Transkript
EDITORIAL
Benchmarkresistenz
randomisierten Studie war nirgends die Rede. Die andere Gruppe wurde nicht informiert, diese Ärzte wussten also gar nicht, dass sie Teil einer Studie waren. Sodann erhielten die Teilnehmer der Interventionsgruppe vierteljährlich ein übersichtliches Blatt zugeschickt, dem sie auf einen Blick entnehmen konnten, um wie viel sie über der in der Schweiz üblichen Antibiotikaverordnungsmenge lagen, sowie weitere Angaben, wie zum Beispiel den Trend ihrer Verordnungen. Ausserdem bot man ihnen eine Webseite mit individuellem Login, um noch mehr über die eigenen Datenauswertungen zu erfahren. Diesen Service nutzten die Ärzte kaum, gerade einmal 11 Prozent der Teilnehmer. Nur wenige, nämlich 211 der angeschriebenen Ärztinnen und Ärzte, machten nicht mit.
Die sogenannte Benchmark, ein vergleichender Massstab für dies und das – häufig definiert als Durchschnitt irgendwelcher Werte für Aufwand und Ertrag innerhalb einer bestimmten Gruppe – gilt vielen als Allheilmittel zur Optimierung aller möglichen Prozesse. Wer mit seinen Kosten über der Benchmark liegt, soll gefälligst sparen, wer mehr leistet, als die Benchmark vorgibt, wird den Kollegen als leuchtendes Beispiel präsentiert und so weiter.
Ärzte gelten als Benchmark-affin, will heissen, sie vergleichen sich angeblich besonders gerne mit ihren Kollegen. Das könnte man zur Optimierung von Verschreibungspraktiken nutzen, oder? Klingt gut, klappt aber nicht unbedingt. Zumindest nicht, wenn es um die Eindämmung von Antibiotikaverordnungen geht.
Ein Team um Prof. Heiner C. Bucher am Universitätsspital Basel hat den Einfluss einer einfachen wie intuitiv viel versprechenden Massnahme auf die Antibiotikaverordnung durch Hausärztinnen und -ärzte in der Schweiz in einer kürzlich publizierten Studie unter die Lupe genommen (1). Es nutzte dafür die Daten der SASIS, eines grossen Abrechnungsdienstleisters der Schweiz, und identifizierte – anonymisiert – die 2900 Ärztinnen und Ärzte mit der höchsten Antibiotikaverordnungsrate pro 100 Konsultationen. Man teilte sie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen auf. Die Interventionsgruppe erhielt einen Brief, in welchem zur Teilnahme an einer Qualitätsstudie zur Antibiotikaverordnung eingeladen wurde, plus kurz gefassten Guidelines zum empfehlenswerten Antiobiotikagebrauch in der Praxis; von einer
Nach zwei Jahren zeigte sich kein Unterschied in der Antibiotikaverordnungshäufigkeit zwischen den beiden Gruppen. Es machte auch keinen Unterschied, ob es sich um selbstdispensierende Ärzte handelte oder nicht. Zwar sanken im ersten Jahr die Antibiotikaverordnungen bei den 6- bis 18-Jährigen und im zweiten Jahr bei den 19- bis 65-Jährigen im Vergleich zur Kontrollgruppe, aber die Autoren warnen selbst davor, diese inkonsistenten Befunde überzubewerten. Das sei nichts als statistisches Rauschen, meint dazu JAMA-Kommentator Dr. Mitchell H. Katz (2) und bedankt sich bei den Autoren für die Mühe, eine so plausible Massnahme in einer gut gemachten Studie überprüft zu haben: «Der gesunde Menschenverstand liegt halt doch nicht immer richtig.»
Die Studienautoren formulieren einige Hypothesen, warum die Massnahme nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben könnte. So sei vielleicht der wegen der Anonymisierung notwendige Versand der FeedbackBriefe durch SASIS bei einigen Ärzten nicht gut angekommen und darum von mangelnder Überzeugungskraft gewesen. Überdies habe die Schweiz sowieso bereits die niedrigsten Antibiotikaverordnungsraten in Europa, sodass da gar nicht mehr viel zu machen sei. Mag alles sein, aber vielleicht sind die Ärztinnen und Ärzte in dieser Frage halt einfach Benchmark-resistent.
Renate Bonifer
1. Hemkens LG et al.: Personalized Prescription Feedback Using Routinely Collected Data to Reduce Antibiotic Use in Primary Care – A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2017; 177(2): 176–183.
2. Katz MH: Trust but verify (ideally with a randomized clinical trial). JAMA Int Med 2017; 177(2): 162–163.
ARS MEDICI 5 I 2017
193