Transkript
Editorial
Unser Verhältnis zu Rationalität und Aberglaube ist einigermassen irrational. Bestenfalls mit Humor gepaart wie bei Niels Bohr, dem dänischen Physik-Nobelpreisträger (1922). Der hatte über dem Eingang seines Ferienhauses ein umgekehrtes Hufeisen aufgehängt. Fragte ihn eine Bekannte erstaunt: «Sie als Physiker, Sie glauben an Hufeisen als Glücksbringer? Wie kann ein Wissenschaftler Ihres Rangs an solchen Hokuspokus glauben?» Niels Bohr: «Natürlich glaube ich nicht daran, aber man hat mir versichert, dass es wirkt, auch wenn man nicht daran glaubt.» Wem die Schulmedizin nicht (mehr) helfen kann, der hälts gern mal mit Niels Bohr. Auch wenn er nicht an Humbug glaubt, greift er notfalls auf
Wir Ärzte sollten uns zusätzlich noch etwas Weiteres überlegen, auch wenn wir selber unsere Patienten mit wissenschaftlich unbewiesenen Methoden behandeln oder sie gelegentlich sogar selber zum Kollegen Homöopathen überweisen:
Glauben ist Privatsache — so wie das Bezahlen!
philippinische Geistheiler, homöopathische Globuli oder Magnete zurück. Ganz im Sinn von: Man muss ja nicht daran glauben, aber vielleicht hilfts eben doch. Und siehe da: Dem einen oder anderen hilfts tatsächlich. Vielleicht bloss wegen des Plazeboeffekts – aber was solls? Wenns aber wirklich nur der Plazeboeffekt war, der geholfen hat (was er bekanntlich tut in etwa einem Drittel der Fälle), soll die Krankenkasse – das heisst Arm und Reich gleichermassen, über die Krankenkassenprämien – das dann bezahlen? Und falls ja, warum nur die homöopathischen Globuli und nicht auch den Geistheiler? Warum nur die Akupunktur und nicht auch Mike Shiva? Der Frage wird sich stellen müssen, wer am 17. Mai «Ja» zur Aufnahme des Rechts auf beziehungsweise der Pflicht zur Förderung der Komplementärmedizin in die Schweizer Bundesverfassung stimmt.
Sollen wir aus pragmatischem Opportunismus unseren wissenschaftlichen Bildungshintergrund aufgeben? Vergessen, dass wir unterscheiden können – wenn wir wollen – zwischen wissenschaftlich nachweisbarer und lediglich behaupteter, geglaubter oder anekdotisch belegter Wirkung? Dass der Kollege Naturheilarzt zu helfen weiss, in manchen Fällen sogar erfolgreicher als wir Schulmediziner, bedeutet nicht, dass seine Methode kein Humbug ist. Sollten wir nicht wenigstens da sauber bleiben? Das eine weiss man, das andere glaubt man. Und was man glaubt, ist Privatsache. Auch wenns ans Bezahlen geht.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 10 ■ 2009 393