Transkript
ESH
Blutdrucksenkung nützt auch älteren und alten Patienten
Welche Besonderheiten beachtet werden sollten
Die Hypertoniehäufigkeit bei älteren Personen nimmt zu und liegt bei den über 70-Jährigen bei mindestens 50 Prozent. Es besteht wenig Zweifel daran, dass auch diese Altersgruppe von einer antihypertensiven Therapie profitiert. Dabei sind altersspezifische Besonderheiten zu beachten.
Bei älteren Personen sollte der Blutdruck (BD) öfter gemessen werden, da bei ihnen der Druck grösseren Schwankungen unterliegt als bei jüngeren. Zudem wird zur Messung im Sitzen und im Stehen geraten, weil bei Patienten mit einem systolischen BD über 160 mmHg mit einer Häufigkeit von zirka 30 Prozent eine Absenkung des BD um 20 mmHg auftreten kann. In solchen Fällen sollte der BD-Wert im Stehen zur Therapieentscheidung herangezogen werden. Auch die ambulante 24-StundenBlutdruckmessung (ABDM: ambulantes Blutdruck-Monitoring) hat einen grossen diagnostischen Nutzen. Sie gilt bei älteren Personen als signifikanter Prädiktor für eine kardiovaskuläre Morbidität unabhängig von der BD-Messung in der Praxis und anderen Risikofaktoren. Bei älteren (über 65-jährigen) und alten (über 80-jährigen) Patienten sollten folgende Besonderheiten bei der Blutdruckmessung beachtet werden: Möglicherweise kann das Weisskittel-Phänomen, bei dem der BD in der Arztpraxis höher liegt als beim ABDM, bei älteren ausgeprägter sein als bei jüngeren Patienten. Dies trifft ebenso für das umgekehrte Weisskittel-Phänomen zu, bei dem der BD beim ABDM höher als der Praxis-BD ausfällt (maskierte Hypertonie). Eine weitere Besonderheit bei älteren Hypertonikern besteht darin, dass der nächtliche Blutdruckabfall (dip) mit zunehmendem Alter weniger ausgeprägt ist und bei den über 100-Jährigen ganz fehlt. Bezüglich der antihypertensiven Therapie von älteren und alten Hypertonikern gelten dieselben Regeln wie bei den jüngeren Patienten. Grundlage für die Therapieentscheidung sind kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, hohe Cholesterinspiegel, Diabetes mellitus, Schäden an Endorganen wie linksventrikuläre Hypertrophie, Proteinurie und schlechte Nierenfunktion. Dass auch eine Therapie im hohen Alter vorteilhaft ist, zeigte die HYVET-Studie. Darin verringerte die pharmakologische Senkung des systolischen Blutdrucks von zirka 170 mmHg auf 140 mmHg bei den über 80-Jährigen die Endpunkte Mortalität, Schlaganfall und Herzinsuffizienz. Dabei sollte die Hypertoniebehandlung bei sehr alten Patienten auf diejenigen beschränkt werden, die noch relativ fit sind und mindestens eine Hypertonie Grad II (160–179/100–109 mmHg) aufweisen. Der Nutzen der antihypertensiven Therapie bei älteren und alten Patienten konnte für Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer sowie Angiotensinrezeptorblocker nachgewiesen werden. Der Nutzen ist ebenso bei einer isolierten systolischen Hypertonie gegeben. Hinweise darauf, dass verschiedene Wirkstoffklas-
sen verschieden bei Jüngeren und Älteren wirken, sind nicht vorhanden. Vorsicht ist bei der älteren Patientengruppe geboten, wenn unter der Therapie Symptome wie Schwindel und Benommenheit auftreten. Dies kann auf eine Überbehandlung hinweisen.
Ralph Hausmann
Quelle: Kjeldsen SE et al.: Treatment of High Blood Pressure in Elderly and Octogenarians. ESH-Update 2016, 17, Nr. 63, vorgestellt beim ESHJahreskongress 2016; online verfügbar unter http://www.eshonline.org/ esh-content/uploads/2016/06/Treatment-of-High-Blood-Pressure-inElderly-and-Octogenarians.pdf
THERAPIEEMPFEHLUNGEN FÜR ÄLTERE (≥ 65 JAHRE) UND ALTE (≥ 80 JAHRE) HYPERTONIKER
G Bei einem systolischen Blutdruck ≥ 160 mmHg sollte der SBD auf Werte zwischen 140 und 150 mmHg gesenkt werden.
G Bei fitten unter 80-Jährigen mit einem SBD ≥ 140 mmHg wird ein Zielwert von < 140 mmHg empfohlen.
G Bei fitten über 80-Jährigen mit einem SBD ≥ 160 mmHg sollte der SBD auf Werte zwischen 150 und 140 mmHg gesenkt werden.
G Bei gebrechlichen älteren Patienten wird empfohlen, die Therapieentscheidung von den Komorbiditäten abhängig zu machen.
G Die Fortsetzung der antihypertensiven Therapie sollte bei guter Verträglichkeit der Medikamente bis ins hohe Alter über 80 Jahre hinaus erwogen werden.
G Alle antihypertensiven Medikamente können bei älteren Hypertonikern eingesetzt werden. Bei isolierter systolischer Hypertonie sollten Diuretika und Kalziumantagonisten bevorzugt verordnet werden.
(Quelle: ESH/ESC-Guidelines)
Take Home Messa es
® Auch ältere und sehr alte Personen mit Hypertonie können von einer Therapie pro-
fitieren.
® Der Nutzen einer antihypertensiven Behandlung bei über 65- und über 80-Jährigen
mit systolisch-diastolischer Hypertonie konnte für wenigstens ein Medikament aus den verschiedenen gängigen Wirkstoffklassen nachgewiesen werden.
® Die Studien belegen für diese Patientengruppe einen starken präventiven Effekt
auf alle Komplikationen der Hypertonie.
® Da es oft schwierig ist, bei alten Personen den Blutdruck auf Werte unter 140 mmHg
oder zwischen 140 und 150 mmHg zu senken, werden meist zwei oder noch mehr Medikamente benötigt.
CongressSelection Kardiologie • September 2016 • 19