Transkript
SGGG
Transgender-Betroffene in der gynäkologischen Praxis
Weniger kompliziert als oft vermutet
Die Zentren, die es für die Betreuung von Transgender-Betroffenen in der Schweiz gibt, sind am Rande ihrer Kapazitäten. Deshalb soll den niedergelassenen Gynäkologen Mut gemacht werden, diese Menschen in ihren Praxen zu betreuen. Denn das ist medizinisch weniger kompliziert, als mancher vielleicht denken mag.
In der Transgender-Sprechstunde an der UFK in Bern betreut Prof. Dr. Annette Kuhn zurzeit 92 Betroffene. Auch wenn für viele Menschen Transsexualität keine Krankheit sei, müsse sie medizinisch doch wie eine behandelt werden, berichtete die Expertin. Andernfalls werde die Therapie von den Krankenkassen nicht übernommen. Nach ICD-10 gehört der Transsexualismus zu den Störungen der Geschlechtsidentität (F64.0). Nach ICD-10 muss auch abgerechnet werden, um die Änderungen des Personenstandes oder Namensänderung durchführen lassen zu können.
HORMONELLE SUBSTITUTION BEI TRANSGENDER-BETROFFENEN
• Mann-zu-Frau: Androgenblockade, Östrogensubstitution (z.B. Androcur® 10-20-50 mg, z.B. Estradot® 25-50-75-100 mg), vorzugsweise transdermal
• Frau-zu-Mann: Nebido® i.m. (zunächst alle 8–10 Wochen, dann alle 10–12 Wochen) oder Testogel®
• Jugendliche: Pubertät anhalten (durch den Kinderendokrinologen)
Quelle: Workshop Nr. 7 / AUG «Praktische Aspekte bei der Betreuung von TransgenderBetroffenen» beim Jahreskongress der SGGG, 22. Juni 2016 in Interlaken.
Rechtliche Aspekte und formeller Ablauf der Behandlung
Um die Behandlung überhaupt beginnen zu können, muss ein psychiatrisches Gutachten vorliegen, das zwar nicht umfangreich sein muss, aber eine klare Diagnose enthalten soll. «Es reicht, wenn in dem Gutachten steht: ‹Frau Mustermann ist transsexuell, und ich bitte um endokrinologische Begleitung›», ergänzte Kuhn. Sobald dieses Gutachten vorliegt, übernehmen die Krankenkassen die Behandlung. Bei der Erstkonsultation sollte eine genaue Anamnese durchgeführt werden. Es bietet sich an, nach dem Outing, dem sozialen Umfeld, der partnerschaftlichen Situation und dem kulturellen Hintergrund zu fragen. Besonders kulturell gebe es erhebliche Unterschiede bei den Betroffenen, schilderte Kuhn. Medizinisch gilt es, nach möglichen Erbkrankheiten, Koagulopathien und Embolien zu fragen. Es sollte stets auch ein möglicher Kinderwunsch besprochen werden, bevor eine hormonelle Therapie begonnen wird. Gegebenenfalls kann der Patient zur Reproduktionsklinik überwiesen werden (Kryokonservierung). Angehörige (Eltern) sollten bei der Behandlung mit einbezogen werden, sofern der Betroffene damit einverstanden ist.
Darüber hinaus sollten der Ablauf der Transition sowie die Erwartungen des Patienten besprochen werden. Wenn beispielsweise ein Betroffener bereits 60 Jahre alt ist, sollte ihm verdeutlicht werden, dass trotz Operationen und Hormontherapie keine schöne 20-jährige Frau mehr aus ihm werden wird. Wenn die sekundären Geschlechtsmerkmale voll ausgeprägt sind, kann man aus einem Mann mit Schuhgrösse 45 keinen mit grazilem Damenfuss in der Grösse 37 mehr machen.
Hormontherapie braucht Zeit
Der erste Schritt der Behandlung besteht dann aus der hormonellen Therapie. Die Hormone verändern den Körper, allerdings dauert dieser Prozess bis zu zwei Jahre. In dieser Zeit ist es möglich, dass der Patient erneut eine Pubertät durchlebt, auch die entsprechenden Stimmungsschwankungen sind dabei häufig. Aus diesem und anderen Gründen rät die Gynäkologin dazu, dass die Betroffenen parallel zur Behandlung psychiatrisch/psychologisch begleitet werden. Juristisch ist es vorgesehen, dass vor einer Operation zunächst zwei Jahre lang unter hormoneller Substitution ein sogenannter Alltagstest gelebt wird.
Monitoring der Hormontherapie
Zunächst sollte der Patient alle sechs Wochen vorstellig werden. Die Untersuchung umfasst dann die Kontrolle von Blutfetten, Blutzucker, Leberwerten, LH, FSH, Östradiol- und Testosteronwerten, Nieren- und Schilddrüsenwerten sowie Elektrolyten. Ursprüngliche Frauen sollten nach Zwischenblutungen, ursprüngliche Männer nach Brustwachstum und beide nach Hautveränderungen gefragt werden. Wenn Frau-zu-Mann unter Hitzewallungen leidet, sollten die Abstände zwischen den Testosteroninjektionen verkürzt werden. Kuhn offeriert ihren Patienten auch eine gynäkologische Untersuchung inklusive Prostatapalpation und PAP-Abstrich. Ist der Patient gut eingestellt sowie psychisch und sozial stabil, können die Untersuchungen alle 6 bis 12 Monate stattfinden. Dann gehört neben den Laborwerten und der gynäkologischen Kontrolle auch eine Knochendichtemessung dazu. «Für mich ist diese Sprechstunde bereichernd und eine interessante Arbeit», schloss Kuhn.
Christina Thonack
2 • CongressSelection Gynäkologie • Oktober 2016