Transkript
SGR
Rheumatische Erkrankung – ein Risiko für die Schwangerschaft?
Antirheumatische Therapie bei Schwangerschaft und Kinderwunsch
Foto: UB
Auch Frauen mit einer rheumatischen Erkrankung können sich ihren Kinderwunsch erfüllen. Allerdings kann die Schwangerschaft den Krankheitsverlauf beeinflussen, wie auch die Erkrankung und Therapie den Verlauf der Schwangerschaft. PD Dr. Frauke Förger aus Bern skizzierte praktisch wichtige Aspekte der Schwangerschaftsrheumatologie.
Frauke Förger
EULAR-Statement ... … zum Einsatz von Antirheumatika vor und während der Schwangerschaft sowie während der Stillzeit: http://ard.bmj.com/content/ early/2016/02/17/annrheum dis-2015-208840.full.pdf
Eine Schwangerschaft bedeutet immer eine immunologische Ausnahmesituation, da das heranwachsende Baby 50 Prozent körperfremde Gene trägt und deshalb eine Toleranzsituation geschaffen werden muss, was sich auch auf eine bestehende Autoimmunerkrankung der Mutter auswirkt. In den letzten Jahren sind eine Reihe neuer Erkenntnisse zur wechselseitigen Beeinflussung von Krankheit, Therapie und Schwangerschaft gewonnen worden, auch wenn noch nicht auf alle Fragen und Problemstellungen Antworten gegeben werden können. Deshalb wird in der Schweiz nun eine Schwangerschaftskohorte im Rahmen des SCQM (Swiss Clinical Quality Management) etabliert, in die Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis, Spondyloarthritis und Psoriasisarthritis aufgenommen werden. Man möchte mehr Informationen darüber gewinnen, wie sich Krankheit und Medikation auf die Schwangerschaft und die Gesundheit der Kinder auswirken.
Besserung der RA in der Schwangerschaft
Frauen mit rheumatoider Arthritis (RA) können mit Eintritt einer Schwangerschaft auf eine Linderung ihrer Beschwerden hoffen. Bis zu zwei Drittel der schwangeren Patientinnen erfahren eine Abnahme der rheumatischen Krankheitsaktivität. Dadurch wird es möglich, vergleichsweise «milde» Medikamente einzusetzen, ohne damit einen Krankheitsschub zu riskieren, sagte Förger. Gleichwohl gibt es Patientinnen, die während der Schwangerschaft einen Krankheitsschub erleiden. Wichtig sei, dass die rheumatoide Arthritis vor einer Konzeption gut unter Kontrolle gebracht werde, andernfalls reiche der günstige Effekt der Schwangerschaft oft nicht aus, um ohne ein Aufflammen der Erkrankung durch die Schwangerschaft zu kommen, betonte Förger. Tritt ein Schub ein, wird eine schwangerschaftsverträgliche Therapie (s. Tabelle) unumgänglich. Zu den gut tolerierten Basismedikamenten gehört Sulfasalazin, das normalerweise in 500-mg-Schritten pro Woche bis auf 2 g aufdosiert wird. Wichtig, so Förger, sei die gleichzeitige tägliche Gabe von Folsäure, da SZP deren gastrointestinale Aufnahme hemmt. Die in der Schwangerschaft üblicherweise verabreichte Multivitamindosis enthält weniger als 1 mg Folsäure – unter SZP-Therapie ist diese Dosierung nicht ausreichend. Wie hoch der Mehrbedarf genau ist,
lässt sich nicht sagen, «mit 5 mg Folsäure pro Tag sind Sie aber auf der sicheren Seite», sagte Förger. Nach Erfahrung der Rheumatologin funktioniert die Kombination aus SZP und Hydroxychloroquin (HCQ) oft gut (eventuell mit Steroiden kombiniert). Die Wirksamkeit reicht im Allgemeinen an die von Methotrexat (MTX) heran. MTX wiederum gehört neben Cyclophosphamid und Mycophenolatmofetil zu den teratogenen und damit in der Schwangerschaft kontraindizierten Basistherapeutika. Die vulnerable Zeit beginnt um die 6. Schwangerschaftswoche (SSW). «Wenn dann MTX in die Schwangerschaft hineinkommt, entsteht ein teratogenes Risiko», sagte Förger. Dieses bleibt allerdings niedrig, sofern die MTX-Dosis weniger als 30 mg/Woche beträgt – eine Dosierung also, wie sie bei rheumatischen Erkrankungen üblich ist. In der bisher grössten prospektiven Kohortenstudie (n = 188) zeigte sich, dass Geburtsdefekte nur in etwa 6 Prozent der Fälle auftreten, wenn MTX noch nach der Konzeption (also in der Frühschwangerschaft) verabreicht wird. Es bestehe also, so Förger, in diesen Fällen kein Anlass für einen induzierten Abort, sehr wohl aber für regelmässige Ultraschallkontrollen. Allerdings führt die MTX-Exposition selbst in etwa 20 Prozent der Fälle zu einem Spontanabort. Heute gilt die Regel, dass MTX 1 bis 3 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden sollte, um kein Risiko einzugehen. Die Folsäuretherapie soll bis zum Ende des 1. Trimesters fortgesetzt werden.
Biologika in der Schwangerschaft?
Bei vielen Biologika ist die Datenlage zur Sicherheit zurzeit noch nicht ausreichend, um sichere Schlüsse zu ziehen oder Entwarnung geben zu können, weshalb diese Substanzen nicht primär eingesetzt werden dürfen. Zum anderen gibt es nach den bisherigen Erfahrungen keine Evidenz dafür, dass TNF-alpha-Hemmer ein nennenswertes teratogenes Potenzial besitzen. Förger ging auch auf Tocilizumab, einen Antikörper gegen den Interleukin-6Rezeptor, ein. Eine Analyse von prospektiven und retrospektiven Studien bei 288 Schwangerschaften, bei denen die Exposition meist um die Konzeption und im 1. Trimester stattfand, zeigte folgende Ergebnisse: Ein Spontanabort trat unter Tocilizumab bei 21,7 Prozent der Frauen auf, wobei ein Teil von ihnen auch MTX als Komedikation erhalten hatte. 4,5 Prozent der Kinder wiesen
4 • CongressSelection Rheumatologie • Oktober 2016
SGR
Malformationen auf, in der gesunden Normalbevölkerung treten Fehlbildungen bei 3 bis 5 Prozent der Kinder auf. Die Frühgeburtsrate war leicht erhöht; ob Tocilizumab dafür verantwortlich ist, ist laut Förger aber unklar. Die EULAR Task Force kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass die Sicherheit von Biologika nicht abschliessend bewertet werden könne. Trotzdem gibt es Situationen, in denen ihr Einsatz erwogen werden kann, wenn andere Therapien versagen und eine Krankheitskontrolle notwendig erscheint. In einem Konsensusverfahren haben die EULAR-Experten die verschiedenen Biologika bewertet und ihre Empfehlungen über einen möglichen Einsatz in der Schwangerschaft und Stillzeit dargelegt. Certolizumab ist der TNF alpha-Hemmer, der einen äusserst geringen Plazentatransfer aufweist. Das konnte in einer Berner Studie bei 13 Patientinnen bestätigt werden. Messungen im mütterlichen Blut und im Nabelschnurblut kurz nach der Geburt zeigten, dass die Neugeborenen maximal 3 Prozent der mütterlichen Medikamentenspiegel aufwiesen; zum Teil war die Konzentration unter der Messbarkeitsgrenze. Ein höherer Plazentatransfer ist bei Etanercept zu erwarten. Certolizumab und Etanercept können als einzige Biologika im Bedarfsfall bis zum Ende der Schwangerschaft eingesetzt werden. Der Einsatz anderer Biologika, wie etwa Infliximab und Adalimumab, ist dagegen nur bis zur 20. SSW möglich.
Krankheitsaktivität beeinflusst Geburtsgewicht
Eine hohe Krankheitsaktivität kann sich auf den Verlauf der Schwangerschaft negativ auswirken. In erster Linie ist ein niedriges Geburtsgewichts zu befürchten, was wiederum mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko des Kindes einhergeht. Vor diesem Hintergrund ist es das Anliegen der Rheumatologen, während der Schwangerschaft eine niedrige Krankheitsaktivität aufrechtzuerhalten oder zu erlangen. Förger betonte, dass eine inaktive beziehungsweise gut kontrollierte rheumatoide Arthritis die Schwangerschaft nicht beeinträchtige. Im Allgemeinen sind seronegative Schwangere häufiger in Remission oder zeigen einen günstigeren Krankheitsverlauf. Eine hohe Krankheitsaktivität hat übrigens auch Auswirkung auf die Fertilität. Die betroffenen Frauen müssen oft länger als 1 Jahr warten, bis sie schwanger werden. Auch NSAR und Prednison in einer Dosis von >7,5 mg/Tag können die weibliche Fertilität ungünstig beeinflussen.
Antirheumatika bei Männern – bei Kinderwunsch absetzen?
Was ist bei der Familienplanung zu beachten, wenn der Mann sich einer Basistherapie wegen einer rheumatischen Erkrankung unterziehen muss? Muss er die antirheumatische Therapie in diesen Fällen vor der geplanten Konzeption absetzen? Früher wurde empfohlen, eine MTX-Therapie des Mannes vor einer geplanten Schwangerschaft zu beenden. Das hat sich, wie Förger berichtete, inzwischen geändert. Fallserien, Registerdaten und eine grosse Observationsstudie haben gezeigt, dass MTX in der üblichen Dosierung auf den Schwangerschaftsverlauf sowie auf die Entwicklung und Gesundheit der Kinder keinen Einfluss hat; weder die Abort- noch die Malformationsrate ist erhöht. Die Familienplanung muss also nicht verschoben werden, wenn der Mann einer MTX-Behandlung bedarf.
Tabelle:
SCHWANGERSCHAFTSVERTRÄGLICHE MEDIKAMENTE IN DER RHEUMATOLOGIE
Hydroxychloroquin in einer Dosis bis 400 mg/Tag: keine Evidenz für maternales oder fötales Risiko
Sulfasalazin
kann bis 2 g/Tag eingesetzt werden Risiko der Folsäure-Depletion beim Fötus
Steroide
gering erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, im zweiten Trimester sollte eine Dosis von 15 mg/Tag nicht überschritten werden
NSAR
nach der 32. SSW nicht indiziert wegen des Risikos einer Konstriktion des Ductus arteriosus sowie fötaler Nierenfunktionsstörungen
Azathioprin
nicht teratogen; max. Dosis 2 mg/kg/Tag, bei höherer Dosierung möglicherweise Störungen der Hämatopoese
Ciclosporin
nicht teratogen; Dosis 2,5–5 mg/kg/Tag
Doch wie steht es um die TNF-alpha-Hemmer? TNF-alpha spielt wegen seines apoptotischen Effekts eine Rolle für die männliche Fertilität. Ist der TNF-alpha-Spiegel zu niedrig, leidet darunter die Spermienmotilität, und die Spermienzahl ist verringert. Ist der TNF-alpha-Spiegel hingegen zu hoch, ist mit einer beeinträchtigten Spermienfunktion rechnen. Die Therapie mit TNF-alpha-Hemmern hat keinen ungünstigen Effekt auf die Spermienqualität und den Ausgang der Schwangerschaft. Sie kann sogar hilfreich sein, wie eine Berner Studie bei Patienten mit aktiver Spondyloarthritis gezeigt hat. Die Behandlung mit einem TNFalpha-Hemmer verbesserte die Spermienqualität (Motilität und Vitalität), die durch die Erkrankung eingeschränkt war. Es gibt laut Förger eine gute Datenlage dafür, dass TNFalpha-Hemmer keinen ungünstigen Effekt auf die Spermienqualität und auf den Ausgang der Schwangerschaft haben. Deshalb sollte eine TNF-alpha-Hemmer-Therapie beim Mann bei Familienplanung nicht abgebrochen werden, sagte Förger.
Spondyloarthritis – erhöhte Krankheitsaktivität in der Schwangerschaft
Anders als bei rheumatoider Arthritis haben Patientinnen mit Spondyloarthritis meist keine Besserung ihrer Erkrankung in der Schwangerschaft zu erwarten. Vielmehr hält die Krankheitsaktivität oft an und erreicht im 2. Trimester ihren Höhepunkt, sofern keine Behandlung erfolgt. Studien zeigen, dass 80 Prozent der unbehandelten Schwangeren mit axialer Spondyloarthritis eine aktive Erkrankung aufweisen. Während einige frühere Daten vermuten liessen, dass eine Spondyloarthritis normalerweise keine Auswirkungen auf die Schwangerschaft hat, scheint vor allem eine hohe Krankheitsaktivität doch gewisse Risiken zu bergen, wie Förger unter Hinweis auf neuere Registerdaten aus Norwegen und Schweden sagte. Im Vordergrund steht dabei das Frühgeburtsrisiko. Schwangere, die an Spondyloarthritis erkrankt sind, werden erfahrungsgemäss häufiger durch Kaiserschnitt entbunden, allerdings besteht laut Förger kein Grund, eine Schnittgeburt von vornherein zu empfehlen. Erleidet die Schwangere einen Krankheitsschub, sollten zunächst nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) mit
CongressSelection Rheumatologie • Oktober 2016 • 5
SGR
einer kurzen Halbwertszeit eingesetzt werden, namentlich Ibuprofen und Diclofenac. Ibuprofen könne auch in der Stillzeit gut eingesetzt werden, empfahl Förger. Probleme könnten unter NSAR während der Schwanger-
Take Home Messa es
® Rheumatoide Arthritis verbessert sich in der Schwangerschaft oft, eine Spondylo-
arthritis bleibt ohne Therapie meist aktiv.
® Es ist wichtig, eine rheumatische Krankheit vor der Konzeption gut unter Kontrolle
zu bringen.
® Methotrexat ist teratogen und in der Schwangerschaft kontraindiziert; es sollte
1 bis 3 Monate vor Konzeption abgesetzt werden.
® NSAR können in der Schwangerschaft eingesetzt werden; empfohlen werden
Ibuprofen und Diclofenac wegen der kurzen Halbwertszeit. In der Stillzeit ist Ibuprofen das NSAR der Wahl.
® TNF-alpha-Hemmer sollen bei positivem Schwangerschaftstest zur Sicherheit ab-
gesetzt werden. Sie scheinen aber nach bisherigem Kenntnisstand nicht teratogen zu sein.
® Der Einsatz von einzelnen Biologika kann in bestimmten Situationen – nach
genauer Abwägung von Nutzen und Risiken – gerechtfertigt sein.
® Methotrexat und TNF-alpha-Hemmer müssen beim Mann nicht abgesetzt werden,
wenn eine Schwangerschaft geplant ist.
schaft auftreten, seien aber insgesamt sehr selten. Hierzu zählt in erster Linie ein frühzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus und ein Oligohydramnion aufgrund von Nebenwirkungen auf die kindliche Niere. Gelingt es nicht, die Krankheit mit NSAR unter Kontrolle zu bringen, kommen auch hier – nach Abwägen von Nutzen und Risiken – TNF-alpha-Hemmer als Option infrage. Oft wird von betroffenen Eltern die besorgte Frage gestellt, ob die Spondyloarthritis vererbt werden könne. Tatsächlich ist das Erkrankungsrisiko für die Kinder erhöht, wenn ein Elternanteil erkrankt und HLA-B27-positiv ist. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens zu erkranken, beträgt etwa 10 bis 20 Prozent, wobei der erkrankte Vater das Risiko hauptsächlich an die Söhne weitergibt. Ist die Mutter erkrankt, besteht ein gleichermassen erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Kindern beider Geschlechter. Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht für betroffene Eltern: Bei Babys, die gestillt werden, verringert sich offenbar das Erkrankungsrisiko. Mütter sollten also nach Möglichkeit ihr Baby stillen.
Uwe Beise
Quelle: Meet the Expert Session «Schwangerschafts-Rheumatologie»
beim Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumato-
logie (SGR), 25./26. August 2016 in Interlaken.
6 • CongressSelection Rheumatologie • Oktober 2016