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Titel
50 Jahre Manuelle Medizin
Untertitel
Wirksame Behandlung mit blossen Händen!
Lead
ARS MEDICI: Herr Böhni, Sie sind Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM). Was ist eigentlich der Inhalt der Manuellen Medizin? Dr. med. Ulrich Böhni: Unter dem Begriff «Manuelle Medizin» sind alle Formen manueller Einwirkung auf den Körper des Patienten mit diagnostischer, therapeutischer und präventiver Zielsetzung zusammengefasst. Ergebnisse der neurobiologischen Grundlagenforschung zeigen, dass manualtherapeutische Verfahren schmerzhemmende Systeme des Körpers aktivieren.
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-
Rubrik
MEDIZIN — INTERVIEW
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302
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INTERVIEW

50 Jahre Manuelle Medizin: wirksame Behandlung mit blossen Händen!

ARS MEDICI: Herr Böhni, Sie sind Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM). Was ist eigentlich der Inhalt der Manuellen Medizin? Dr. med. Ulrich Böhni: Unter dem Begriff «Manuelle Medizin» sind alle Formen manueller Einwirkung auf den Körper des Patienten mit diagnostischer, therapeutischer und präventiver Zielsetzung zusammengefasst. Ergebnisse der neurobiologischen Grundlagenforschung zeigen, dass manualtherapeutische Verfahren schmerzhemmende Systeme des Körpers aktivieren.
ARS MEDICI: Welche Methoden nutzt die Manuelle Medizin? Ulrich Böhni: Die klinische Diagnostik wird durch eine gezielte funktionsdiagnostische Befunderhebung ergänzt: Kriterien sind die segmentale und regionale Beweglichkeit, die Zeichen der reflektorischen Irritation sowie die gezielte funktionspalpatorische Provokationsuntersuchung. Dadurch ergeben sich die eigentliche Schmerzanalyse und die Indikation zur gezielten manuellen Therapie.
ARS MEDICI: Welche therapeutischen Verfahren kommen zur Anwendung? Ulrich Böhni: Zur Lösung der diagnostizierten Funktionsstörungen kommen Mobilisationen ohne Impuls, Manipulationen, verschiedene neuromuskuläre Inhibitionstechniken an Muskulatur und an Weichteilen zur Anwendung. Diese wirken an allen anatomischen Strukturen wie Wirbelsäule, periphere Gelenke, Muskulatur, Faszien und Nerven. Über bekannte neuroreflektorische Mechanismen werden vorhandene «Blockierungen» sowie Verspannungen gelöst und die Schmerzperzeption wird auf verschiedenen Ebenen beeinflusst. Dazu gehört die Instruktion manueller Selbstbehandlungen – auch im Sinne der Erarbeitung von Übungsprogrammen –, also die Beteiligung des Patienten.

den. Die Methode ist schonend und kostengünstig. Überdies kann der Arzt dadurch die Methoden der inhaltlich artverwandten Chiropraktik und Osteopathie selber anwenden.
ARS MEDICI: Wann wird die Manuelle Medizin eingesetzt? Ulrich Böhni: Wir setzen die Manuelle Medizin vor allem bei akuten und chronischen Beschwerden des Rückens beziehungsweise des gesamten Bewegungsorgans ein.
ARS MEDICI: Wie wirksam ist die Manuelle Medizin bei Rückenschmerzen? Ulrich Böhni: Rückenschmerzen sind ein sehr häufig auftretendes Leiden. Die Manuelle Medizin ist hierbei bestens geeignet, akute Rücken- und Nackenschmerzen gezielt anzugehen. Bei länger dauernden Schmerzen stehen zuerst die manuelle Schmerzanalyse sowie die Linderung der Beschwerden respektive das Lösen von muskulären Verspannungen im Vordergrund.
ARS MEDICI: Wie wird man Manualmediziner? Ulrich Böhni: Das Diplom der Manuellen Medizin bekommt, wer eine schweizerische Facharztausbildung mit FMH-Titel abgeschlossen und die gesamte Weiterbildung im Bereich der Manuellen Medizin erfolgreich absolviert hat. Alle fünf Jahre muss jeder Manualmediziner eine Rezertifizierung durchlaufen. Diese erhält nur, wer die nötigen Fortbildungen nachweisen kann. Insofern sorgt unsere Gesellschaft für eine qualitativ hoch stehende Aus-, Weiter- und Fortbildung.

ARS MEDICI: Was sind die Vorteile der Manuellen Medizin? Ulrich Böhni: Die Funktionsdiagnostik am Patienten ist einfach, direkt und effizient. Daraus ergeben sich unmittelbare gezielte manuelle Therapieschritte. Mit präzisen Fragestellungen können notwendige Zusatzabklärungen angeordnet wer-

406 ARS MEDICI 10 ■ 2009

INTERVIEW

Die Weiterbildung Manuelle Medizin in Kürze

Zur Person
Dr. med. Ulrich Böhni ist Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM) und Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie.

Der Lehrgang «Manuelle Medizin SAMM» beinhaltet sieben Module, die jeweils vier Tage dauern. In der Hälfte der Weiterbildung ist ein zweitägiges Integrationsmodul eingeschoben, das bisher Gelerntes repetiert und die klinische Anwendung vertieft. Die gesamte Weiterbildung beträgt 30 Unterrichtstage. Der Unterricht ist in Theorie und Praxis unterteilt. Davon werden 4 Tage für klinische Demonstrationen eingesetzt. Die Teilnehmer müssen ausserdem mindestens 60 Stunden für das Selbststudium aufwenden.
Die Weiterbildung wird mit einer praktischen Prüfung abgeschlossen. Wer die Prüfung erfolgreich bestanden hat, einen Facharzttitel FMH besitzt und Mitglied bei der FMH ist, erhält den Fähigkeitsausweis Manuelle Medizin SAMM. Die Module können berufsbegleitend, verteilt auf zwei Jahre (bei Bedarf auch länger), absolviert werden.
Auskünfte: Schweizerische Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM) Röschstrasse 18, Postfach 191, 9006 St.Gallen Tel. 071 246 51 81, E-Mail: info@samm.ch, Internet: www.samm.ch

ARS MEDICI: Die Schweizerische Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM) feiert in diesem Jahr ihr 50-JahrJubiläum. Welches sind die grössten Erfolge während dieser Zeit? Ulrich Böhni: Aus ursprünglich «erfahrungsmedizinischen» Inhalten wurde dank eines unermüdlichen Einsatzes verschiedener Generationen ein naturwissenschaftlich begründetes, medizinisches Fachgebiet mit effizienten Therapiemöglichkeiten. Das Gesetz des unmittelbaren «Behandelns» steht nach wie vor im Vordergrund – es ist ein wunderbares Handwerk geblieben!
ARS MEDICI: Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten 50 Jahre vorgenommen? Ulrich Böhni: Das Fachgebiet und Curriculum für Manuelle Medizin soll weiter entwickelt und wissenschaftlich vertieft werden; dazu streben wir eine verstärkte Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den europäischen Ländern und Fakultäten an.

ARS MEDICI: Wie viele Manualmediziner gibt es in der Schweiz? Ulrich Böhni: Die Schweizerische Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin zählt über 1300 Mitglieder. Zahlreiche Allgemeinpraktiker überall in der Schweiz verfügen über diese praktische und wirksame Zusatzausbildung. Viele davon üben sie auch in der eigenen Praxis aus.
ARS MEDICI: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Manualmediziner und einem Chiropraktoren? Ulrich Böhni: Methodologisch gibt es keinen Unterschied zwischen einer manuellen Therapie durch den Arzt oder der Chiropraktik. Manualtherapie ist eine Behandlungsmethode des breit ausgebildeten Arztes, während der Chiropraktor (oder der Osteopath) ein vom Arzt abgegrenztes, separates Berufsbild dargestellt – in der Regel in den USA ausgebildet.
ARS MEDICI: Werden die Therapien von den Krankenkassen bezahlt? Ulrich Böhni: Ja, selbstverständlich! Die Manuelle Medizin ist eine wissenschaftlich anerkannte, medizinische Heilmethode, welche die sogenannten WZW-Kriterien (wissenschaftlich, zweckmässig, wirtschaftlich) erfüllt und die auch tariflich speziell abgegolten wird.

Herr Böhni, wir danken Ihnen für dieses Interview und wünschen der SAMM zu Ihrem Jubiläum alles Gute!

ARS MEDICI 10 ■ 2009 407