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ATS
Lungenkrebs-Screening: wer, wann, wie?
Neue Biomarker sollen helfen, unnötige invasive Diagnostik zu vermeiden
Die richtige Screeningmethode für das Lungenkarzinom ist weiterhin Gegenstand lebhafter Diskussionen. Neben der Durchführung einer CT sollen die richtigen Kriterien für deren Indikation und die Unterstützung durch neu entwickelte Biomarker helfen, eine der häufigsten Ursachen für Krebssterblichkeit einzudämmen.
«Bis zu 20 Prozent der starken Raucher werden tatsächlich an Lungenkrebs erkranken», sagte Prof. Avrum Spira, Internist, Pulmologe, Pathologe und Bioinformatiker an der Medizinischen Universität von Boston/Massachusetts, zu Beginn seines Vortrags über das Erkennen und das Verhindern von Lungenkrebs. «Das Problem liegt darin, diese 20 Prozent mit den Vorsorgeuntersuchungen richtig zu identifizieren.» Die grossen Fortschritte, die in der Therapie des Lungenkarzinoms gemacht worden sind, werden seines Erachtens auch in der Früherkennung dringend benötigt. Im Gegensatz zu den USA ist das allgemeine Screening in der Schweiz nicht eingeführt.
Wie geeignet ist die CT?
Die prospektive Studie zum Screening beim Lungenkarzinom (National Lung Screening Trial) mit 50 000 amerikanischen Rauchern oder ehemaligen Rauchern im Alter von 55 bis 74 Jahre fand heraus, dass eine «Lowdose CT» (LDCT) dem Thoraxröntgen im Aufspüren von Lungenherden überlegen ist und zu einer relativen Verminderung der Lungenkrebssterblichkeit von 20 Prozent führen kann. In den USA wird derzeit ein jährliches Lungenkarzinom-(BCA-): «bronchial carcinoma»-Screening für folgende Gruppen empfohlen: Erwachsene im Alter von 55 bis 80 Jahre mit einer Anamnese von 30 Packungsjahren, die zurzeit noch rauchen oder die innerhalb der letzten 15 Jahre mit dem Rauchen aufgehört haben. Ist der Rauchstopp über 15 Jahre her, oder leidet die Person unter anderen Erkrankungen, die die Lebenserwartung oder die Operationsfähigkeit für einen kurativen Lungeneingriff erheblich einschränken, soll das Screening nicht weiter erfolgen. Prof. Nichole Tanner aus Charleston/South Carolina berichtete, dass es durchaus Gruppen gebe, die mehr oder weniger als andere von Vorsorgeuntersuchungen profitierten – je nachdem, wie gross das Ausgangsrisiko für eine BCA-Erkrankung sei. So gibt sie zum Beispiel für schwarze Raucher ein fast doppelt so hohes Risiko (HR: 4,1) für den Tod durch Lungenkarzinom im Vergleich zu weissen Rauchern (HR: 2,25) an. Ihrer Meinung nach sollte es nicht nur einen klaren Grenzwert für die Grösse von Lungenknoten geben, damit diese als positives Screeningergebnis gewertet werden, sondern auch ein strukturiertes Meldesystem, um die Qualität eines Screeningprogramms zu gewährleisten. Derzeit existieren in den USA unterschiedliche Grenzwerte, je nachdem von welcher Gesellschaft sie herausgegeben wurden. Beim American College of Radiology
Lung Imaging Reporting and Data System (Lung-RADS) liegt zum Beispiel der Grenzwert für die Knotengrösse bei ≥ 6 mm, wohingegen das National Lung Screening Trial (NLST) diesen bei 4 mm festlegte. Daraus ergeben sich natürlich auch stark differierende Werte für falschpositive Ergebnisse (Lung-RADS 12,8% und NLST 26,6%) und für die Sensitivität (93,5% NLST vs. 84,9% LungRADS) der jeweiligen CT-Untersuchung.
Wann lohnt die Motivierung zum Rauchstopp?
Tanner führte eine Studie durch, die unter anderem untersuchte, unter welchen Voraussetzungen der Rauchstopp allein für den Patienten zur gleichen Risikoreduktion wie das CT-Screening führen würde. Die Forschergruppe fand heraus, dass schon 7 Jahre Rauchabstinenz den gleichen Effekt haben können. Am besten schnitt die Kombination aus Rauchstopp und Screening ab, die das BCA-Mortalitätsrisiko um 38 Prozent senken konnte. Interessant war auch, dass sich in der Studie herausstellte, dass die Raucher zum Zeitpunkt des Screenings offener dafür sind, sich über den positiven Aspekt des Rauchstopps aufklären zu lassen. Nach Tanners Erkenntnissen gibt es beachtenswert grosse Kostenunterschiede für ein qualitätskorrigiertes Lebensjahr (QALY), das beim Einsatz von Screeninguntersuchungen (ca. 81 000 USD) ein Vielfaches mehr kostet als bei Nichtraucherprogrammen (ca. 1100–4500 USD).
Invasive Diagnostik soll verhindert werden
In den USA werden derzeit jährlich bei fast 5 Millionen Thorax-CT 1,6 Millionen unklare Lungenherde entdeckt (Abbildung 1). Das bedeutet, dass bei erwarteten 20 Pro-
Durchgeführte Screening-CT in den USA (Schätzung in Millionen)
keine Knoten
3,2 Mio.
(67%)
Knoten gefunden
1,6 Mio.
(33%)
Quelle: Spira A. K3: Lung Cancer Detection And Prevention In The Precision Medicine Era. ATS 2016.
Abbildung 1: Thorax-CT zur Früherkennung in den USA
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ATS
Risikobestimmung nur mit pCA 150 ■ Gutartig
■ Krebs 100
Risikobestimmung mit pCA und XL2 150 ■ Gutartig
■ Krebs
100
Anzahl Häuϐigkeit
50 50
0
< 5% 5% bis 50% pCA-Risiko 0 < 5% 5% bis 50% pCA-Risiko und XL2 pCA pCA + XL2 Sens 95% 95% Spec PPV 14% 10% 30% 12% NPV 96% 98% Quelle: Tanner NT et al.: Use of a Plasma Proteomic Biomarker in Addition to Clinician Pretest Probability in Pulmonary Nodules with Intermediate Risk of Malignancy Improves Nodule Risk assessment. B14 - High Impact Late-Breaking Clinical Trials. ATS 2016. Abbildung 2: Klinische pCA mit zusätzlicher Testung durch einen proteomischen Plasmabiomarker zent BCA-Diagnosen viele dieser Befunde falschpositiv sind. Sogar von den in der Folge durchgeführten Bronchoskopien liefern viele immer noch keine klare Diagnose. In diesen Fällen werden dann offene Biopsien oder Feinnadelpunktionen durchgeführt, bei denen es in rund 5 Prozent der Fälle zu schwereren Komplikationen kommt. Diese Fakten sind der Grund dafür, dass viele europäische Länder bis anhin von der Einführung eines Screenings Abstand nehmen. Genetische Biomarker bringen zusätzliche Sicherheit Die Überlegungen zur Entwicklung von Biomarkern beruhten auf dem Modell der «airway field of injury», so Spira. Es geht von Veränderungen in der Genexpression der epithelialen Zellen aus, die durch das Rauchen hervorgerufen werden. Dabei gibt es bei den Rauchern interindividuelle Unterschiede beim Ausmass der genetischen Antwort und Schädigung im Hinblick auf ein tabakassoziiertes BCA. Ungefähr ein Fünftel dieser genetischen Gewebeveränderungen blieben sogar über viele Jahre bestehen, nachdem mit dem Rauchen aufgehört worden sei, berichtete Spira. Solche Veränderungen können früh von Biomarkertests erfasst werden. Proben der Zellen, die sich unter Umständen auf dem Weg der Dignitätsveränderung befinden, können aus der Lavageflüssigkeit bei einer Bronchoskopie gewonnen werden. Spira und seine Kollegen haben in den Studien AEGIS-1 und -2 einen genetischen Test (genomic classifier) daraufhin untersucht, ob er die Frühdiagnostik des Lungenkarzinoms verbessern kann. Die Prätestwahrscheinlichkeiten für das Vorliegen einer malignen Erkrankung vor der Bronchoskopie wurden ermittelt. Ausgangsmaterial für die Biomarkertests waren augenscheinlich normale Epithelzellen, die aus dem Hauptbronchus entnommen und verblindet untersucht wurden. Es folgte eine einjährige Beobachtung bis zur endgültigen Diagnosestellung einer benignen oder malignen Erkrankung. 41 Prozent der Teilnehmer Take Home Messa es ® Lungenkrebsscreening mit CT wurde in den USA für ältere Raucher eingeführt. ® CT-Screening führt zu vielen falschpositiven Befunden. ® Invasive Lungendiagnostik führt in rund 5 Prozent der Fälle zu schwereren Komplikationen. ® Es besteht Bedarf an Tests zur Vermeidung unnötiger invasiver Diagnostik. ® Derzeit wird eine Vielzahl von Biomarkern entwickelt, welche die Screening- genauigkeit bei Kombination mit CT verbessern könnten. benötigten wegen unklarer Bronchoskopien eine weitere invasive Testung. Zum Ende der Studie waren 45 Prozent der Teilnehmer an einem Karzinom erkrankt, und bei 55 Prozent stellte sich die Veränderung als benigne heraus. Spira wies darauf hin, dass somit etwa die Hälfte der invasiven Biopsien an Patienten durchgeführt worden seien, die keine maligne Erkrankung gehabt hätten. Durch den zusätzlichen Einsatz des von ihm untersuchten Biomarkertests hätte in der Hälfte der Fälle dieser invasive Eingriff verhindert werden können. Proteomische Biomarker – die Testalternative aus dem Plasma Gerade die Bewertung von Knoten mit intermediärem Status stelle sich für den behandelnden Pneumologen oft als Dilemma dar, erklärte Tanner bei der Vorstellung ihrer Ergebnisse zu einem neuen proteomischen Plasmabiomarker. Trotz gegenläufiger Empfehlungen in den existierenden Leitlinien werden auch bei einer geringen Prätestwahrscheinlichkeit für Malignität (pCA) immer wieder invasive Tests angeordnet. XL2, der von ihr untersuchte neue Biomarker, wird gerade auf seine potenziellen Vorteile als zusätzlicher Test untersucht, wenn es um die Entscheidung geht, wie auffällige Knoten im CT weiter abgeklärt werden sollen. Interimsresultate von 172 Individuen aus der laufenden prospektiven Multizenterstudie mit 603 Teilnehmern wurden von Tanner vorgestellt. Die Patienten waren ≥ 40 Jahre alt (Durchschnittsalter 67 Jahre) und hatten einen Lungenknoten in der Grösse von 8 bis 30 mm. Auch hier wurde die pCA zu Beginn beim Baseline-CT bestimmt, und die Kliniker erfuhren nicht das Ergebnis des XL2-Plasmatests. Die Weiterverfolgung der Teilnehmer erfolgte bis zu der Diagnosestellung, der Auflösung des Knotens oder einer Stabilität über 2 Jahre. Berechnet wurden der negative (NPV) und der positive prädiktive Wert (PPV) sowie Spezifität (Spec) und Senitivität (Sens) für pCA mit und ohne zusätzlichen XL2-Test (Abbildung 2). Eine kombiniertee pCA ≤ 0,05 erhielt die Bewertung «wahrscheinlich benigne», höhere Werte wurden als «unbestimmt» beurteilt. Bei 58 Patienten mit «wahrscheinlich benignen» Ergebnissen nach pCA und XL2 war ursprünglich eine weitere invasive Diagnostik geplant worden. 24 Prozent wurden daraufhin anstelle einer Punktion weiter mit Bildgebung beobachtet, die zu einer Diagnose von benignen Knoten führte. Demgegenüber erhielten 6 Prozent weitere CT-Kontrollen, bei denen doch maligne Herde gefunden wurden. Bei vielen Befunden, die nach Wertung durch die Kliniker eine pCA von ≤ 0,5 hatten, führte die zusätzliche Biomarkertestung zu einer Reduktion des Risikos in die Klasse pCA ≤ 0,05 und der daraus resultierenden Möglichkeit eines konservativeren Vorgehens bei der Abklärung, so Tanner. Susanne Kammerer Quellen: Präsentationen beim Jahrestreffen der American Thoracic Society (ATS), 15. und 16. Mai 2016 in San Francisco: – Spira A. K3: Lung Cancer Detection And Prevention In The Precision Medicine Era. – Tanner N et al.: Lung cancer Screening: who, what and how. PG27 – Lung Cancer: State Of The Art In 2016. – Tanner NT et al.: Use of a Plasma Proteomic Biomarker in Addition to Clinician Pretest Probability in Pulmonary Nodules with Intermediate Risk of Malignancy Improves Nodule Risk assessment. B14 – High Impact Late-Breaking Clinical Trials. – Vachani A et al.: Modeling the Utility of a Bronchial Genomic Classifier on Procedure Utilization in Patients with Suspected Lung Cancer. Poster A1287. 28 • CongressSelection Pneumologie • August 2016