Leistungserbringung für bestimmte Leistungen anstelle
von stationären Interventionen oder Ergänzungen des Preisfestsetzungsinstrumentariums im Arzneimittelbereich sind in Prüfung. Mit Unterstützung einer international zusammengesetzten Expertengruppe werden zudem Modelle analysiert, die in anderen europäischen Ländern zur Steuerung des Mengenwachstums eingesetzt werden. Ein entsprechender Bericht mit konkreten Massnahmenvorschlägen soll im Herbst 2017 vorliegen. Der Bundesrat sieht sich indessen nicht in der alleinigen Verantwortung, das Kostenwachstum wirksam einzudämmen. Alle Akteure sind im Rahmen ihrer Kompetenzen gefordert, ihren Beitrag zu leisten und die ihnen zugedachte Verantwortung wahrzunehmen. So steuern die Kantone das Angebot im stationären Bereich sowie die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten. Versicherer und Leistungserbringer sind gefordert, Tarifvereinbarungen zu treffen, die sowohl die notwendige Qualität der Versorgung sicherstellen als auch eine effiziente Leistungserbringung gewährleisten und mit denen die Einhaltung dieser Vorgaben wirksam kontrolliert wird.
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