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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Endokrinologie
Subklinische Hypothyreose in der Schwangerschaft nicht behandlungsbedürftig
Frauen mit Typ-1-Diabetes oder anderen Autoimmunerkrankungen, übergewichtige und ältere Frauen haben während der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenfunktionsstörungen. Darum sollte bei diesen Schwangeren die Schilddrüsenfunktion auf jeden Fall überprüft werden. Ob bei jeder Schwangeren die Schilddrüsenfunktion zu überprüfen sei, ist unter Fachleuten umstritten. Als oberer Grenzwert für eine Hypothyreose in der Schwangerschaft gilt ein TSH-Wert von 4 mU/l. Wird dieser überschritten, sollte mit Levothyroxin behandelt werden, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (1). Dies ist in Einklang mit der bisherigen Ansicht, dass
nicht nur eine manifeste, sondern auch eine subklinische Hyperthyreose (erhöhtes TSH bei normalem fT4) in der Schwangerschaft behandlungsbedürftig sei, weil andernfalls das Risiko für neurokognitive Defizite des Kindes und eine ganze Reihe von Schwangerschaftskomplikationen erhöht seien. Diese Praxis wird nun von einer neuen Studie infrage gestellt (2). Die Autoren hatten 677 Schwangere mit subklinischer Hypothyreose (TSH Ͼ 4 mU/l und normales fT4, d.h. 0,86–1,9 ng/dl) und 526 Schwangere mit isolierter Hypothyroxinämie (normales TSH, niedriges fT4, d.h. Ͻ 0,86 ng/dl) in jeweils zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe erhielt Levothyroxin, die andere Plazebo. Die Kinder wurden in den folgenden fünf Jahren regelmässig bezüglich ihres neurokognitiven Entwicklungsstands untersucht. Primärer Endpunkt war der Intelligenzquotient der Kinder im Alter von fünf Jahren (oder drei Jahren, falls die 5-Jahres-Untersuchung fehlte). Es fanden sich weder bei subklinischer Hypothyreose noch bei isolierter Hypothyroxinämie Unterschiede bei den Kindern der Schwangeren, die mit Levothyroxin oder Plazebo behandelt worden waren, bezüglich der Parameter IQ, Verhaltensauffälligkeiten oder ADHS. Das
Gleiche galt für Komplikationen wie Früh- oder Totgeburt sowie für eine lange Liste fetaler und neonataler Probleme. Die Autoren der Studie räumen ein, dass die Schwangeren erst relativ spät randomisiert worden seien, nämlich im Mittel in den Schwangerschaftswochen 16 bis 18 (von der 8. bis zur 20. Woche). Die fetale Schilddrüse beginnt bereits zwischen der 10. und 12. Schwangerschaftswoche mit der Hormonproduktion, sodass es später eventuell keinen so deutlichen Unterschied mehr machen könnte, ob man supplementiert oder nicht. Die Autoren verweisen jedoch auf eine andere Studie, wonach ein Substitutionsbeginn (bei manifester Hypothyreose) vor der 24. Woche ausreichend sei. Ihre Konklusion: Eine Behandlung wegen subklinischer Hypothyreose oder isolierter Hypothyroxinämie in der Schwangerschaft führt nicht zu besseren neurokognitiven Leistungen der Kinder im Alter von fünf Jahren. Ein routinemässiges Screening aller Schwangeren, auch derjenigen ohne spezielle Risiken, sei darum überflüssig. RBOO
1. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie vom 9. März 2017.
2. Casey BM et al.: Treatment of subclinical hypothyroidism or hypothyroxinemia in pregnancy. N Engl J Med 2017; 376: 815–825.
Ernährung
Ketogene Diät bei Krebs
Sofern sie vom Patienten vertragen und akzeptiert wird, könne eine stark kohlenhydratreduzierte und sehr fettreiche sowie kalorien- und eiweissbilanzierte Ernährung bei einer Krebserkrankung vorteilhaft sein, so Prof. Ulrike Kämmerer, Universitätsklinikum Würzburg. Es gebe jedoch keine «Krebsdiät», sondern die ketogene Ernährung sei als unterstützende Massnahme bei konventionellen Therapieverfahren wie Chemooder Strahlentherapie einzuordnen.
Studien belegten den therapeutischen Nutzen dieser Ernährungsform, die dem geänderten Stoffwechsel mit gesteigerter Lipolyse bei gleichzeitiger Insulinresistenz Rechnung trage. Dabei kommt dem im Zustand einer physiologischen Ketose gebildeten Ketonkörper Beta-Hydroxybutyrat eine besondere Bedeutung zu. Die Substanz wirkt entzündungshemmend, sie soll das Tumorwachstum hemmen und vor Kachexie schützen, indem sie die für den
Muskelabbau zuständigen Gene MuRF1
und Atrogin-1 hemmt. Kämmerer wies
darauf hin, dass bei Low-Carb-Diäten
wie LOGI (low glycemic and insulinemic)
und LCHF (low carb – high fat) derartige
pharmakologische Effekte nicht erreicht
würden, da der Fettanteil hier häufig zu
niedrig sei.
RBO/FET e.V.O
Pressemitteilung der Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V. anlässlich des 4. Kongresses für menschliche Medizin in Frankfurt, 25. bis 26. März 2017.
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ARS MEDICI 7 I 2017
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Onkologie
Zusätzliche Bestrahlung vermindert Mammakarzinomrezidivrisiko
Eine zusätzliche Bestrahlung im ehemaligen Tumorbereich (boost) kann verhindern, dass es an der operierten Brust erneut zu einem Krebswachstum kommt. Dies bestätigt eine europäische Langzeitstudie, in der die Ergebnisse der Studienteilnehmerinnen 20 Jahre nach der Erkrankung ausgewertet wurden. Bei einem Mammakarzinom im Frühstadium wird in der Regel brusterhaltend operiert. Danach wird bestrahlt, um einem lokalen Rezidiv vorzubeugen. Um die optimale Dosis für diese Bestrahlung zu bestimmen, hatte die EORTC (European Organization for Research and Testament of Cancer) zwischen 1989 und 1996 eine Studie mit 5569 Brustkrebspatientinnen durchgeführt. Die Hälfte von ihnen erhielt damals neben der üblichen eine zusätzliche Bestrahlung der operierten Brust im Bereich des Tumorbetts (boost). Bereits in den ersten Jahren zeigte sich, dass Frauen mit High-Grade-Tumoren am meisten von dieser zusätzlichen Bestrahlung profitier-
ten. Dies konnte nun auch nach 20 Jahren bestätigt werden. Die Langzeitanalyse zeige deutlich, dass prinzipiell alle Frauen von einer Dosisaufsättigung profitieren könnten, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie. Insgesamt profitierten alle Altersgruppen von einer Boost-Bestrahlung. Den grössten Vorteil hatten jüngere Patientinnen unter 50 Jahre sowie Patientinnen, die in der Nähe des invasiven Karzinoms duktale Carcinoma in situ (DCIS) aufwiesen. Bei jüngeren Frauen mit DCIS in der Nähe des Primärtumors verringerte die Boost-Bestrahlung die Rate von Lokalrezidiven an der operierten Brust von 31 auf 15 Prozent. Die Verlaufskurven lassen vermuten, dass sich die Vorteile nach Ablauf von 20 Jahren noch weiter verstärken könnten.
RBO/DEGROO
Vrieling C et al.: Prognostic factors for local control in breast cancer after long-term follow-up in the EORTC boost vs no boost trial: A randomized clinical trial. JAMA Oncology 2017; 3: 42–48.
Pneumologie
Ambulante Reha mindert Exazerbationsrisiko bei COPD
In einer kleinen Studie mit 62 Patienten zeigte sich ein deutlicher Vorteil für COPD-Patienten, die an einem ambulanten Reha-Programm teilgenommen hatten: Die Anzahl der Exazerbationen sank von durchschnittlich zweieinhalb pro Jahr auf eine innert zwei Jahren. In der Kontrollgruppe besserte sich der Krankheitsverlauf nicht. Auch wenn dieses Resultat sicher mit Vorsicht zu interpretieren ist, spricht es doch für den Nutzen eines speziellen Reha-Programms für COPD-Patienten. Die Studie erfolgte am St.-Remigius-Krankenhaus in Opladen, Deutschland, wo seit 2013 ein ambulantes Reha-Programm für COPD-Patienten nach einer Exazerbation angeboten wird. Die Massnahmen beginnen mit einem Training auf dem Laufband oder dem Fahrradergometer, dies mehrmals pro Woche, sowie Krafttraining, insbesondere für die Atemmuskulatur. Eine psychologische Beratung soll den Patienten helfen, künftig besser
mit ihrer COPD und den damit verbundenen Einschränkungen zu leben. Auch eine Ernährungsberatung gehört zum Konzept sowie Angebote wie Atemphysiotherapie, Koordinationstraining, Ergotherapie und Inhalationen. Selbstverständlich gehört auch ein Rauchstopp-Programm dazu. Routinemässig überprüfen die behandelnden Ärzte zudem die verordneten Medikamente und passen diese gegebenenfalls an. Die Nachhaltigkeit der Massnahmen lässt allerdings zu wünschen übrig. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Patienten am Ende der Reha war nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar. Darum schlagen die Studienautoren ein strukturiertes Erhaltungsprogramm vor, heisst es in einer Pressemitteilung. RBOO
Spielmanns M et al.: Eine pneumologische Rehabilitation nach akuter Exazerbation der COPD senkt die Rate erneuter Exazerbationen. DMW 2017; 142 (2): e10–e19.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
IL-1-Blocker gegen Diabetes
Der Schweizer Endokrinologe Marc Donath publiziert mit seinem Team im «New England Journal of Medicine» sensationelle Studienresultate. Sie belegen, dass die Interleukin-1-Hemmung mit Anakinra wirksam gegen Typ-2-Diabetes ist. Bereits nach nur einer Injektion zeigt sich eine deutliche Verbesserung des Blutzuckerstoffwechsels. Der Interleukin-1-Hemmer ist aber bis heute nicht für Typ-2-Diabetes zugelassen. Eine noch laufende Studie, die 2018 abgeschlossen sein soll, könnte dies vielleicht ändern. Anakinra ist zurzeit im Ausland für Patienten mit rheumatoider Arthritis zugelassen, für die Schweiz besteht keine Zulassung des Medikaments.
Vor 50 Jahren
Schnelle Labortests
Immer mehr diagnostische Schnelltests kommen auf den Markt. Man freue sich bei der Überlegung, wie viel Arbeitskraft, Zeit und Geld mit den fertigen Reagenzienkombinationen in Tabletten- oder Teststreifenform gespart werden könne, schreibt der Rezensent eines labormedizinischen Lehrbuchs in ARS MEDICI.
Vor 100 Jahren
Arsenhaltige Medikamente
Nicht nur das seit einigen Jahren verfügbare Salvarsan, sondern auch andere Arsenverbindungen sind populäre Medikamente. In ARS MEDICI wird über die gute Wirksamkeit von Elarson (Tabletten) und Solarson (Injektionslösung) bei Anämien berichtet. Der Autor selbst bezeichnet sich überdies als «Kronzeuge» für die segensreiche Wirkung der arsenhaltigen Medikamente, weil sich sein durch die Kriegsstrapazen verursachter hochgradiger allgemeiner Schwächezustand nach mehrwöchentlicher Elarsonkur überraschend gebessert habe. RBO
ARS MEDICI 7 I 2017