Transkript
FORTBILDUNG
Diabetischer Fuss oder pAVK?
Warum die Unterscheidung wichtig ist
Neben der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) ist das diabetische Fusssyndrom (DFS) eine wesentliche Ursache für das Auftreten von Wunden an den Füssen. Während sich die der pAVK zugrunde liegende Makroangiopathie mittels revaskularisierender Massnahmen behandeln lässt, gibt es bei der Mikroangiopathie des DFS bis anhin keine kausale Therapiemöglichkeit.
Kurt Kröger
Die pAVK ist eine Makroangiopathie und Folge einer progressiven Atherosklerose der Bein- und Fussgefässe. Das DFS dagegen ist eine Mikroangiopathie, die zu typischen Veränderungen der Fussstatik, der Gewebeperfusion und der Schutzfunktionen des Fusses führt.
Makroangiopathie Die Definition der Makroangiopathie hat nichts mit der Gefässgrösse zu tun. Jeder sonografisch oder angiografisch darstellbare Gefässverschluss, auch wenn er nur die Zehenarterien betrifft, ist eine Makroangiopathie. Eine Mikroangiopathie ist in dieser Bildgebung nicht darstellbar. Eine Makroangiopathie führt abhängig von ihrem Ausmass immer zu einer arteriellen Minderperfusion des nachgeschalteten Gewebes, und die Therapie der Wahl ist die Revaskularisation (Abbildung 1). Sie gelingt bis zu den pedalen Gefässen mittels Katheterintervention oder Operation, und im Bereich der mit diesen Techniken nicht angehbaren Arterien kann die Gabe von Prostaglandinen oder Prostazyklinen die Perfusion verbessern.
Chronisch kritische Ischämie Unter den pAVK-Patienten werden Patienten mit chronisch kritischer Ischämie (CKI) gesondert betrachtet, da diese Patienten hinsichtlich ihrer Lebenserwartung und ihres Beinerhalts eine ungünstige Prognose haben (2).
MERKSATZ
O Bei der Mikroangiopathie handelt es sich um eine funktionelle Störung der Gewebenutrition.
Kasten 1:
Definitionsgemäss liegt eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) vor, wenn der Knöchel-ArmIndex (ankle-brachial index, ABI) < 0,9 ist. Eine chronisch kritische Ischämie (CKI) liegt vor, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: O Patient mit Ruheschmerz oder schlecht heilender
Wunde und O absolutem Knöchelarteriendruck < 50–70 mmHg
oder O absolutem Zehenarteriendruck < 30–50 mmHg oder O transkutanem Sauerstoffpartialdruck < 30–50 mmHg.
Eine CKI liegt vor, wenn Ruheschmerz oder Wunden am Fuss vorhanden sind und die Ischämie durch objektive Verfahren gesichert ist (vgl. Kasten 1). Im Gegensatz zu Claudicatiopatienten, bei denen die Ischämie nur bei Belastung auftritt, liegt bei der CKI auch in Ruhe eine eingeschränkte Perfusion vor. Die Diagnose CKI ist vollkommen unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes zu stellen.
Mikroangiopathie Bei der diabetischen Mikroangiopathie am Fuss handelt es sich nicht um eine okkludierende Verschlusskrankheit der kleinen Gefässe, sondern um eine funktionelle Störung der Gewebenutrition. Im Fuss sind die nutritiven Kapillaren, die das Blut zur Haut transportieren, in funktionelle Untergruppen eingeteilt. Jede dermale Papille ist dabei von drei Kapillarschlingen versorgt (Abbildung 2). Die fehlende Regulation der Gewebeperfusion durch die Zerstörung der autonomen Nerven führt initial zu einer präkapillären Vasodilatation mit gesteigerten Shuntvolumina an der Haut vorbei. Klinisch zeigt sich ein warmer erythematöser Fuss. Die nutritive Kapillare der Haut wird dabei nicht perfundiert. Bei diabetischen Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung ist zusätzlich die sekretorische Funktion des Endothels verloren gegangen, und die Kapillarperfusion wird nicht durch die lokale NO-Freisetzung bedarfsabhängig geregelt. Selbst wenn eine Arteriosklerose der zuführenden Gefässe fehlt, werden die kompromittierten nutritiven Kapillaren schliesslich ischämisch (1). Diese Veränderungen verursachen eine relative oder absolute Ischämie in den dermalen Papillen, sodass sie sich nicht länger den metabolischen Erfordernissen des Gewebes anpassen können. So kann es eine nicht heilende Wunde direkt neben einem tastbaren Fusspuls geben.
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ARS MEDICI 5 I 2017
FORTBILDUNG
Abbildung: Kröger
Abbildung 1: Angiografie der Fussgefässe eines Diabetikers vor (links) und nach (rechts) Rekanalisation der Arteria tibialis anterior (Pfeil) am distalen Unterschenkel: Der Verschluss der A. tibialis anterior, aber auch das insgesamt rarefizierte Gefässnetz im Fuss sind Teil der Makroangiopathie und dürfen nicht als Mikroangiopathie bezeichnet werden. Nach Rekanalisation fliesst das Blut schneller in den Vorfuss, sodass die Gefässe im Bereich der Ferse auf diesem Bild nicht angefärbt sind.
Abbildung 2: Darstellung der Perfusion der papillären Kapillare beim Diabetiker und beim Gesunden: Die fehlenden vaskulären Autoregulationsmechanismen wie die sekretorische Funktion des Endothels und die neurovaskuläre Regulation führen dazu, dass beim Diabetiker das Blut an der Kapillare der Haut vorbeishuntet und nicht zur Ernährung der Haut beiträgt (modifiziert nach Fagrell).
Kasten 2:
Definition der diabetischen Mikroangiopathie
O Es liegt eine verdickte Basalmembran vor. O Im Umfeld sklerosierter Basalmembranen ist die Anzahl papillä-
rer Kapillaren reduziert. O Die vaskulären Autoregulationsmechanismen gehen verloren (se-
kretorische Funktion des Endothels, neurovaskuläre Regulation). O Daraus folgt ein hohes nicht nutritives Shuntvolumen mit Minder-
perfusion der papillären Kapillare.
Therapeutische Konsequenzen Eine pAVK und auch die fortgeschrittene pAVK im Stadium der CKI profitieren von einer Revaskularisation. Eine kausale Therapie der diabetischen Mikroangiopathie am Fuss gibt es nicht. Trotz rarefizierter Kapillaren und verdickter Basalmembran liegt letztlich keine okkludierende Mikroangiopathie vor, bei der es gilt, Gefässe zu eröffnen oder mehr Blut in den Fuss zu bekommen. Im Vordergrund steht die funktionelle Störung durch die fehlenden vaskulären Autoregulationsmechanismen der Gefässe mit resultierender kutaner Ischämie (vgl. Kasten 2).
Als kausale Therapie wäre die Wiederherstellung der sekre-
torischen Funktion des Endothels (NO-Synthese) und der
neurovaskulären Regulation durch die Therapie der Poly-
neuropathie denkbar. Für beides fehlen bis heute effektive
therapeutische Optionen. So bleibt letztlich nur die Druck-
entlastung. Sie erhält die Restperfusion der kutanen Kapil-
laren und damit die für die Nutrition des Gewebes wichtige
Gefässversorgung.
O
Prof. Dr. med. Knut Kröger Helios Klinikum Krefeld GmbH Klinik für Gefässmedizin – Angiologie D-47805 Krefeld
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur: Jensen T et al.: Features of endothelial dysfunction in early diabetic nephropathy. Lancet 1989; 1(8636): 461–463. Norgren L et al.; TASC II Working Group: Inter-Society Consensus for the Management of Peripheral Arterial Disease (TASC II). J Vasc Surg 2007; 45 Suppl. S: S5–S67.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 10/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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