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Geschichte der Psoriasistherapie
Die Behandlung der Hautkrankheiten hat sich im 20. Jahrhundert eindrücklich verbessert. Besonders in den letzten Jahren kam es zu einem zuvor unvorstellbaren Fortschritt.
Von Dr. med. Michael L. Geiges
FMH Dermatologie und Venerologie, Hautarztpraxis Kloten Kurator Moulagenmuseum der Universität und des Universitätsspitals Zürich Oberarzt Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Evolutionäre Medizin, Universität Zürich
Dieser Wandel lässt sich anhand der Geschichte der Psoriasistherapie eindrücklich aufzeigen. 1936 begann Paul E. Bechet in New York seinen Beitrag zur Geschichte der Psoriasis mit dem Satz: «Psoriasis is an antidote for dermatologists’ ego.» Damit griff er auf, was Erasmus Wilson in England ein halbes Jahrhundert zuvor schon in ähnlicher Weise formuliert hatte: «(Psoriasis) … is not a disease, on which to build a medical reputation» (1). Was diese Aussagen für die leidenden Patienten bedeutet haben, muss nicht weiter erläutert werden.
Die Zeiten der Säftelehre
Bis ins 19. Jahrhundert waren das Verständnis und die Therapie der Schuppenflechte (Lepra vulgaris, Psoriasis) und anderer Hautveränderungen vom Konzept der Säftelehre geprägt. Zudem galten die sichtbaren Hautkrankheiten auch als Stigmata und Ausdruck einer göttlichen Strafe für moralisches Fehlverhalten. Die Haut, die Hülle des Menschen mit Poren, wurde als Ausscheidungsorgan angesehen, über welches der Körper Dyskrasien, also innere Säfteungleichgewichte, korrigieren konnte. Eitrige und nässende Hautveränderungen mussten daher nicht gestoppt, sondern mit ableitenden Therapien wie Ader-
lass oder Abführmitteln medizinisch unterstützt werden (2). Über die Jahrhunderte wurden pflanzliche, tierische und chemische Therapeutika auf dem Hintergrund der Säftelehre oder zum Beispiel nach den Regeln Signaturenlehre eingesetzt, mit der Idee, Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln: neben tierischen Exkrementen aus dem Repertoire der Drecksapotheke, Vipernfleisch (der sich häutenden Schlange) und rauhblättrigen Pflanzen wurden auch Quecksilber und Arsen lokal und systemisch angewendet. In der Psoriasistherapie bewährte sich Arsen besonders in der Form der seit 1786 bekannten einprozentigen Fowler’schen Lösung oder der von Ferdinand von Hebra empfohlenen «Asiatischen Pille». Als weitere wirksame Therapie kam 1876 das «Goa Pulver» (Chrysarobin) dazu. Bereits kurz nach der Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 wurden diese auch therapeutisch bei allen erdenklichen Diagnosen mit (allerdings nicht immer) grossem Erfolg eingesetzt, so auch bei der Psoriasis.
Das 20. Jahrhundert
Zwar stand den Ärzten um 1900 eine breite Palette von traditionellen medikamentösen und modernen physikalischen Therapiemöglichkeiten zur Behandlung von Psoriasispatienten zur Verfügung, allerdings mit begrenzter Wirksamkeit und nicht zu vernachlässigender Toxizität.
Abbildungen 1 und 2: Teertherapie in der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich, etwa 1970
Im grössten dermatologischen Standardwerk des 20. Jahrhunderts, dem 23-bändigen Jadassohns'chen Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten (in 41 Büchern), findet man im 1928 erschienenen Band zur Psoriasis folgende Therapiemöglichkeiten: Schwefelbäder und -injektionen, Salicylsäuresalben, Arsentropfen und -injektionen, Teerpinselungen und -bäder, Jodinjektionen, Quecksilbersalben, Pyrogallolsalben, Chrysarobin, Diät (Fleischabstinenz), Schilddrüsenhormon- und Insulinkuren, Röntgentherapie, Radiumbestrahlung und Höhensonne (Quarzlampe). Auf der Basis der Naturwissenschaften wurden die Hauterscheinungen neu als Krankheiten der Haut (= Hautkrankhei-
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Abbildung 3: Dreidimensionale Wachsmoulage: schwere Psoriasis am Rücken vor und drei Monate nach Therapie mit einem TNF-Alfa-Hemmer, 2014 über einen Abdruck direkt vom Patienten hergestellt, Moulagenmuseum der Universität und des Universitätsspitals Zürich, www.moulagen.ch
ten) angesehen, für deren Diagnose und Therapie entstand ein eigenes Spezialgebiet, die Dermatologie. Trotz der neuen pathophysiologischen Erklärungen kamen aber kaum bessere Therapiemöglichkeiten dazu. Die Zuwendung zur Natur kann auch als Reaktion auf einen sich breitmachenden therapeutischen Nihilismus angesehen werden. Neben Luft- und Wassertherapien, propagiert unter anderen durch Pfarrer Sebastian Kneipp, wurde auch dem Sonnenlicht eine heilende Kraft zugeschrieben. Der Schweizer Sonnendoktor Arnold Rickli hatte 1855 im österreichischen Veldes eine Heilanstalt mit Sonnenbadanlagen gegründet, die Reformbewegung zelebrierte mit Lichtgebet und Freikörperkultur die heilende Kraft des Sonnenlichtes – und auch die Mediziner und Naturwissenschaftler griffen diese Erfahrungen auf: Oscar Bernhard behandelte 1902 in Samaden chronische Wunden mit Sonnenlicht, Auguste Rollier gründete 1903 in Leysin die Klinik zur Behandlung der Tuberkulose mit Heliotherapie, und Niels Ryberg Finsen erhielt im gleichen Jahr den Nobelpreis für die Therapie der Hauttuberkulose mit einer Kohlenbogen-UV-Lampe. 1907 brachte schliesslich die Firma Hanau die erste Quarzlampe zur Therapie mit UV-Strahlen auf den Markt (3). Den Durchbruch der Lichttherapie für die Behandlung der Psoriasis brachte William Henry Goeckermann mit seinem 1925 publizierten Schema der UV-Bestrahlung in Kombination mit Steinkohlenteer-Salbe, das
1953 von John Ingram durch Dithranol ergänzt wurde. Die Untersuchungen zur Fotosensibilisierung durch Pflanzenstoffe (Psoralene) des Schweizers und späteren Berner Klinikdirektors Hans Kuske von 1939 bereiteten den Boden für die Psoralen-UVA-Therapie (PUVA). Ab 1970 konnten die UV-Spektren der Leuchtstofflampen gezielt variiert und die Lichttherapie mit dem Einsatz von UVB-narrow-band-Lampen (311 nm) vereinfacht und optimiert werden (4). Die pharmakologische Forschung in der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte endlich deutliche Verbesserungen und machte den Einsatz von Arsen und zunehmend auch der Röntgenstrahlen bei der Psoriasistherapie obsolet: die Entdeckung der ACTH-Wirkung und die daraus abgeleitete systemische und topische Therapie mit Kortison (1951, 1952), der Einsatz von Methotrexat (1951, 1972), Ciclosporin (1997), Fumarsäure (1959, 1996), die neuen Retinoide Etretinat und Acitretin (1990erJahre) und das topisch angewendete Vitamin-D-Analogon Calcipotriol (1988).
Das 21. Jahrhundert
Mit Rotationstherapien zwischen den oben aufgeführten Therapien konnten auch schwere Psoriasisfälle bei überblickbaren Nebenwirkungen verbessert werden (5). Doch erst in jüngster Zeit verloren die eingangs zitierten Aussagen von Wilson und Bechet tatsächlich ihre Gültigkeit. Im Labor war es nicht nur gelungen, die immunologischen Hintergründe auf einer molekularen Ebene besser zu verstehen, seit 1984 konnten auch gezielt Antikörper hergestellt werden, um in diese Entzündungskaskaden einzugreifen. Dieser «proof of concept» durch gezielte Blockade oder Aktivierung theoretisch postulierter Immunreaktionen beschleunigte die Forschung enorm und führte auch dazu, dass heute die Psoriasis nicht nur als Haut- oder Gelenkskrankheit, sondern als systemische Entzündung angesehen wird, die Auswirkungen auf den Stoffwechsel, den Kreislauf und die Psyche hat. Ab den 1990er-Jahren wurde
es möglich, diese gezielten Immunmodulationen klinisch therapeutisch einzusetzen. Für die Psoriasis kamen als erstes Biologika auf den Markt, welche TNF-Alfa hemmen, gefolgt von Interleukin-12/23- und Interleukin-17a-Hemmern. 2014/15 folgte das «small molecule» Apremilast, welches die Phosphodiesterase 4 hemmt (6, 7). Heute kann die Schuppenflechte bei leichter Ausprägung mit optimierten, altbewährten und sicheren Lokaltherapien und Licht behandelt werden. Ebenso lässt sich heute aber auch die schwere Psoriasis im ambulanten Setting der Hautarztpraxis mit enorm wirksamen und dank ihrer Zielgenauigkeit nebenwirkungsarmen systemischen Therapien erfolgreich behandeln. Zwar sind diese hochkompliziert hergestellten Medikamente (noch) sehr teuer, doch wird bei der Diskussion um steigende Krankenkassenprämien nur allzu oft vergessen, was diese Wirkstoffe im Vergleich mit den toxischen und schlecht wirkenden historischen Therapiemöglichkeiten für die Gesundheit und die oft massiv unterschätzte Einbusse der Lebensqualität der von Psoriasis betroffenen Patienten bedeutet (8). L
Kontaktadresse: Dr. med. Michael Geiges Hautarztpraxis Dr. Geiges Marktgasse 3, 8302 Kloten Tel. 044-804 30 40, Fax 044-804 30 41
Referenzen: 1. Bechet PE: Psoriasis. A brief historical review. Arch Dermato
Syphilol 1936: 327–334. 2. Burg G, Geiges ML: Lepra vulgaris. History of Psoriasis. J Turk
Acad Dermatol 2014; 8 1483–1483r1. 3. Geiges ML: «… und am höchsten das Licht». Heliotherapie in der
Schweiz. In: Graf F, Wolff E. Zauberberge – Die Schweiz als Kraftraum und Sanatorium. hier + jetzt, 2010, S. 110–121. 4. Saalmann G: Die Psoriasis, Geschichte und Therapie vom Altertum bis zur Gegenwart. Verlag G. Saalmann, 1998. 5. Greaves MW, Weinstein GD: Treatment of Psoriasis. N Engl J Med. 1995; 332 (9): 581–588. 6. Monteleone G et al.: Psoriasis: from pathogenesis to novel therapeutic approaches. Clinical Science 2011; 120: 1–11. 7. Kolios AGA et al.: Swiss S1 Guidelines on the systemic treatment of psoriasis vulgaris. Dermatology, 2016; 232: 385–406. 8. Maul J-T et al.: Efficacy and Survival of Systemic Psoriasis Treatments: An Analysis of the Swiss Registry SDNTT. Dermatology 2017, Jan 12. doi: 10.1159/000452740. [Epub ahead of print]
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