Transkript
FORTBILDUNG
Wundauflagen: Behalten Sie den Überblick!
Für jede Wundheilungsphase ist die passende Wundauflage zu wählen
Keine Wundauflage sollte von Behandlungsbeginn bis zur
vollständigen Wundheilung eingesetzt werden. Die Wund-
heilung verläuft in unterschiedlichen Phasen, und jede
Phase hat andere Ansprüche an die Auflage. Dementspre-
chend viele Produkte sind auf dem Markt.
Knut Kröger
Am Anfang steht immer die Entstehung der Wunde. Sofort danach verengen sich die Gefässe, das körpereigene Gerinnungssystem wird aktiviert und ein weiterer Blutverlust vermieden. Makrophagen dringen ein, und Zelltrümmer sowie Bakterien werden ausgeschwemmt. Dieser Prozess reinigt die Wunde und löst die Wundheilung aus.
Reinigungs- oder Exsudationsphase Die austretende Flüssigkeit mit Zelltrümmern und Bakterien nennt man Exsudat. Diese Phase ist bei normalem Heilungsverlauf nach 3 Tagen abgeschlossen. Das heisst: Die Wunde hört auf zu nässen. Dies gilt allerdings nicht für chronische keimbesiedelte Wunden, bei denen nässendes Gewebe als Dauerzustand erkennbar ist. Dabei findet ein Nebeneinander von rekonstruktiven und destruktiven Prozessen statt, ohne zielgerichtete Heilung. Die Ableitung des Exsudats steht hier im Vordergrund (Abbildung 1).
MERKSÄTZE
O Für chirurgisch versorgte, frische, posttraumatische oder postoperative Wunden sind in der Regel konventionelle Auflagen (Pflaster, Mullkompresse, Fettgaze) ausreichend.
O Hydroaktive Wundauflagen modulieren die Feuchtigkeit in der Wunde und kommen bei chronischen Wunden zum Einsatz.
O Interaktive Wundauflagen enthalten Stoffe, mit denen die Wundheilung aktiv beeinflusst werden soll. Sie können als Reserveauflagen fur̈ chronische Wunden eingesetzt werden, falls die Wundheilung stagniert.
O Antibakterielle Wundauflagen können bei chronischen Wunden in der Exsudationsphase sinnvoll sein, um eine Infektion zu verhindern oder um die Keimzahl zu reduzieren.
Granulations- oder Proliferationsphase
In dieser Phase wird Granulationsgewebe aufgebaut und der Substanzverlust ausgeglichen. Zellen siedeln sich neu an. Durch Kollagen wird das neu entstehende Granulationsgewebe gefestigt. Es bilden sich neue Kapillaren, die sich immer mehr verzweigen, bis sie in ein Blutgefäss münden. Notwendig ist dies, weil die Wunde noch sehr empfindlich auf äussere Einwirkungen reagiert. Die Exsudatmenge nimmt ab. Ohne Wundabdeckung würde die Wunde austrocknen, was wiederum die oberen freiliegenden Zellen absterben und die Granulation zum Stillstand kommen liesse. Die Wunde ist in dieser Phase mit entsprechenden Wundauflagen zu schützen und feucht zu halten.
Regenerations- oder Epithelisierungsphase
Faserreiches Narbengewebe wird in dieser Phase ausgebildet. Das Granulationsgewebe verliert Wasser, Gefässe bilden sich zurück. Aus der gesunden Umgebungshaut einwandernde Epithelzellen wachsen vom Wundrand her ein. Sie nutzen die feuchte Oberfläche des Granulationsgewebes. Eine Epithelisierung findet nur statt, wenn das Granulationsgewebe auf Hautniveau ist. Die Zellschicht verdickt sich durch Mitose und führt zum vollständigen Wundverschluss. In dieser Phase der Wundheilung darf die Wunde nicht zu feucht behandelt werden, sonst weicht das frische Epithel auf, und die Grenzen zwischen Granulation und Epithel gehen verloren.
Wundauflagen
Bei Wundauflagen wird man im Alltag immer wieder mit Produkten konfrontiert, die man nicht kennt. Man fragt sich: Was kann das Produkt? Wozu setze ich es ein? Keiner kann den Überblick über alle Wundauflagen behalten – zumal ständig neue auf den Markt kommen. Ein hilfreiches Standardwerk für chronische Wunden ist das Buch «Wundauflagen für die Kitteltasche» von Anette Vasel-Biergans, das über 1000 Seiten hat und in 3. erweiterter Auflage erschienen ist. Die Tabelle zeigt die verschiedenen Klassen der Wundauflagen. Konventionelle Auflagen umfassen das einfache Pflaster, die Mullkompresse und die Fettgaze. Sie sind in der Regel für die chirurgisch versorgte, frische, posttraumatische oder postoperative Wunde ausreichend. Hydroaktive Wundauflagen modulieren die Feuchtigkeit in der Wunde, indem sie sie an der Wundoberfläche binden und überschüssige Flüssigkeit von der Wundoberfläche fernhalten. Diese Auflagen haben ihr Einsatzgebiet bei chronischen Wunden, die lange Zeit bestehen. Interaktive Wundauflagen enthalten zusätzliche Inhaltsstoffe, mit denen die Wundheilung aktiv beeinflusst
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FORTBILDUNG
Abbildung 1: Ulcus cruris venosum in der Exsudationsphase mit starker Exsudatbildung. Hier wäre eine Gaze indiziert, die auf die Wunde kommt, und ein Superabsorber, der das Exsudat aufnimmt und so die Mazeration der Wundumgebung verhindert.
Abbildung 2: Das Ulcus cruris venosum wurde zu trocken behandelt, sodass Fibrin auf der Wunde eingetrocknet ist. Dies ist die ideale Situation für die Anwendung eines Hydrogels. Die Beläge können am Folgetag abgewischt werden.
Abbildung 3: Sauberes, gut granulierendes Ulcus cruris venosum. In dieser Situation ist ein Schaumverband indiziert, der für 5 bis 7 Tage belassen werden kann.
werden soll. Ihre Indikation ist jedoch umstritten. Sie können als Reserveauflagen für chronische Wunden eingesetzt werden, falls die Wundheilung trotz aller Bemühungen stagniert. Antibakterielle Wundauflagen können die Keimzahl in einer Wunde beschränken oder sogar reduzieren. Ihr zeitlich begrenzter Einsatz (10 bis 14 Tage) kann bei chronischen Wunden in der Exsudationsphase sinnvoll sein, um eine Infektion
Tabelle:
Vielfalt der Wundheilung
Konventionelle Wundauflage Hydroaktive Wundauflagen
2.1 Mullkompressen
3.1 Alginate
2.2 Vliesstoffkompressen
3.2 Aquafaser-Verbände
2.3 Kombinierte Saugkompressen 3.3 Hydrofiber-Verbände
2.4 Wundschnellverbände
3.4 Hydrogele
2.5 Wundnahtstreifen
3.5 Hydrokolloide
2.6 Fixiermittel
3.6 Kombinierte Wundverbände
2.7 Imprägnierte Wundgazen
3.7 Schaumstoffkompressen
Hydropolymere
3.8 Offenporige Schaumstoff-
2.8 Hydroaktiv imprägnierte
kompressen
Wundgazen
3.9 Semipermeable Wundfolien
2.9 Spezielle
3.10 Wundauflagen mit
Wundkontaktverbände
Polyacrylat-Superabsorber
3.11 Verschiedene Produkte
Interaktive Wundauflage
5.1 Kollagen-Wundauflagen 5.2 Gelatinehaltige Wundauflagen 5.3 Hyaluronsäurehaltige
Wundtherapeutika 5.4 Sonstige interaktive
Wundauflagen
Antibakterielle und geruchsbindende Wundauflagen 6.1 Aktivkohlekompressen 6.2 Wundauflagen mit Honig 6.3 Hydrophobe Wundauflagen 6.4 Antiseptikahaltige
Wundauflagen
Auszug aus dem Buch «Wundauflagen für die Kitteltasche» von Anette Vasel-Biergans
zu verhindern oder um die Keimzahl zu reduzieren und so die Exsudationsphase zu überwinden. Bei gut granulierenden oder epithelisierenden Wunden haben sie keine Indikation. Geruchsbindende Wundauflagen spielen in der Palliativmedizin bei ulzerierenden Tumoren eine wichtige Rolle. Auch ein Arzt, der sich nicht täglich mit chronischen Wunden beschäftigt, sollte neben den nicht haftenden sterilen Gazeoder Gittertüllverbänden, die mit Fetten oder Silikon beschichtet sind, zumindest ein paar wenige Wundauflagen kennen und sich mit deren Anwendung vertraut machen.
Hydrogele Hydrogele bestehen aus einem Gel wasserunlöslicher Polymere, die bis zu 95 Prozent Wasser enthalten. Sie wirken vor allem befeuchtend und gut bei trockenen oder schmierig-belegten Wunden, die nicht stark sezernieren. Das Gel weicht die Beläge auf, sodass diese mit einer Kompresse abgewischt oder einer Pinzette abgetragen werden können (Abbildung 2). Gleichzeitig wird die Wunde feucht gehalten. Man sollte Hydrogele jeden Tag neu auftragen und sie später mit den Belägen von der Wunde entfernen.
Alginate Alginate werden aus Kalium- und Natriumsalzen der Braunalge gewonnen. Es handelt sich um ein Polysaccharid (Gemisch von zwei Zuckersäuren: Guluron- und Mannuronsäure). Sie binden das Exsudat und bilden so ein hydrophiles Gel, das sich der Wundoberfläche anschmiegt. Sie sollen also nur in die Wunden und nicht über den Wundrand ragen und sind bei Wunden mit Exsudatbildung am Übergang von der Reinigungs- in die Granulationsphase indiziert. Sie verbleiben in dieser Phase für 2 bis 3 Tage in der Wunde, um ihre Wirkung entfalten zu können.
Hydrofaser Die Hydrofaser besteht aus Natriumcarboxymethylzellulose. Zelltrümmer und Exsudat werden zwischen den Fasern aufgesogen. Dabei wird das Exsudat nur in vertikaler Richtung aufgenommen und abgeleitet. Die Wundauflage quillt daher
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in die Höhe und nicht in die Breite. Die Hydrofaser dient dem Flüssigkeitstransport aus der Wunde. Die Umgebung bleibt trocken und wird vor einer Mazeration geschützt. Die Hydrofasern tragen auch zur Wundreinigung bei und fördern zudem die Granulationsbildung. Sie können 2 bis 3 Tage belassen werden.
Schaumstoffverbände Schaumstoffverbände bestehen entweder aus Polyurethan oder Silikonschaum. Je nach Herstellung (grosse oder kleine Poren) können sie unterschiedlich viel Exsudat aufnehmen. Sie sind die typischen Wundauflagen in der Granulationsphase ohne viel Exsudat (Abbildung 3). Sie sollen es binden und dabei gleichzeitig in der Wunde halten, damit diese im feuchten Milieu granulieren kann. Bei gut granulierenden Wunden ohne Infektzeichen können sie bewusst mehrere Tage (5 bis 7) belassen werden.
Antimikrobielle Verbände Antimikrobielle Verbände enthalten antimikrobiell aktive Substanzen wie Silber (häufig) oder Jodverbindungen (seltener) auf unterschiedlichen Trägermaterialien. Sie sollten nur angewandt werden, wenn ein Infekt droht (bei einem floriden Infekt sind sie kein Ersatz für ein Antibiotikum) oder klinische Hinweise auf eine vermehrte Keimbesiedlung der Wunde bestehen (Geruchsbildung, verfärbtes Exsudat). Sie sollten nur gezielt kurzfristig eingesetzt werden. Es gibt keinen Grund für eine dauerhafte Anwendung dieser Verbände.
Superabsorber
«Superabsorbent polymers» (SAP) werden Kunststoffe ge-
nannt, die in der Lage sind, ein Vielfaches ihres Eigen-
gewichts an polaren Flüssigkeiten aufzusaugen. Bei der Auf-
nahme der Flüssigkeit quillt der Superabsorber auf und bildet
ein Gel. Die Summe aus dem Volumen der Flüssigkeit und
dem Volumen des trockenen Superabsorbers bleibt dabei
gleich. Er ist immer dann indiziert, wenn es gilt, grosse Ex-
sudatmengen zu binden. Man kann ihn insbesondere in der
Exsudationsphase sinnvoll einsetzen und über einer Gaze
oder einer Hydrofaser verwenden.
O
Prof. Dr. med. Knut Kröger Helios Klinikum Krefeld GmbH Klinik für Gefässmedizin – Angiologie D-47805 Krefeld
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 20/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Literatur: 1. Verordnungsinfo der Pharmakotherapieberatung der Kassenärztlichen Vereinigung
Nordrhein. Behandlung chronischer Wunden. Juni 2015. 2. Vasel-Biergans A: Wundauflagen für die Kitteltasche, 3. bearbeitete und erweiterte
Aufl. 2010, ISBN 978-3-8047-2584-3. 3. Riepe G, Bültemann A: Die WundUhr®. http://www.wunduhr.de/
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