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ATS
Ambulant erworbene Pneumonie – der verwirrende Stand der Dinge
«Wir sind nicht mehr sicher, was eine Pneumonie eigentlich ist»
Die ambulant erworbene Pneumonie stellt immer noch eine grosse Herausforderung in der Medizin dar. Procalcitonin erweist sich in der Unterscheidung viraler gegenüber bakteriellen Infektionen nicht als verlässlich und sollte nicht die Basis der Entscheidung für eine Antibiose bilden.
«Wir sind nicht mehr sicher, was eine Pneumonie eigentlich ist», erklärte Prof. Grant Waterer, Universität von Westaustralien (Perth) und Northwestern University von Chicago (Illinois/USA). Die Inzidenz der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP: «community acquired pneumonia») ist in keiner Weise rückläufig; sie gehört weiterhin zu den Erkrankungen mit der höchsten Mortalität, besonders bei älteren Patienten. Waterer zählte viele Bereiche auf, in denen noch zu grosse Unsicherheiten in Bezug auf CAP bestehen – so zum Beispiel die Dauer und Art der optimalen Therapie und sogar das richtige Vorgehen bei der Diagnosestellung. Zu einer CAP gehören das akute Auftreten einer Reihe respiratorischer Symptome und das Vorhandensein eines Infiltrates im Röntgenthorax. Aber es gibt immer wieder Berichte, dass CAP über- oder unterdiagnostiziert wird. In einem aktuellen Vergleich von traditioneller Diagnosestellung gegenüber Kontrollen mittels Thorax-Computertomogramm (CT) an über 300 Patienten konnte die im Röntgen festgestellte Pneumonie in 56 von 188 Fällen im CT nicht bestätigt werden. Zusätzlich fand sich bei einem Drittel der Patienten mit normalem Röntgenbild im CT doch ein Infiltrat. Das heisst: 40 Prozent der Patienten wurden im Vergleich zum CT-
ERMITTELTE SPEZIFISCHE PATHOGENE BEI CAP
Patienten mit einem positiven Ergebnis (%)
9 194
nur virale Pathogene (22%)
8
kein Pathogen
Nachweis verschiedener Viren gleichzeitig (2%)
7
ermittelt
Nachweis von Bakterien und Viren gleichzeitig (3%)
(62%)
nur bakterielle Pathogene (11%)
6 132
Nachweis von Pilzen oder Mykobakterien (1%)
115
5
4
88 Q Co-Pathogen
Q einzelnes Pathogen
3 68 67
74
53
2 43 37 32 32 31
1
0
Abbildung 1 Humanes
RhinovIinruflsuenza
A
oder
HBS.upmRneaesnupemisroaMntoieartieaspchneesumSyonvziyrutisal-Virus
(PRaSraVi)nfluenzavirus MCoyrcoonpalavisrmusa pneumoniae
ermitteltes Pathogen
S. aureus
ALdeegnioonveirlluaspneumoEpnhtielarobacteriaceae
andere
Befund falsch diagnostiziert. «Diese Erkenntnisse stellen Studienergebnisse zur CAP in ein ganz neues Licht und haben auch potenziell grossen Einfluss auf die empirische Therapie», postulierte Waterer. Trotzdem bedeute dies seines Erachtens nicht unbedingt, dass ein CT zur Diagnose der CAP zum jetzigen Zeitpunkt in jedem Fall erforderlich ist.
Welche Erreger stehen im Vordergrund?
Zu 30 bis 70 Prozent sind die Erreger bei CAP nicht bekannt. Im Rest der Fälle kommen Streptococcus (S.) pneumoniae und Mycoplasma (M.) pneumoniae besonders häufig vor (Abbildung 1). Hinzu kommt, dass sehr oft eine Mischung aus viralen und bakteriellen Erregern vorliegt. Es kann sogar davon ausgegangen werden, dass die Pneumonie multipathogener Genese eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Die Therapie von Pneumonien wird voraussichtlich durch schwere Infektionen wie das Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV), die Vogelgrippe (H7/H9) und makrolidresistente M. pneumoniae noch komplexer werden.
Die Rolle von Procalcitonin in der Diagnostik der Pneumonie
Ist Procalcitonin (PCT) hilfreich im klinischen Alltag? Kann PCT verlässlich zwischen einer viralen, einer bakteriellen oder einer nicht vorhandenen Infektion unterscheiden und somit dazu beitragen, Antibiotika einzusparen? Diese Fragen wurden im Rahmen einer «Pro-undKontra-Debatte» zum Thema Procalcitonin bei viralen Pneumonien beleuchtet. Dr. Thomas File, Akron/Ohio, beurteilte den Einsatz von PCT-Tests bei Pneumonie als hilfreich, wenn es darum gehe, unnötige oder übermässig lange Antibiotikagaben zu verhindern. In einer Beobachtungsstudie, an der er mitwirkte, wurden 50 neu aufgenommene, kritisch kranke Patienten 1:1 mit früheren Patienten gematcht. Die beiden Gruppen wurden bezüglich Zeitdauer bis zum Absetzen der Antibiose durch einen Arzt, Länge des Krankenhausaufenthaltes, Notwendigkeit einer erneuten stationären Aufnahme oder eines Infektionsrezidivs miteinander verglichen. In der Auswertung konnte die Antibiotikagabe bei zusätzlicher Erhebung von PCT-Werten signifikant verkürzt werden, ohne dass der Behandlungserfolg eingeschränkt wurde. File sieht diese Aussage durch andere Studien bestätigt.
24 • CongressSelection Pneumologie • August 2016
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PNEUMONIE UND NEU AUFGETRETENE HERZINSUFFIZIENZ
13 Quelle: Corales-Medina et al.: AM Heart J 2015
11
OR für neu aufgetretene Herzinsuffizienz
9
7
5
3
1
Abbildung 2
31–90
91–180 181–365 1–5 Jahre
Zeit nach der Krankenhausentlassung (in Tagen)
Take Home Messa es
® Bei 40 Prozent der Patienten mit diagnostizierter Pneumonie führt eine Kombina-
tion von Thoraxröntgen plus klinische Beurteilung zu einer anderen Diagnose als das CT.
® Procalcitonin ist in der Pneumoniediagnostik umstritten.
® Pneumonien werden meistens von einer Mischung aus verschiedenen Pathogenen
verursacht.
® Die langfristigen Risiken infolge einer CAP sind gravierender als die akute Erkran-
kung.
® Eine Gabe von 300 mg ASS über 30 Tage kann das kardiovaskuläre Risiko nach
Pneumonie senken.
Anders die Meinung von Waterer – er referierte mehrere Studienergebnisse, deren Resultate er im Hinblick auf PCT in der Pneumoniediagnostik kritisch wertete. So lieferte Procalcitonin unklare Ergebnisse bezüglich der Möglichkeit, bakterielle von viralen CAP sauber zu trennen. Bei einer Untersuchung an über 1800 Patienten wurden zum Beispiel von 23 Fällen mit Legionellen 6 Erkrankte bei einem Grenzwert von > 0,25 ng/l nicht erkannt. Darüber hinaus stellte Waterer dar, dass besonders bei der Kombination bakterieller und viraler Infektionen die PCT in der Abgrenzung versagte. Auch war der Test nicht in der Lage, zwischen bakterieller Pneumonie und Aspirationspneumonitis zu unterscheiden. Das Einsatzfeld für PCT sieht Waterer zum Beispiel bei Harnwegsinfekten und COPD. Verlässt sich der behandelnde Arzt im Rahmen der Pneumoniebehandlung auf die PCT-Werte, so könnte es dadurch seiner Meinung nach zu folgenschweren Entscheidungen gegen eine notwendige Antibiotikatherapie kommen.
Die richtige Behandlung: Plädoyer für Antibiotika
Aus therapeutischer Sicht ist nach Ansicht von Waterer auf jeden Fall eine Kombinationstherapie mit β-LaktamAntibiotika und Makroliden bei denjenigen Patienten angezeigt, die stationär behandelt werden. Insgesamt spricht eine Abwägung von Nutzen und Risiken einer Antibiose für eine schnelle Gabe von Antibiotika, weil die rechtzeitige, auch empirische Gabe in der Therapie der CAP entscheidend ist. Gemäss den Daten aus den beiden CAPUCI-Studien von 2014 konnte etwa die Gabe von Antibiotika binnen 3 Stunden nach stationärer Aufnahme mit Schock oder Beatmungspflicht bei CAP das Mortalitätsrisiko erheblich verringern.
Vorteile durch zusätzliche Steroidgabe fraglich
Eine grosse Studie mit 400 schwer an CAP erkrankten Patienten ergab keine Beeinflussung von Mortalität, Verweildauer im Krankenhaus oder Beatmungspflicht und Schock unter oraler Gabe von 0,6 mg/kg Prednisolon. Beobachtet wurde allerdings ein selteneres «klinisches Therapieversagen» nach 7 Tagen. Weitere Studien zu diesem Thema werden derzeit noch durchgeführt. Insgesamt zeigen diesbezügliche Untersuchungen, dass sich die Gabe von Kortikoiden zumindest nicht negativ auswirkt. Welchen Patientengruppen sie tatsächlich nutzen könnte, muss noch geklärt werden.
CAP steigert das kardiovaskuläre Risiko
Laut Waterer läuft es bis heute so: Der Patient bekommt
eine Pneumonie, wird behandelt, sein Zustand bessert sich, er wird entlassen, und der Arzt kann sich über den Therapieerfolg freuen. Aber die Krankenhaussterblichkeit bei CAP ist offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs. Es sind die langfristigen Outcomes einer CAP, die wesentlich schwerer wiegen als die direkten. Der wesentliche Teil besteht aus den Todesfällen, die als Folge einer Pneumonie in den Jahren nach der Erkrankung auftreten. Zum Beispiel gibt es für die Altersgruppe zwischen 41 und 60 Jahren bei Patienten ohne weitere Begleiterkrankungen eine absolute Differenz der Mortalität nach 3 Jahren von fast 10 Prozent im Vergleich zur erwarteten Sterblichkeit bei Patienten ohne CAP in der Vorgeschichte. Das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung wie Myokardinfarkt oder Apoplex war innerhalb der ersten 30 Tage nach Pneumonie über 4-mal höher, nach einem Jahr lag die Hazard Ratio (HR) immer noch bei 2,1. Für ältere Patienten ab 65 stieg die HR für die Erstdiagnose einer Herzinsuffizienz auf 6,9 zwischen Tag 31 und 90 nach der Entlassung aus stationärer Pneumoniebehandlung (Abbildung 2). Ein Neuauftreten von kardialer Arrhythmie wurde bei 12 Prozent von über 30 000 Patienten innerhalb von 90 Tagen nach CAP dokumentiert. Es handelte sich grösstenteils um ein Vorhofflimmern.
Helfen Plättchenhemmer?
Mehrere Studien haben die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) oder anderen Thrombozytenaggregationshemmern zur Vermeidung eines akuten Koronarsyndroms im Zusammenhang mit einer Pneumonie untersucht. Dabei folgte aus der 1-monatigen Einnahme von 300 mg ASS eine 9-prozentige Verringerung des absoluten Risikos in diesem Zeitraum, ein ACS zu erleiden. CAP-Patienten ohne ASS hatten gegenüber denen mit ASS eine deutlich erhöhte Mortalitätsrate (HR: 2,07). Ähnlich günstig wirkte sich die Therapie mit Clopidogrel auf die Mortalität aus (OR: 0,63). Eine Gabe von 300 mg ASS bei CAP ist nach Ansicht von Waterer daher sinnvoll.
Susanne Kammerer
Quellen: Präsentationen beim Jahreskongress der American Thoracic Society (ATS), 13. bis 18. Mai 2016 in San Francisco: – Waterer G: «What is new in Community-acquired Pneumonia. Outcomes and Emerging Pathogens». PG22: Difficult Clinical Problems In Pulmonary And Critical Care Infections. – Pro/Con Debate: Procalcitonin for Viral Pneumonia. C88 Viral Community-Acquired Pneumonia And Critical Care Infections.
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