Transkript
INTERVIEW
Diagnose und Therapie des Eisenmangels im Alter
Interview mit dem Labormediziner Prof. Andreas Huber, Kantonsspital Aargau
Eisenmangel ist sehr verbreitet. Besonders betroffen sind Frauen im gebärfähigen Alter, Kinder und ältere Menschen. Für die Diagnose stehen verschiedene Labortests zur Verfügung. Um ein aussagekräftiges Resultat zu erhalten, braucht es fundiertes Wissen über die Ursachen des Eisenmangels. Symptome wie Müdigkeit, erhöhte Sturzgefahr und kognitive Einbussen sollte man nicht einfach als Folge des Alters abwerten – dies rät Prof. Andreas Huber, Chefarzt Labormedizin am Kantonsspital Aarau.
Zur Person
Prof. Dr. med. Andreas Huber ist Chefarzt und Leiter des Instituts für Labormedizin am Kantonsspital Aarau.
Wann spricht man von einem Eisenmangel? Prof. Dr. med. Andreas Huber: Unterschieden wird zwischen drei Stadien (Kasten 1). Beim Speichereisenmangel im Stadium I sind beispielsweise die Eisenspeicher leer. Im Stadium II besteht ein Ungleichgewicht zwischen Eisenaufnahme und Eisenverlust, und im Stadium III ist die Hämoglobinsynthese nicht mehr ausreichend gewährleistet. Eisen ist das häufigste Spurenelement im Körper und an 187 bis anhin bekannten chemischen Reaktionen beteiligt. Bei einem Eisenmangel konkurrieren die Reaktionen untereinander, wer das Eisen bekommt.
Wann spricht man von einem Eisenmangel im Alter? Andreas Huber: Bis anhin gibt es keine speziellen Referenzwerte für das Alter. Es wurden diejenigen für Erwachsene genommen, obwohl für das Alter andere Werte benötigt werden, weil damit sichere Diagnosen möglich sind. Für 2017 ist allerdings die Herausgabe von Referenzwerten für das Alter geplant (Kasten 2).
Kasten 1:
Die drei Phasen des Eisenmangels
Ein Eisenmangel lässt sich in drei Stadien einteilen: O Stadium I: Speichereisenmangel (keine Einschränkungen, nur
leere Speicher). O Stadium II: funktioneller Eisenmangel – die Hämoglobinkonzen-
tration im Blut wird aufrechterhalten, es besteht aber ein Ungleichgewicht zwischen Eisenaufnahme und Eisenverlust. O Stadium III: Eisenmangelanämie – die Hämoglobinsynthese ist nicht mehr ausreichend gewährleistet. Bereits im Stadium II wird über eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, kognitive Störungen, Ermüdung sowie gestörte Thermoregulation berichtet.
Wie lässt sich ein Eisenmangel im Stadium II im Labor nachweisen? Andreas Huber: Es stehen zwei Tests zur Verfügung, wobei im europäischen Raum in der Regel der Zinkprotoporphyrinwert genommen wird. Bei Eisenmangel wird Zink anstelle von Eisen in der Hämsynthese verwendet. Es entsteht Zinkprotoporphyrin (ZnPP). Eine erhöhte Konzentration von ZnPP ist daher ein Hinweis auf einen funktionellen Eisenmangel, da es ein mangelndes Eisenangebot anzeigt. Eine weitere Möglichkeit ist der Nachweis der löslichen Transferrinrezeptoren (soluble transferrin receptors, sTfR) im Blut. Bei einem Eisenmangel steigt die sTfR-Konzentration im Serum an, und zwar bevor der Hämoglobingehalt sinkt. Mit dem sTfR-Wert kann man den derzeitigen Eisenbedarf abschätzen, während das Ferritin die vorhandenen Eisenspeicher widerspiegelt.
Kasten 2:
Diagnose des Eisenmangels
O Ferritin < 15 µg/l: Eisenspeicher sind vollständig entleert.
O Ferritin 15–30 µg/l: leere oder knappe Eisenspeicher. O Ferritin 30–50 µg/l: Grauzone, wo ein funktioneller Ei-
senmangel noch möglich ist. O Ferritin > 50 µg/l: genügende Eisenreserve, wenn
nicht gleichzeitig eine Entzündung (erhöhtes CRP) oder ein Leberschaden (erhöhte Transaminasen) vorliegt; deshalb sollte man in diesen Fällen die Transferrinsättigung überprüfen.
Für ältere Menschen gibt es bis heute keine eigenen Referenzwerte. Die Publikation ist für 2017 geplant.
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ARS MEDICI 19 I 2016
INTERVIEW
Was sind die häufigsten Ursachen für Eisenmangel im Alter, und wie zeigen sich diese? Andreas Huber: Im Alter entsteht der Eisenmangel oft aufgrund einer Magenatrophie mit einer damit einhergehenden Produktion von zu wenig Magensäure. Pepsin braucht es aber, um das Eisen in der Nahrung aufzunehmen. Dann werden bei alten Menschen sehr häufig Antazida und Protonenpumpenhemmer aufgrund eines Refluxes verordnet, aber nicht wieder abgesetzt. Durch die monatelange Einnahme wird weniger Säure produziert und damit weniger Eisen resorbiert. Ferner können nicht steroidale Antirheumatika, die ebenfalls sehr häufig in dieser Alterskategorie eingenommen werden, zu okkulten Blutverlusten führen.
Wie äussern sich die Symptome eines Eisenmangels? Andreas Huber: Die Symptomatik ist breit gefächert. Die Sturzgefahr ist durch die Anämie erhöht, die Lebensqualität aufgrund von Müdigkeit eingeschränkt, und es kann zur Dyspnoe kommen. Oft werden diese Symptome als Alterssymptome abgetan: «Der ist halt alt und müde geworden», lauten oft die Meinungen.
Wie sollte substituiert werden? Andreas Huber: Wenn immer möglich, ist die diätetische Behandlung zu bevorzugen. Vor der Substitution ist aber die
richtige Diagnostik wichtig. Chronische Entzündungen können beispielsweise auch zu einem Eisenmangel führen. Normalerweise, das heisst im gesunden Zustand, wird der Eisenstoffwechsel unter anderem durch das in der Leber gebildete Polypeptid Hepcidin gesteuert. Hepcidin reguliert die Eisenresorption und den Eisentransport. Liegt eine chronische Entzündung vor, wird der Hepcidinspiegel durch entzündungsfördernde Interleukine wie IL-6 dauerhaft angehoben, wobei Eisenresorption, -freisetzung und -transport blockiert werden und es zu einer entzündungsbedingten Anämie kommt. Deshalb sollte der CRP-Wert immer mitgemessen werden. Liegt dieser zwischen 10 und 50, ist eine Erhöhung des Ferritins durch eine Entzündung wahrscheinlich, über 50 ist diese sicher. Um die Therapieindikation zu erhärten, sollten andere Parameter wie ZnPP und TfR gemessen werden. Dann führen auch entzündliche Reaktionen wie Lupus erythematodes, Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen und so weiter zu einer schlechten Eisenresorption. Es gilt: Bei einem intakten Darm sollte immer die orale Substitution versucht werden, sonst die intravenöse, weil bei einer Entzündung das Hepcidin den Darm an der Eisenaufnahme hindert. Bei der oralen Substitution mit Tabletten sollte zudem pragmatisch vorgegangen werden: Lieber 6 Monate statt 3 behandeln und mit 1 Tablette am Tag beginnen. Wird diese gut vertragen, kann die Dosis langsam bis auf 3 gesteigert werden.
INTERVIEW
Wird der Eisenmangel teilweise auch überbehandelt? Andreas Huber: Die Eisensubstitution hat eine gewisse Hypekomponente. Es gibt einerseits Zentren und Ärzte, die sehr unkritisch Eisen substituieren, und andererseits gibt es auch Hausärzte, die sehr gut geschult sind und Eisen nur dann verordnen, wenn es wirklich notwendig ist, und nicht einfach nur einen Laborwert therapieren. Zu beachten ist, dass die Eisensubstitution eine Gratwanderung ist. Zu viel Eisen kann ebenfalls schaden. Beispielsweise sind Leberschäden möglich. Ich denke, im Stadium III ist der Eisenmangel zu behandeln, in den Stadien I und II ist die Substitution nicht unbedingt notwendig, die diätetische Behandlung wäre ausreichend.
Was ist bei der intravenösen Gabe zu beachten? Andreas Huber: Derzeit wird häufig Ferinject® infundiert. Das Eisenpräparat ist eher neu; Langzeitdaten liegen im Gegensatz zu Venofer® kaum vor. Das Medikament ist gut verträglich und kann mittels Kurzinfusion innerhalb von 15 Minuten infundiert werden. Allerdings sind allergische Reaktionen zu beobachten. Diese sind selten, aber bei der Infusion sollte an sie gedacht werden. Dazu zählen Hautausschläge, Rötungen oder auch Asthma.
Bei der Substitution mit Venofer liegen hingegen Langzeiterfahrungen vor. Es sollte langsam infundiert werden, und die richtige Punktionstechnik ist wichtig. Läuft es paravenös, sind braune Hautflecken möglich, die ein Leben lang bestehen bleiben.
Sehr geehrter Prof. Huber, wir danken für das Gespräch! O
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Prof. Dr. med. Andreas Huber Chefarzt und Institutsleiter Institut für Labormedizin Präsident Ärztekonferenz KSA Mitglied der Geschäftsleitung KSA Kantonsspital Aarau Tellstrasse 25 5001 Aarau E-Mail: Andreas.Huber@ksa.ch
Erstpublikation in «Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin» (SZE) 3/16.
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