Transkript
ESC
Aktualisierte ESC-Leitlinie zum Vorhoffflimmern
NOAK weiter auf dem Vormarsch
In den neuen Europäischen Leitlinien zur Behandlung des Vorhofflimmerns wird die Bedeutung der neuen oralen Antikoagulanzien gestärkt. Auch nach der Kardioversion ist ihr Einsatz effektiv und sicher, wie die Studie ENSURE-AF zeigte.
In der beim ESC-Kongress 2016 in Rom präsentierten Neufassung der ESC-Leitlinie zur Behandlung des Vorhofflimmerns wurden erstmals Vertreter von drei Fachgesellschaften – nämlich ESC (European Society of Cardiology), EACTS (European Association of Cardio-Thoracic Surgeons) und ESO (European Stroke Organization) – gemeinsam involviert (1). Nicht nur Kardiologen, sondern auch Herzchirurgen und auf Schlaganfälle spezialisierte Neurologen wurden beteiligt, um dieser komplexen und vielschichtigen Erkrankung Herr zu werden, was am besten durch eine interdisziplinäre Behandlung gelingt. Im Vergleich zur vorherigen Leitlinie wird die Bedeutung einer frühen Diagnose stärker betont. Die Leitlinien empfehlen hierzu ein gelegentliches EKG-Screening auf Vorhofflimmern bei Patienten im Alter von über 65 Jahren. Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) in der Anamnese wird zu einem Ruhe-EKG und danach einem EKG-Monitoring über mindestens 72 Stunden geraten.
Kombinierter Endpunkt aus Schlaganfall, SEE, Myokardinfarkt und CV-Tod, %
REDUKTION DER ENDPUNKTEREIGNISSE
2.0 Edoxaban
Enoxaparin + Warfarin (Zeit im therapeutischen Bereich = 70,8%)
1.5 OR (95%-KI): 0,46 (0,12–1,43)
1,0% 1.0
OR (95%-KI): 0,40 (0,04–2,47)
0,8%
OR (95%-KI): 0,50 (0,08–2,36)
1,2%
0,6% 0,5% 0.5
0,3%
5/1095 11/1104
2/589 5/599
0.0
Gesamt nach Behandlung TEE-Stratum
3/506 6/510 Non-TEE-Stratum
Abbildung: Primärer Studienendpunkt der ENSURE-AF-Studie: Edoxaban ist Enoxaparin mindestens ebenbürtig, unabhängig von der gewählten Kardioversionsstrategie. SEE = systemisches embolisches Ereignis, TEE Stratum = frühe Kardioversion, Non-TEE Stratum = konventionelles Vorgehen).
Eine Therapie soll gemäss der Leitlinie nur eingeleitet werden, wenn das Vorhofflimmern im EKG dokumentiert wurde.
Die Therapie selbst wird in der Leitlinie in folgende fünf Bereiche (domains) unterteilt: • Akuttherapie mit möglicher Kardioversion und Fre-
quenzkontrolle • Management von Risikofaktoren (z.B. Hypertonie oder
Herzklappenerkrankungen) • Abschätzung des Schlaganfallrisikos und eventuell
orale Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe • Langfristige Frequenzkontrolle zur Symptomverbesse-
rung • Rhythmuskontrolle durch Kardioversion, Antiarrhyth-
mika, Katheterablation oder chirurgische Ablation.
Ergebnisse des CHA2DS2-Vasc-Score entscheiden über die Antikoagulation
Wie in der vorigen Fassung wird der CHA2DS2-Vasc-Score zur Bestimmung des Schlaganfallrisikos als Basis für die Entscheidung für eine orale Antikoagulation eingesetzt, wobei in der neuen Leitlinie empfohlen wird, selbst bei Patienten mit nur einem Risikofaktor (CHA2DS2-VascScore = 2 bei Frauen und 1 bei Männern) je nach individuellen Gegebenheiten bereits eine orale Antikoagulation in Betracht zu ziehen. Thrombozytenaggregationshemmer werden aufgrund ihrer unzureichenden Wirksamkeit nicht mehr für die Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern empfohlen.
NOAK erhalten eine First-Line-Empfehlung
Der Stellenwert der NOAC (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban) wurde weiter gestärkt: Sie werden in den Leitlinien als First-line-Therapie für die Schlaganfallprophylaxe empfohlen. Die Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bleibt weiterhin eine valide Option und ist nach wie vor die einzige Wahl bei Patienten mit mechanischen Herzklappenprothesen. Auch der Stellenwert der Katheterablation ist weiter gefestigt worden. Sie ist inzwischen Therapie der Wahl bei Patienten mit symptomatischen Rezidiven unter einer Therapie mit Antiarrhythmika. Gemäss der neuen Leitlinie kann die Katheterablation sogar bei ausgewählten Patienten mit symptomatischem paroxysmalem Vorhof-
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flimmern alternativ zu Antiarrhythmika als First-LineTherapie in Betracht gezogen werden.
Effektiv und sicher nach Kardioversion
Die Studie ENSURE-AF (EdoxabaN vs. warfarin in subjectS UndeRgoing cardiovErsion of Atrial Fibrillation) sollte die Frage beantworten, ob eine Antikoagulation mit dem Faktor-Xa-Hemmer Edoxaban auch vor der Kardioversion wirksam und sicher ist. Die Studienergebnisse dieser grössten Studie zur Kardioversion wurden in Rom vorgestellt und gleichzeitig publiziert (2). «Eine Kardioversion ist immer mit einem Risiko für ein thromboembolisches Ereignis, sprich Schlaganfall, assoziiert, sodass eine effektive Antikoagulation zwingend erforderlich ist», erklärte Prof. Andreas Götte aus Paderborn (D). Derzeit wird zum Thromboseschutz vor Kardioversion ein niedermolekulares Heparin (NMH) überlappend mit einem Vitamin-K-Antagonisten verabreicht, bis der INR-Zielwert >2 erreicht ist. In ENSURE-AF erhielten 2199 Patienten randomisiert entweder 60 mg Edoxaban einmal täglich oder Enoxaparin überlappend mit Warfarin. Die Rate für den primären kombinierten Endpunkt (Schlaganfall, systemische Embolie, Myokardinfarkt und kardiovaskulärer Tod) lag unter Edoxaban bei 0,5 Prozent, unter NMH/Warfarin bei 1,0 Prozent; dieser Unterschied war nicht signifikant. Laut aktuellen Leitlinien gibt es zwei Strategien für die Kardioversion bei Vorhofflimmern: die konventionelle nach einer dreiwöchigen Antikoagulation oder die frühe nach Ausschluss eines Thrombus mittels transösophagealer Echokardiografie (TEE). Dieses Ergebnis war unabhängig davon, welche Strategie gewählt wurde (Abbildung).
Gute Verträglichkeit
Insgesamt ereigneten sich sehr wenige Blutungen, wobei es auch hier keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Strategien gab. Die Rate stärkerer Blutungen lag unter Edoxaban bei 1,5 Prozent, bei NMH/Warfarin bei 1,0 Prozent, die Gesamtblutungsrate bei 3,0 versus 3,2 Prozent. «Die Ergebnisse sprechen eindeutig dafür, dass Edoxaban auch bei der Kardioversion eine wirksame und sichere Option darstellt, die der bisherigen Strategie keinesfalls unterlegen ist», so Götte. Insgesamt ergab sich ein Nettobenefit für die Edoxabangruppe, und dieser war auch unabhängig von der Nierenfunktion und der gewählten Dosis. Das Ergebnis ist besonders angesichts der Tatsache bemerkenswert, dass die Gerinnungswerte in der mit VKA/NMH behandelten Gruppe sehr gut kontrolliert waren: Sie befanden sich während 70,8 Prozent der Zeit im therapeutischen Zielbereich.
Universales Faktor-Xa-Hemmer-Antidot wirksam bei Patienten mit schweren Blutungen
Als Nachteil des Einsatzes der NOAK gilt derzeit, dass deren Wirkung im Gegensatz zu VKA nicht antagonisierbar ist. Diesem Argument könnte bald der Boden ent-zogen sein, wie erste Ergebnisse der noch laufenden ANNEXA-4Studie zeigen: Hier wird Andexanet-alfa als spezifisches Antidot gegen direkte und indirekte Faktor-Xa-Hemmer bei Patienten mit schweren akuten Blutungen auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft (3). Die Studienteilnehmer im Alter von 77 Jahren hatten aufgrund häufiger kardiovaskulärer Begleiterkrankungen alle ein hohes Blutungsrisiko. Dr. Stuart Connolly aus Hamilton (CDN) stellte beim ESC-Kongress in Rom jetzt die Ergebnisse einer vorläufi-
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gen Analyse von Daten der ersten 67 Patienten vor: Nach einer Bolusgabe des Antidots nahm die Anti-Faktor-Xa-Aktivität im Blut der Patienten nach kurzer Zeit deutlich ab: Bei mit Rivaroxaban oder Apixaban behandelten Patienten war eine rasche Reduktion dieser Aktivität um 89 beziehungsweise 93 Prozent in Relation zu den Ausgangswerten zu verzeichnen. Im Anschluss an die Bolusgabe wurde eine Infusion mit Andexanet-alfa für die Dauer von 2 Stunden durchgeführt. Bei 79 Prozent der Patienten beurteilten die Prüfärzte die klinische Hämostase in den ersten 12 Stunden als «sehr gut bis gut». Von den Studienteilnehmern waren 32 mit Rivaroxaban, 31 mit Apixaban und 4 mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin behandelt worden. Grund für die Behandlung mit Andexanet-alfa waren vorwiegend gastrointestinale (49%) und intrakranielle Blutungen (42%). In einem Nachbeobachtungszeitraum von 30 Tagen wurden bei 12 der 67 Studienteilnehmer (18%) thrombotische Ereignisse registriert. Nach Einschätzung von Connolly ist die hohe Thromboserate angesichts der ausgeprägten Komorbidität der Studienteilnehmer nicht verwunderlich. Andexanet-alfa ähnelt dem menschlichen Faktor Xa (FXa) und bindet mit hoher Affinität und kompetitiv zu huma-
nem FXa im Blut vorhandene Faktor-Xa-Hemmer. Es wirkt sowohl gegen direkte Faktor-Xa-Hemmer (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban) als auch gegen indirekte Faktor-Xa-Hemmer wie Enoxaparin aus der Gruppe der niedermolekularen Heparine und wird daher auch als «Universal-Antidot» bezeichnet. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat den eingereichten Zulassungsantrag für Andexanet-alfa jüngst zur Prüfung akzeptiert.
Susanne Kammerer
Quellen: Vorträge beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 31. August 2016 in Rom. 1. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016, doi: 10.1093/eurheartj/ ehw210. 2. Hot-Line «New preventive Strategies», sowie zeitgleich publiziert Götte A et al.: Edoxaban versus enoxaparin–warfarin in patients undergoing cardioversion of atrial fibrillation (ENSURE-AF): a randomised, open-label, phase 3b trial. Lancet 2016, doi: 10.1016/S0140-6736(16)31474-X. 3. Hot-Line «Preventive Strategies 2», sowie publiziert Connolly SJ et al.: Andexanet Alfa for Acute Major Bleeding Associated with Factor Xa Inhibitors. N Engl J Med 2016, online 30. August; DOI: 10.1056/ NEJMoa1607887.
IMPRESSIONEN
Fotos: ESC
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