Transkript
EDITORIAL
Flüchtlinge in der Psychiatrie – Herausforderungen und Chancen
I n der Schweiz sowie in den meisten anderen westeuropäischen Ländern suchen Flüchtlinge aus unterschiedlichen Gründen Schutz. Sie sind dabei mit diversen Belastungen im psychosozialen, gesundheitlichen, finanziellen sowie rechtlichen und sprachlichen Bereich konfrontiert. Derartige Stressoren im Speziellen sowie die Erfahrung der Migration im Allgemeinen können das Auftreten und den Verlauf psychischer Erkrankungen in unterschiedlichem Mass beeinflussen, woraus sich indirekt die Notwendigkeit einer spezialisierten Versorgungsstruktur für die Aufnahmeländer ergibt. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Flüchtlinge und Asylsuchende in der Schweiz gehäuft unter Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung sowie Angststörungen und Depressionen leiden. Für die Behandlung dieser Erkrankungen existieren evidenzbasierte Therapien, welche jedoch im Kontext der genannten Belastungen oftmals an Grenzen geraten. Hieraus entsteht die Aufgabe des jeweiligen Behandlers, migrationsspezifische Therapieelemente miteinfliessen zu lassen sowie bei unzureichenden Deutschkenntnissen des Patienten einen professionellen Dolmetscher hinzuzuziehen. Der Grossteil der Flüchtlinge kommt aus Teilen der Erde mit im Vergleich zur Schweiz deutlich abweichenden soziopolitischen Strukturen, Kulturkonzepten, Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit sowie den insbesondere in der Psychiatrie essenziellen Gewohnheiten oder intuitiven Vereinbarungen der menschlichen Kommunikation. Für viele Menschen aus Eritrea oder Afghanistan – die Länder, aus welchen die meisten Asylsuchenden hierzulande stammen – ist es beispielsweise völlig ungewohnt, allein mit einem Arzt über persönliche und womöglich intime Inhalte zu sprechen.
Flüchtlingsproblematik als Herausforderung Um der Flüchtlingsproblematik als einer der aktuellsten und zentralen Herausforderungen unserer Zeit aus neurologisch-psychiatrischer Sicht Rechnung zur tragen, beleuchten wir in dieser Ausgabe die heterogene Gruppe der Migranten aus unterschiedlichen Blickrichtungen. Der Psychiater PD Dr. Thomas Maier gibt hierbei vielfältige praktische Hinweise in Bezug auf die Gesprächsführung und die Settings psychotherapeutischer Behandlungen von Flüchtlingen und betont die Relevanz einer migrationsspezifischen Anamnese (Seite 11). Welche neuartigen Ansätze im vielfältigen Bereich der Behandlung traumatisierter Flüchtlinge notwendig und bereits vorhanden sind, zeigt der Beitrag von Prof. Ulrich Schnyder und Dr. Matthis Schick auf Seite 7. Die Herausforderungen, aber auch die Erkenntnisgewinne im Rahmen der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung von Migranten, welche teilweise im Kontrast zur institutionellen Psychiatrie stehen, illustriert der Beitrag von Dr. Bernhard Küchenhoff (Seite 14). Wie komplex die Diagnosefindung und die Behandlung im breiten Spektrum neurologischer Erkrankungen ist, schildern Prof. Erich Schmutzhard und Dr. Bettina Pfausler in eindrücklicher Weise (Seite 18). Im Interview mit dem Autor dieses Editorials auf Seite 4 finden Sie Informationen zur aktuellen Versorgung von Migranten in der Schweiz.
Wir hoffen, durch diese Artikel Ihr Interesse für das mannigfaltige Thema der Migrationspsychiatrie zu wecken, und wünschen Ihnen viel Raum zum Nachdenken und gemeinsamen Diskutieren. G
Dr. med. Janis Brakowski und Prof. Dr. med. Erich Seifritz
Stv. Leiter des Zentrums für Akute Psychische Erkrankungen (ZAPE) Psychiatrische Universitätsklinik Zürich E-Mail: Janis.Brakowski@puk.zh.ch www.pukzh.ch
Direktor Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
1/2017
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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