Transkript
PORTRAIT
Kunst aus dem Labor
Gewebeschnitte + Bildbearbeitung = HistoPopArt der Künstlerin Anne Kerber
Eine expressionistische Landschaft, ein Pointillist oder eher ein abstrakter Kandinsky? Nichts davon, sondern HistoPopArt. So nennt die Künstlerin Anne Kerber ihre fotografischen Werke aus Gewebeschnitten der Haut, die sie mittels moderner Bildbearbeitung verfremdet und so etwas neues Ästhetisches schafft. Ihre Werke schmücken ab dieser Ausgabe die SZD-Titelseiten.
Dass die Werke von Anne Kerber Medizinern seltsam vertraut vorkommen, hat vermutlich mit dem Brotberuf der Künstlerin zu tun: Kerber ist medizinisch-technische Assistentin (MTA) am dermatopathologischen Institut der Klinik für Dermatologie an der Universität Homburg/Saar. Sie ist eine von denen, die dafür sorgen, dass aus den Hautbiopsien durch Einbetten in Paraffin, Schneiden im Mikrotom und anschliessendes Färben histologische Präparate werden, die zur pathologischen Begutachtung geeignet sind. Diese Schnitte sind es, die Ärzten so bekannt vorkommen. Die Arbeit am Mikrotom erfordert hohe Genauigkeit, für Kreativität ist da kein Platz. Diese andere Seite ihrer Persönlichkeit lebt die kreative MTA schon lange an der Kamera und durch die anschliessende Bildbearbeitung am PC aus. «Eine Initialzündung oder ein auslösendes Ereignis gab es nicht. Aber beim Spielen mit dem Computer ist mir aufgefallen, was solche Programme alles können. Da ich schon immer von histologischen Strukturen fasziniert war, habe ich mich gefragt, ob solche Bilder, mit dem PC verändert, vielleicht tatsächlich so etwas wie Kunst werden könnten.»
Eine Ausstellung der HistoPopArt ...
Rohmaterial aus täglicher MTA-Arbeit Angefangen hat die 46-Jährige mit Präparaten aus dem Schweineohr, was in ihre erste Ausstellung mündete: «Pig Ear goes Pop Art». Mittlerweile bezieht Kerber ihr Rohmaterial hauptsächlich aus ihrer täglichen Arbeit, wobei für sie nur gesunde Gewebe mit möglichst kontrastreichen Strukturen infrage kommen. Eher homogene Gewebe wie beispielsweise die Leber bringen künstlerisch eher wenig. Ihre Vorgesetzten sind damit
... und die Künstlerin Anne Kerber vor ihren Werken.
einverstanden, dass sie Fotos aus dem Mikroskop auf einen USB-Stick zieht und zu Hause am Computer weiterbearbeitet. Dort beginnt die kreative Nachbereitung mit diversen Fotobearbeitungsprogrammen. Welche Techniken und Programme sie verwendet, verrät Kerber nicht – das ist Betriebsgeheimnis. «Nur so viel: Es ist mehr als nur Photoshop.» Und was sagt das Umfeld? «Mein
Mann unterstützt mich und erträgt es, wenn ich für längere Zeit am PC abtauche. Und meine Kollegen sind sich gewohnt, dass ich immer mal wieder mit künstlerischen Verrücktheiten komme. Sie verfolgen meine Veröffentlichungen und Ausstellungen mit grossem Interesse. Auch mein Chef unterstützt mich sehr und hat in unserer Klinik bereits mehrere HistoPopArt-Installationen aufgehängt.»
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PORTRAIT
Fotos: Anne Kerber
Installation in einem Warteraum am Uniklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar
Über die Kunst wird auch Wissen vermittelt Auch wenn Kerber gelegentlich ein grösserformatiges Werk verkauft, so ist es noch lange kein Geschäft. Bei ihr überwiegt die Freude am eigenen Werk besonders dann, wenn sich auch andere daran erfreuen oder neugierig werden. Um auch etwas über Anatomie, Physiolo-
gie und Histologie zu vermitteln, versieht Kerber bei ihren Ausstellungen ihre Fotokunst nicht nur mit einer Legende zum dargestellten Gewebe, sondern auch mit Zusatzinformationen – zum Beispiel zur Gesamtlänge des Gefässsystems. «Am Anfang jeder Ausstellung zeige ich gerne ein histologisches Originalbild neben dem gleichen Bild nach
der PopArt-Umwandlung. So kann jeder sehen, dass die Strukturen auch nach der Umwandlung noch deutlich zu erkennen sind und das Bild nicht zu abstrakt ist.»
Die nächsten Ausstellungen –
auch in der Schweiz! Für die erste Jahreshälfte 2017 hat Ker-
ber schon einige Ausstellungen geplant.
Unter anderem startet im März eine Son-
derausstellung im weltweit ersten Kör-
perwelten-Museum (MeMu: «Menschen
Museum») im Fernsehturm in Berlin.
«Hier passt meine Kunst gut dazu, da
auch hier den Besuchern mehr zum eige-
nen Körper vermittelt wird. Doch statt
den Makrokosmos wie bei den Plastilie-
rungen zeige ich den Mikrokosmos.»
Auch in der Schweiz stellt Kerber aus: Im
Mai zeigt sie ihre Bilder in Luzern beim
Swiss HistoTech Symposium.
L
Nierenkörperchen
Nebenhoden
Angelika Ramm-Fischer
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