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BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Kompressionstherapie bei chronischen Wunden
Bessere Wundheilung durch Kompression nicht nur beim venösen Ulkus
Kompression wirkt bei chronischen Wunden mit unterschiedlicher Ätiologie wundheilungsfördernd. Dies gilt für fast alle chronischen Wunden, ausser für Dekubitalulzera und ulzerierende Malignome. Der Kompressionsdruck muss der Wundätiologie angepasst werden. Darüber sprach Dr. Markus Streit, Chefarzt Dermatologie und Allergologie, Kantonsspital Aarau, am Europäischen Wundkongress 2016 in Bremen.
Für die Wirksamkeit der Kompressionstherapie bei venösen Ulcera cruris besteht gute Evidenz. Eine Cochrane-Review kam aufgrund von acht randomisierten, kontrollierten Studien zum Schluss, dass die Kompressionstherapie (im Vergleich zu keiner Kompressionsbehandlung) die Abheilungsraten verbessert und die Abheilungsdauer verkürzt (1). Zudem stellte eine grosse randomisierte, kontrollierte Studie fest, dass Mehrkomponentensysteme im Vergleich zu Einzelbinden hinsichtlich der kompletten Ulkusabheilung nach 6 Monaten effektiver waren (1).
Wundheilungsfördernde Effekte der Kompressionstherapie
Die Schwerkraft bewirkt eine venöse Stase, die eine Hauptrolle bei der Entstehung von Ulzera spielt (2). Dies trifft nicht nur auf venöse Ulzera, sondern ebenso auf Ulzera mit anderer Ätiologie zu. Der Einfluss der Schwerkraft ist dafür verantwortlich, dass sich Ulzera meistens an den Unterschenkeln bilden. Weil die Kompressionstherapie der Schwerkraft und
Kasten 1:
Material für die Kompressionstherapie – Einteilung nach Dehnbarkeit
Unelastische (starre) Binden, zum Beispiel Zinkleimverband L Maximale Dehnbarkeit unter 10% L Ruhedruck (bei entspannter Muskulatur) praktisch null L Sehr hoher Arbeitsdruck (bei angespannter, verdickter Muskulatur) Gering elastische Kurzzugbinden L Maximale Dehnbarkeit unter 100% L Niedriger Ruhedruck L Hoher Arbeitsdruck Sehr elastische Langzugbinden L Maximale Dehnbarkeit über 100% L Hoher Ruhedruck L Fast gleich hoher Arbeitsdruck
der venösen Stase entgegenwirkt (Kasten 2), eignet sie sich sowohl bei venösen Ulzera als auch bei chronischen Wunden mit anderer Ätiologie (2). Dass Ödeme, welche die Wundheilung stören, durch Kompressionstherapie vermindert werden, gilt ebenfalls bei Wunden mit unterschiedlichen Ursachen. Zu beachten ist, dass chronische Unterschenkelödeme bei mittlerem Kompressionsdruck (10–40 mmHg) am besten reduziert werden. Bei hohem Kompressionsdruck (60–90 mmHg) verschlechtert sich dagegen die Ödemreduktion zunehmend (2). Weil chronische Wunden immer chronische Entzündungen darstellen, tragen entzündungshemmende Effekte zur Wundheilung bei. Durch die Kompressionstherapie wird bei venösen Ulzera die Produktion proinflammatorischer Zytokine (z.B. Interleukin 1, Interferon gamma) reduziert und die Bildung antiinflammatorischer Zytokine verstärkt. Sofern der Kompressionsdruck den arteriellen Perfusionsdruck nicht übersteigt, verbessert eine Kompressionstherapie auch den arteriellen Blutfluss. Bei gemischten arteriell-venösen Ulzera konnte gezeigt werden, dass unelastische Kompression bis 40 mmHg die arterielle Durchblutung verbessert (2).
Kompressionstherapie bei diabetischem Fussulkus und bei Vaskulitis
Wahrscheinlich ist die Kompressionstherapie auch beim diabetischen Fussulkus nützlich. Gemäss einer kanadischen Review sei eine Tendenz feststellbar, dass Kompression (Intermittierende Pneumatische Kompression oder Compressed Air Massage) das klinische Outcome bei diabetischen Fussulzera verbessert, berichtete der Referent. Kompression hat möglicherweise auch einen Platz im Rahmen der Behandlung der leukozytoklastischen Kleingefässvaskulitis. Durch Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen in den Wänden kleiner Gefässe
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Kompressionstherapie bei chronischen Wunden
Foto: Alfred Lienhard
kommt es zur Entzündung und Schädigung der Gefässwand mit Purpura, Nekrosen und Ulzera. Prädilektionsstellen sind die unteren Extremitäten. Weil die Schwerkraft mit venöser Stase offenbar bei der Auslösung der Krankheit eine relevante Rolle spielt, wäre ein Nutzen der Kompressionstherapie zu erwarten. Durch Kompression könnte die venöse Flussgeschwindigkeit verbessert und dadurch das Risiko von Antikörperablagerungen vermindert werden. Es sind allerdings keine Studien zur Kompressionstherapie bei Vaskulitis der Haut auffindbar.
Kompressionstherapie bei Pyoderma gangraenosum
Häufig entsteht das Pyoderma gangraenosum durch Reizung nach einem Trauma (z.B. Verletzung, Insektenstich, operativer Eingriff). Es handelt sich um eine neutrophile Infiltration der Haut ohne Infektion oder Vaskulitis. Die stark schmerzhaften Ulzera dehnen sich zentrifugal destruierend aus und weisen unterminierte, livide, zerfressen wirkende Ränder auf. Neben der immunsupprimierenden Therapie und der stadiengerechten Wundbehandlung wird in der Literatur auch die Kompressionstherapie empfohlen. Als Beispiel zitierte der Referent einen Case Report aus der Literatur (13-jähriges Mädchen mit rasch progredientem Pyoderma gangraenosum) (3). Zur Behandlung wurde Prednison und Ciclosporin verwendet sowie später zusätzlich Adalimumab. Begleitet wurde die systemische Therapie von Kompression und Débridement zur Förderung der Wundheilung. Bis zum kompletten Wundverschluss dauerte es 6 Monate (3).
Kompressionstherapie bei Necrobiosis lipoidica und bei Calciphylaxie
Bei der Necrobiosis lipoidica gehört die Kompressionstherapie zur Standardbehandlung. Es handelt sich um eine ätiologisch unklare granulomatöse Entzündung der Haut mit Kollagendegeneration. Betroffen sind vor allem Diabetiker und junge Frauen. Therapieleitlinien gibt es nicht. Eine retrospektive Studie aus drei deutschen dermatologischen Kliniken ergab, dass bei 52 Patienten (40 Frauen und 12 Männer) mit Necrobiosis lipoidica am Unterschenkel (ulzerierend bei 25%) folgende Therapien eingesetzt wurden (4): L bei 88 Prozent topische Kortikosteroide L bei 29 Prozent topische Calcineurininhibitoren L Bei 56 Prozent Kompressionstherapie der Unter-
schenkel L bei 42 Prozent UV-Fototherapie.
Was in Basel der Rhein oder in Bern die Aare, ist in Bremen die Weser.
Kasten 2:
Haupteffekte der Kompressionstherapie
L Verengung oberflächlicher und tiefer Venen mit Steigerung der venösen Blutflussgeschwindigkeit, Reduktion des venösen Pools und Verbesserung der venösen Pumpfunktion.
L Ödemreduktion durch Verminderung der Kapillarfiltration, Verlagerung der Ödemflüssigkeit in nicht komprimierte Regionen und Verbesserung der Lymphdrainage.
L Freisetzung antiinflammatorischer Zytokine. L Verbesserung des arteriellen Blutflusses bei intermittierendem Druck oder
mässigem Dauerdruck. Aber Abnahme des arteriellen Blutflusses, wenn der Kompressionsdruck den arteriellen Perfusionsdruck übersteigt.
(nach Partsch H et al. [2])
und Ulzerationen. Zur Vermeidung und Auflösung
der Kalziumphosphatausfällung werden Natrium-
thiosulfatinfusionen eingesetzt. Atraumatisches Wund-
management wird empfohlen, um die Wundheilung
nicht durch Reizung zu stören. Kompression sei bei
Ulzera am Unterschenkel als Begleitmass-nahme im
Rahmen der lokalen Wundbehandlung gut einsetz-
bar, sagte der Referent. Bei anderen Lokalisationen
sei die Kompressionstherapie dagegen nicht speziell
indiziert.
L
Alfred Lienhard
Referenzen:
1. O´Meara S et al.: Compression for venous leg ulcers. Cochrane Database of Systemic Reviews 2012, Issue 11.
2. Partsch H et al.: Compression for leg wounds. Br J Dermatol 2015; 173: 359–369.
3. Sharon V et al.: Multimodal therapy of idiopathic pyoderma gangrenosum. Dermatol Online J 2014; 20 (6).
4. Erfurt-Berge C et al.: Update on clinical and laboratory features in necrobiosis lipoidica: a retrospective multicentre study of 52 patients. Eur J Dermatol 2012; 22: 770–775.
Bei der Calciphylaxie, die vor allem bei Dialysepatienten vorkommt, wird plötzlich Kalk in den Wänden kleiner Arterien ausgefällt. Typische Zeichen sind Livedo racemosa sowie schmerzhafte Hautnekrosen
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