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&K U R Z B Ü N D I G
Aktuelle Studien – kurz gefasst
Alemtuzumab verbessert Behinderung bei Multipler Sklerose
Alemtuzumab, ein humanisiertes monoklonaler IgG1-κ-Antikörper, führt laut einer Studie von Giovannoni et al. (1) im Vergleich zu Interferon-β1a bei Multipler Sklerose zu besseren Scores auf verschiedenen Messskalen der Behinderung. Laut Autoren kann mit Alemtuzumab (Lemtrada©) sogar eine echte Verbesserung der Behinderung erreicht werden und nicht nur eine Verzögerung einer Verschlechterung, was bis anhin bei dieser Krankheit als ein Massstab der Effektivität galt.
Die Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) konzentrierte sich über lange Zeit darauf, bereits bestehende Behinderungen zu verzögern (Confirmed Disability Worsening, CDW). Die meisten krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT), die für die schubförmige MS zugelassen sind, erreichen versus Plazebo eine solche Verzögerung, die auf Basis der Ergebnisse der EDSS (Expanded Disability Status Scale) bestätigt wird.
Verbesserung statt Verzögerung Mittlerweile, so berichten die Autoren der vorliegenden Studie, steige aber auch das Interesse an einer tatsächlichen Verbesserung der Behinderung (Confirmed Disability Improvement, CDI), was als höherer Standard der therapeutischen Effektivität gelte. CDI ist eine metrische Masseinheit, die anhaltende und klinisch bedeutsame EDSS-Score-Veränderungen widerspiegelt. Die vorliegende Studie setzte allerdings sowohl die EDSS als auch andere Skalen ein, da laut Meinung der Autoren die EDSS relativ stark auf die Mobilisierung der Patienten ausgerichtet sei und andere Aspekte einer Behinderung weniger stark berücksichtige. Insgesamt waren 628 Patienten in die zweijährige Studie eingeschlossen, 202 erhielten randomisiert IFN-β1a (44 µg, s.c. 3 x/Woche), 426 erhielten Alemtuzumab (12 mg an 5 aufeinanderfolgenden Tagen im Monat 0, an 3 aufeinanderfolgenden Tagen im Monat 12). Beide
Behandlungsgruppen wiesen ähnliche demografische und klinische Merkmale auf, auch der Anteil der Patienten mit einem Schub in jüngster Vergangenheit war in beiden Gruppen gleich. Die Outcomes der Behinderung wurden auf Basis verschiedener Skalen evaluiert: Neben der EDSS wurden auch Messungen auf der MSFC (MS Functional Composite) und der SLCLA (Sloan Low-Contrast Letter Acuity, Messung der Sehschärfe) vorgenommen.
Verbesserungen auf allen Scores Die Ergebnisse: Patienten der Alemtuzumabgruppe zeigten mit höherer Wahrscheinlichkeit als IFN-Patienten (p < 0,0001) Verbesserungen der EDSS-Scores in allen sieben funktionellen Systemen (Pyramidenbahn, Kleinhirn, Hirnstamm, Sensorium, Blasen- und Darmfunktion, Seh- und zerebrale Funktion), und signifikant mehr Alemtuzumabpatienten wiesen nach sechs Monaten eine bestätigte Verbesserung der Behinderung (CDI) auf. Auch die Wahrscheinlichkeit von verbesserten versus stabilen/schlechteren MSFC-Scores war unter Alemtuzumab höher (p = 0,0300), was vor allem auf die bessere Koordination und eine bessere Geschicklichkeit der oberen Extremitäten zurückzuführen war. Und: Mit dem Antikörper behandelte Patienten zeigten günstigere Verbesserungen versus Baseline auf den SLCLA-Scores (p = 0,0014) und dem kombinierten Score aus MSFC und SLCLA (p = 0,0097) als Patienten in der IFN-β1a-Gruppe.
Hohe Schwelle der Überlegenheit Das Fazit der Autoren lautet: Alemtuzumab ist besser wirksam als IFN-β1a in der Verbesserung von Outcomes der Behinderung; der Wirkstoff reduziert signifikant das Risiko einer CDW nach sechs Monaten und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer CDI nach sechs Monaten. Ausserdem weisen die Autoren darauf hin, dass die klinische Effektivität von Alemtuzumab versus IFN-β1a unabhängig von der Form der früheren DMT erhalten bleibt (z.B. IFN-β1a, IFN-β1b
oder Glatirameracetat). Durch den Einsatz der aktiven IFN-Vergleichssubstanz war zudem – im Vergleich zu den plazebokontrollierten Studien anderer DMT – die «Schwelle der Überlegenheit sehr hoch angelegt», unterstreichen die Autoren.
Reversibilität möglich Für die Autoren war die hier beobachtete Verbesserung aller sieben funktionellen EDSS-Bereiche ein weiteres signifikantes Ergebnis, nicht nur für die betroffenen Studienteilnehmer, sondern für alle Patienten mit aktiver, schubförmiger MS. Denn diese Beobachtung verweise darauf, dass solche Behinderungen bei dieser Patientengruppe möglicherweise reversibel seien – zumindest teilweise, bei Erhalt der geeigneten Therapie und unabhängig von der Art des funktionellen Defizits zur Baseline. Auch die Bedeutung des relativen neuen Parameters CDI wird nochmals betont: Da die CDI eine wiederholte Bestätigung eines veränderten EDSSScores erfordere, sei der Parameter im Vergleich zu Einzelpunktanalysen «resistent gegenüber transienten Fluktuationen». Die Auswirkungen einer besseren Therapie könnten von grosser Bandbreite sein: Da die Behinderung der hauptsächliche Verursacher der Krankheitsbelastung bei MS ist, könnte die Wiederherstellung der Funktion bei Patienten mit bereits vorhandenen neurologischen Störungen die langfristige Prognose verbessern, die Produktivität und die Lebensqualität erhöhen sowie die Kosten senken, so das Fazit.
Dr. med. Lydia Unger-Hunt Freie Journalistin
Referenz:
1. Giovannoni G, Cohen JA, Coles AJ, Hartung HP, Havrdova E, Selmaj KW, Margolin DH, Lake SL, Kaup SM, Panzara MA, Compston DA: CARE-MS II Investigators: Alemtuzumab improves preexisting disability in active relapsing-remitting MS patients. Neurology 2016; 87: 1985– 1992.
&16 1/2017
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE