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Titel
Nicht alkoholische Fettleber – die unterschätzte Volkskrankheit
Untertitel
-
Lead
Die nicht alkoholische Fettlebererkrankung (non-alcoholic fatty liver disease, NAFLD) ist die am weitesten verbreitete Lebererkrankung in den Industrienationen. Aus der NAFLD kann sich eine Steatohepatitis (NASH) entwickeln, die wiederum in einer Zirrhose, Leberversagen oder Leberkrebs münden kann (1). In jüngerer Zeit wurde die NAFLD als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen erkannt (2). Über die NAFLD erklären sich direkt relevante kardiometabolische Risikofaktoren wie Dysglykämie, Dyslipidämie, Inflammation, oxidativer Stress, Gerinnungsstörungen mit Thromboseneigung und arterielle Hypertonie. Auch kommt der Fettleber eine ätiopathogenetische Bedeutung für Typ-2-Diabetes zu (4, 5). Entsprechend ist die NAFLD inzwischen als unabhängiger Risikofaktor für Typ-2-Diabetes etabliert (3, 6).
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Autoren
-
Rubrik
KARDIOLOGIE UND GASTROENTEROLOGIE — GASTROENTGEROLOGIE
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29100
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LEBERERKRANKUNG
Nicht alkoholische Fettleber – die unterschätzte Volkskrankheit

Die nicht alkoholische Fettlebererkrankung (non-alcoholic fatty liver disease, NAFLD) ist die am weitesten verbreitete Lebererkrankung in den Industrienationen. Aus der NAFLD kann sich eine Steatohepatitis (NASH) entwickeln, die wiederum in einer Zirrhose, Leberversagen oder Leberkrebs münden kann (1). In jüngerer Zeit wurde die NAFLD als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen erkannt (2). Über die NAFLD erklären sich direkt relevante kardiometabolische Risikofaktoren wie Dysglykämie, Dyslipidämie, Inflammation, oxidativer Stress, Gerinnungsstörungen mit Thromboseneigung und arterielle Hypertonie. Auch kommt der Fettleber eine ätiopathogenetische Bedeutung für Typ-2-Diabetes zu (4, 5). Entsprechend ist die NAFLD inzwischen als unabhängiger Risikofaktor für Typ-2-Diabetes etabliert (3, 6).
Nicolai Worm1, Jürgen Stein2 und Alexander Ströhle3
Entstehung Auf dem Boden einer genetischen Prädisposition entsteht die Fettleber aus einem Ungleichgewicht zwischen dem Eintrag aus Lipolyse des Fettgewebes, Nahrungsfett und De-novoLipogenese aus Kohlenhydraten und dem Verbrauch beziehungsweise der Abgabe von Lipiden aus der Leber (Übersicht bei [1]). Das Risiko für eine NAFLD nimmt zwar mit steigendem Body-Mass-Index (BMI) zu, doch tritt sie auch bei Normalgewichtigen auf (7–9). Der Grossteil des Leberfetts stammt aus der Lipolyse der Adipozyten (10). Dem liegt ein dysfunktionales Fettgewebe zugrunde (11–13): Bei maximaler Expansion der Fettzellen kann es zur Fibrosierung der Matrix und schliesslich zu Hypoxie kommen, die wiederum immunologische Reaktionen mit Entzündungen und einen Umbau des Fettgewebes
1 Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, Saarbrücken 2 Kliniken Frankfurt Sachsenhausen 3 Abteilung Ernährungsphysiologie und Humanernährung, Institut für Lebensmittelwissenschaft, Leibniz 3 Universität Hannover

hervorruft. Die proinflammatorischen Zytokine bewirken eine Insulinresistenz (IR), welche die Fettoxidation hemmt und die Lipolyse stimuliert. Dieser Funktionsverlust der Fettzellen bewirkt quasi ein «Überlaufen» von Lipiden (lipid overflow) (14). Auf diese Weise entstehen ektope Fetteinlagerungen in Geweben, die nicht primär für die Fettspeicherung vorgesehen sind, insbesondere im Bauchraum und dort an erster Stelle in Leber und Pankreas, aber auch in und um das Herz, den Nieren und der Skelettmuskulatur. Die ektopen Lipide enthalten Ceramide und Diacylglycerol (DAG), welche wiederum Entzündungen in diesen Geweben auslösen und dort Insulinresistenz hervorrufen (Übersicht bei [1]), was funktionelle Störungen dieser Organe mit Glukose- und Fettstoffwechselstörungen, Blutdruckerhöhung sowie Filtrationsdefekten zur Folge hat und in Typ-2-Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und chronischen Nierenerkrankungen münden kann (3, 15–17, Abbildung 2). Der zweitgrösste Lipideintrag in die Leber stammt aus den Kohlenhydraten über die De-novo-Lipogenese (DNL), der mit 26 Prozent fast doppelt so hoch ist wie der Eintrag aus Nahrungsfett mit 15 Prozent (10). Populationsstudien bestätigen, dass die DNL entscheidend zur Genese der NAFLD beiträgt (18–20). Bei bestehender NAFLD findet man selbst unter eukalorischer Kost und üblichen Nährstoffrelationen eine ausgeprägte DNL (21). Der entscheidende Trigger für die DNL ist die mit Insulinresistenz verbundene Hyperinsulinämie (Abbildung 1). Bei IR wird im Vergleich zu insulinsensitiven Personen eine vielfache Menge an Fett in der Leber und in den Fettzellen synthetisiert (22). Mit Hyperinsulinämie und hohem Kohlenhydratkonsum reagieren selbst insulinsensitive Menschen mit einer massiven Steigerung der DNL in der Leber (23). Bei hohem Konsum und überkalorischer Ernährung trägt Fruktose am stärksten zur DNL bei. (24). Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang der heutige übermässige Konsum von Frucht- und Softdrinks zu sehen. Unabhängig von der Energiezufuhr wird dem Einfluss der Fettqualität eine wesentliche Rolle zugesprochen. Während bei der DNL aus Kohlenhydraten vor allem gesättigte Fettsäuren mit 16 und 18 C-Atomen entstehen und deren Einlagerung in die Gewebe mit einem erhöhten Risiko für NAFLD in Beziehung stehen (18–21), ist der Einfluss von gesättigten Fettsäuren aus der Nahrungsaufnahme umstritten (25, 26). Zum andern ist eine hohe Aufnahme von der einfach ungesättigten Ölsäure (27) und vor allem von langkettigen, hochungesättigten Omega-3-Fettsäuren mit einem verminderten Risiko für NAFLD assoziiert (28–30).

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LEBERERKRANKUNG

Leptin –
SREBP-1 ++
DNL

Fettgewebe

Leber
n-3-PUFA

µ*

Zitrat ++

Glykolyse/TCA Glukose
*

++ ChREBP

Insulin

µ* SREBP-1

++

+

Glukose

DNL

Glykolyse/TCA ++

Glukose

Zitrat

Glukose-

Glukose-

transporter

transporter *

ChREBP

++

Abbildung 1: De-novo-Lipogenese aus Kohlenhydraten in Leber- und Fettzellen durch Aktivierung der Transkriptionsfaktoren ChREBP und SREBP-1 in Abhängigkeit von postprandialer Hyperglykämie und Hyperinsulinämie (nach Ameer F et al.: Metabolism 2014; 63: 895–902). (DNL: De-novo-Lipogenese, ChREBP: carbohydrate-responsive element-binding protein, TCA: tricarboxylic acid cycle, SREBP1: sterol regulatory element-binding protein 1, n-3-PUFA: Omega-3-Fettsäuren)

Leber Pankreas

Insulinresistenz
+ KH á Energie á
Leberfett á NAFLD
Basalinsuliná
IR Leber á Glukoseabgabe á

VLDL-Cholesterin á + Lipolyse Fettzellen á

hoher Blutzucker

ektopes Fett á Lipotoxizität
Insulinresistenz von α- und β-Zellen
Apoptose β-Zellen
Insulin á Glukagon á

Abbildung 2: Aus ektopen Fetteinlagerungen in Leber und Pankreas entwickelt sich der Typ-2-Diabetes (NAFLD: non-alcoholic fatty liver disease, KH: Kohlenhydrate, IR Leber: Insulinresistenz Leber, VLDLCholesterin: very low density lipoprotein).

Risikofaktoren der NAFLD
Die muskuläre Inaktivität ist ein eminenter NAFLD-Risikofaktor. Einerseits sinkt mangels Muskelaktivität die Oxidationsrate von Glukose und Fettsäuren in Muskel- und Leberzellen, was eine IR in der Muskelzelle bedingt (31, 32). Andererseits folgt aus der IR des Muskels prinzipiell eine Glykogensynthesestörung (33). Das Substratangebot wird zum Fettgewebe und zur Leber umgeleitet. Insbesondere bei hohem Kohlenhydratanteil in Verbindung mit einer hyperkalorischen Energiezufuhr wird die DNL in der Leber maximal gesteigert (34). Andererseits fehlt bei Inaktivität der adäquate Stimulus zur Angiogenese im sich bei positiver Energiebilanz ausdehnenden Fettgewebe, was wiederum eine Hypoxie im Fettgewebe fördert und dort zu einer Inflammation beiträgt (35). Eine weitere Ursache der NAFLD ist in der Dysbiose zu suchen. Die Störung des intestinalen Mikrobioms fördert die Darmpermeabilität und erhöht das Risiko für eine Endotoxinämie, welche wiederum die Entstehung einer NAFLD beziehungsweise NASH begünstigt (36).
Therapie
Es existieren für die Indikation NAFLD keine speziell zugelassenen Medikamente. Folglich bildet das Fundament der Behandlung mit dem Ziel des Abbaus von ektopem Fett in

der Leber die Lebensstilintervention mit Ernährungs- und Bewegungsmodifikation (Übersicht bei [1]).
Ernährungstherapie Primäres Ziel der Ernährungstherapie ist die Senkung der Energiezufuhr, um eine Reduktion der Fettmasse zu erreichen. Zur Erlangung einer normalen Leberfunktion muss nicht eine fixe Reduktion von Körpergewicht beziehungsweise BMI erreicht werden. Entscheidend ist vielmehr das Unterschreiten der individuellen Verfettungsschwelle, die zur Dysfunktion von Leber (und Pankreas) führt. Sie ist individuell unterschiedlich und unabhängig vom BMI oder anderen Normwerten (37). Eine Reduktion der Fettmasse lässt sich prinzipiell mit jeder Art hypokalorischer Diät erzielen. Im Allgemeinen sind die Effekte unter kohlenhydratreduzierten, fett- und proteinbetonten Diäten mit niedriger glykämischer Last unter Ad-libitum-Bedingungen in den ersten 6 Monaten signifikant stärker als unter fettreduzierten Diäten (3 bis 4 kg unter Low-Fat; 5 bis 8 kg unter Low-Carb) (38, 39). Allerdings steigt danach unter allen Diätformen mangels Compliance typischerweise das Gewicht wieder an (Übersicht bei [40]). Eine aktuelle Metaanalyse der 17 randomisiert-kontrollierten Diätstudien mit den höchsten Completer-Raten (ca. 75%) weist eine im Mittel 2 Kilogramm stärkere Gewichtsreduktion unter Low-Carb aus und eine insgesamt grössere Verbesserung bei den Risikofaktoren für artherosklerotische Herzgefässerkrankungen (41). Die ausgeprägteste Gewichtsreduktion über den Zeitraum von mehreren Jahren lässt sich mit VLCD (very low calorie diets) bei 400 bis 800 kcal/Tag oder bis 1200 kcal/Tag unter Einsatz von Formulamahlzeitenersatz erreichen (42–44). Eine beschleunigte Gewichtszunahme nach der Diätphase ist dabei nicht zu befürchten (45–47). Bemerkenswert ist die hohe Compliance (48). Studien mit VLCD- und LCD-Diets haben auch ihre Wirksamkeit hinsichtlich eines Abbaus einer Lebersteatose belegt (49, 50). Dabei haben Formulas mit niedrigem Kohlenhydratanteil eine überlegene Wirkung gezeigt (51). Die am genauesten dokumentierte randomisiertkontrollierte Studie mit einer VLCD-Formula-Diät (600 kcal + 200 kcal über Gemüse) ergab parallel zur Gewichtsreduktion von 4 Prozent in der ersten Woche einen Abbau des Leberfetts um 30 Prozent und des Pankreasfetts um 10 Prozent. Damit einhergehend erhöht sich signifikant die Insulinsensitivität der Leber, danach folgen eine signifikante Reduktion der Glukoseabgabe der Leber und eine Normalisierung des Nüchternblutzuckers (52). Auch mit hypokalorischen Diäten auf Mischkostbasis lässt sich eine Besserung der NAFLD erzielen (51, 53–57). Dabei bedingten kohlenhydratreduzierte Reduktionsdiäten zumindest in den ersten Monaten ohne erkennbare Nebenwirkungen eine raschere Entfettung der Leber als kohlenhydratbetonte, fettarme Diäten (58). Darüber hinaus ermöglichen hypokalorische Low-Carb-Diäten bei vergleichbarer Energiereduktion und unabhängig von der Gewichtsreduktion einen signifikant stärkeren Abbau des Leberfetts (59, 60). Vor allem in den ersten Wochen der Kalorienrestriktion führt Low-Carb gegenüber einer identisch energiereduzierten Low-Fat-Diät zu einem signifikant stärkeren Abbau des Leberfetts (61). Selbst nach vergleichbarer Gewichtsreduktion nach 3 Monaten ist unter Low-Carb eine signifikant bessere

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hepatische Insulinsensitivität nachzuweisen als unter LowFat (61). Ferner konnte gezeigt werden, dass kohlenhydratbegrenzte, mit einfach ungesättigten Fettsäuren angereicherte und proteinliberalisierte Kostformen den Leberfettgehalt ohne Kalorienreduktion (27, 62) beziehungsweise unabhängig von der Gewichtsreduktion (59) signifikant mindern, die Insulinsensitivität der Leber verbessern und die Glukoseabgaben der Leber hemmen. So spielt ernährungstherapeutisch die Kohlenhydratreduktion unabhängig von der Kalorienreduktion eine entscheidende Rolle. Ausgehend von der Ätiopathogenese der NAFLD und den damit einhergehenden Folgeerkrankungen Typ-2-Diabetes, Hypertonie, atherogeneses Lipidprofil und koronare Herzkrankheit ergibt sich die Indikation zu einer erweiterten diätetischen Therapie. Gute Evidenz in diesem Zusammenhang besteht für den gezielten Einsatz langkettiger Omega-3-Fettsäuren, Vitamin E und Probiotika (Übersicht bei [1]). Zudem greifen verschiedene lösliche Ballaststoffe wie Beta-Glukan und Inulin auf Basis ihrer weitreichenden metabolischen und sättigenden Wirkungen systemisch in das Fettlebergeschehen ein (Übersicht zu den Ballaststoffeffekten bei Ströhle et al. [63, 64]). Experimentelle Untersuchungen beziehungsweise Beobachtungsstudien haben ausserdem leberschützende Effekte von Vitamin D, Cholin beziehungsweise Betain, L-Carnitin, Ursodesoxycholsäure, Resveratrol, Quercitin, Kurkuma, Koffein, Kaffeesäure und Taurin gezeigt, worauf hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.

Fazit und Praxisempfehlungen

Als initiale Therapie zur schnellen und effektiven Methode

der Leberentfettung haben sich Formuladiäten etabliert. Zur

längerfristigen Prävention und Therapie der NAFLD am

besten geeignet ist eine moderne Form der mediterranen Er-

nährung, bei der ein Grossteil der herkömmlich verzehrten

raffinierten stärke- und zuckerreichen Nahrungsmittel durch

Gemüse, Salate, Beeren, Früchte und Hülsenfrüchte, Pilze

und Vollkornprodukte, ergänzt durch einen Mehrkonsum

von Milchprodukten, Eiern, Fisch, Fleisch und Geflügel, er-

setzt werden (Übersicht bei [1]). Parallel ist eine Einschrän-

kung des Konsums von fruktose- und saccharosehaltigen

Getränken empfehlenswert.

O

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Nicolai Worm Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement Hermann Neuberger Sportschule 3 D-66123 Saarbrücken E-Mail: nicolai.worm@t-online.de Internet: www.logi-methode.de und E-Mail: www.leberfasten.de

Literatur unter www.arsmedici.ch Erstpublikation in Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE) 2/2016.

Bewegungstherapie Das Ziel der Bewegungstherapie ist einerseits die Erhöhung des Energieverbrauchs und andererseits die Verminderung des Verlusts an Magermasse (lean body mass, LBM; Körpergewicht minus Speicherfett), wie er sonst bei Gewichtsreduktion unweigerlich auftritt. Daneben ist körperliche Aktivität mit einer verbesserten Fähigkeit der Muskulatur verbunden, Nährstoffsubstrate zur Energiegewinnung heranzuziehen, (Übersicht bei [1]), was in günstigen metabolischen Effekten mündet. In Verbindung mit der gesteigerten Insulinsensitivität sinkt die Substratverfügbarkeit der Leber, und die intrahepatische Bildung von Fetten nimmt ab (16). Darüber hinaus kommt es zu einer Verbesserung des Glukose- und Lipidstoffwechsels, gekennzeichnet durch eine Abnahme der Nüchternglukose und des HbA1c-Werts sowie eine Senkung von LDL- und Triacylglycerolen im Plasma (65).

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