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Endokrine Hypertonie
Phäochromozytom, Cushing- und Conn-Syndrom
BERICHT
Ein Phäochromozytom sowie das Cushing- und das Conn-Syndrom können eine endokrine Hypertonie auslösen. Wie man diese Erkrankungen als Ursache der Hypertonie erkennen kann und welche Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, wurde von Prof. Dr. Martin Reinicke an einer Fortbildungsveranstaltung im Rahmen der D-A-CH-Tagung für Endokrinologie 2016 in München erläutert.
Claudia Borchard-Tuch
Als Phäochromozytom bezeichnet man weitgehend hormonell aktive Tumoren des Nebennierenmarks oder der sympathischen Paraganglien. Prof. Dr. Martin Reinicke, Medizinische Klinik und Poliklinik IV der Universität München, illustrierte die Folgen eines Phäochromozytoms anhand eines Fallbeispiels (s. Kasten). Er betonte, dass über die Hälfte der Phäochromozytome erst post mortem diagnostiziert werden.
O stark schwankender oder plötzlich aufgetretener erhöhter Blutdruck
O paradoxer Blutdruckanstieg bei Operationen, Narkosen, Medikationen
O hereditäre Disposition O Inzidentalome der Nebenniere.
Die Bestimmung der Metanephrine (Methylierungsprodukte von Noradrenalin und Adrenalin) ist das Verfahren der Wahl beim biochemischen Scree-
Bei einem sonst asymptomatischen Hypertoniker ist kein Phäochromozytomscreening indiziert.
Charakteristische Symptome sind Hypertonie (davon Dauerhypertonie in 50–60% und intermittierende Hypertonie in 40–50% der Fälle), Kopfschmerzen, Schwitzen und Palpitationen. Die Katecholaminwirkung am Herzen macht sich in Form von Tachykardie, Palpitationen und Herzrhythmusstörungen bemerkbar. Durch Stimulation der Glykogenolyse kommt es zu einem teilweise massiv gesteigerten Metabolismus mit Hyperglykämie und Glukosurie. Bei einem sonst asymptomatischen Hypertoniker ist kein Phäochromozytomscreening indiziert. Indikationen zur biochemischen Phäochromozytomdiagnostik sind:
ning. Bei biochemisch abgesichertem Phäochromozytom sollte eine Computertomografie von Thorax, Abdomen und kleinem Becken durchgeführt werden. Nur bei Verdacht auf Metastasierung wird eine funktionelle Bildgebung mit spezifischen Tracern (MIBG-Szintigrafie, DOPA-PET) empfohlen. Therapeutisch wird zunächst präoperativ eine 14-tägige Alpharezeptorblockade durchgeführt. Bei Tumoren < 6 cm kann eine minimalinvasive Adrenalektomie erfolgen. Cushing-Syndrom Das Cushing-Syndrom ist die Folge einer anhaltenden inadäquaten Erhöhung der Plasmaglukokortikoide. Vor- aussetzung für die Diagnose sind klinische Symptome in Einklang mit pathologischen Testergebnissen. Die häufigste Ursache ist die iatrogene Langzeittherapie mit Glukokortikoiden, die zusätzlich eine Atrophie der Nebennierenrinde und damit eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz auslösen kann. Lange Dauer, hohe Dosis und intraartikuläre Injektionen bergen hierbei das höchste Risiko. Das endogene Cushing-Syndrom ist in zirka 85 Prozent der Fälle ACTH-abhängig. Zu unterscheiden sind: O zentrales Cushing-Syndrom (Mor- bus Cushing) mit erhöhter Produktion von ACTH im Hypophysenvorderlappen (z.B. Hypophysenadenom) und konsekutiv vermehrter Kortikoidfreisetzung aus der Nebennierenrinde O ektopes (paraneoplastisches) CushingSyndrom mit Bildung von ACTH beziehungsweise CRH in ektopem Gewebe, beispielsweise im Rahmen eines Bronchialkarzinoms. Beim ACTH-unabhängigen CushingSyndrom können unterschieden werden: O adrenales Cushing-Syndrom mit ge- steigerter Sekretion von Gluko- oder Mineralkortikoiden aus der Nebennierenrinde im Zuge von Adenomen oder einer nodulär-adrenalen Hyperplasie mit konsekutiv supprimierter ACTH-Ausschüttung aus dem Hypophysenvorderlappen O hypothalamisch-hypophysäres Cushing-Syndrom mit Störungen der hypothalamisch-hypophysären Regulation. Klinische Symptome sind Hautveränderungen wie Atrophie, Rubeosis, Plethora, Ekchymosen, livide Striae, Akne und Hautinfektionen. Es kommt zudem zu stammbetonter Fettgewebeverteilung, Facies lunata, Myopathie, Zyklusstörungen, Impotenz, psychischen ARS MEDICI 14+15 I 2016 643 BERICHT Fallbeispiel Eine 38-jährige Patientin stellte sich in der Klinik vor. In einem Zeitraum von zwei Jahren waren Anfälle von Bluthochdruck aufgetreten. Seit zwei Wochen litt sie unter rezidivierenden Druckgefühlen im Thoraxbereich, am Vorstellungstag mit Todesangst. In der Notaufnahme betrug der Blutdruck (RR) 190/110 mmHg, die Pulsfrequenz 110 pro Minute, die CK (Kreatininkinase) 260 U/l, CK-MB (muscle-brain type CK) 20 Prozent und das Troponin 2,3 ng/ml. Im EKG zeigte sich eine ST-Hebung. Es wurde eine Koronarangiografie durchgeführt, bei welcher keine Stenose feststellbar war. Es kam jedoch zu einer akuten Verschlechterung des Zustands mit zunehmend hypertensiven Blutdruckwerten mit Tachykardie und zu Ateminsuffizienz bei Lungenödem. Die Patientin wurde auf die Intensivstation verlegt. Die Blutdrucksenkung gestaltete sich schwierig (RR 250/50 mmHg, Pulsfrequenz 115 pro Minute). Die Atemfrequenz betrug 30/min. Es wurde eine Computertomografie von Abdomen und Thorax durchgeführt. Hierbei zeigte sich ein adrenales Phäochromozytom. Es war zu einer Tako-Tsubo-Kardiomyopathie mit den Zeichen eines akuten Myokardinfarkts, zu Kardiomyopathie und Pumpversagen gekommen. die Grunderkrankung zulässt (7,5 mg Prednisolonäquivalent pro Tag gilt als Cushing-Schwellendosis). Primärer Hyperaldosteronismus – das Conn-Syndrom Der primäre Hyperaldosteronismus (PHA) ist eine durch autonome Überproduktion von Aldosteron in der Nebennierenrinde bedingte Form des Hyperaldosteronismus. Sie wurde erstmals im Jahr 1954 durch Jerome Conn beschrieben. Leitsymptome des klassischen Conn-Syndroms sind: O arterielle Hypertonie O Hypokaliämie (< 3,7 mmol/l) O metabolische Azidose. Reinicke wies jedoch darauf hin, dass die Mehrzahl der Patienten normokaliämisch sei. Die Hypokaliämie sei ein Spätsym- Auffälligkeiten und Hypertonie. Der MRT der Hypophyse oder der Neben- ptom des Conn-Syndroms. Das Basis- begründete Verdacht auf ein Cushing- nieren durchzuführen. screening kann deshalb nicht auf der Be- Syndrom beruht auf der Kombination Die Therapie richtet sich nach der stimmung des Serumkaliums beruhen. von Symptomen, die nur durch eine Ursache des Cushing-Syndroms: Ade- Oft bleibt ein primärer Hyperaldoste- Ganzkörperinspektion erhoben wer- nome der Hypophyse oder der Neben- ronismus unerkannt. Pro Jahr werden den können. nieren werden operativ entfernt. Bleibt in Deutschland zirka 400 Fälle eines Nach einer Anamnese und einer ge- die OP erfolglos, oder bestehen Kontra- hypokaliämischen primären Hyper- nauen körperlichen Untersuchung er- indikationen, kann man die Hypophyse aldosteronismus diagnostiziert. Es sei folgt im nächsten Schritt die bioche- bestrahlen. Die Therapie der Wahl bei davon auszugehen, dass jedes Jahr zirka 250 000 Fälle nicht erkannt werden. Beim normokaliämischen pri- Die häufigste Ursache des Cushing-Syndroms ist die iatrogene Langzeittherapie mit Glukokortikoiden. mären Hyperaldosteronismus werden jährlich 1000 Fälle diagnostiziert; nicht erkannt wird er bei schätzungsweise 1 Million Patienten pro Jahr. Mit dem Aldosteronsuppressionstest mische Sicherung der Diagnose. Im einer Nebennierenrindenhyperplasie ist kann man primären Hyperaldostero- kurzen Dexamethason-Hemmtest wird die Adrenalektomie und eine sich nismus nachweisen. Durch die intrave- Dexamethason von aussen zugeführt. anschliessende lebenslange Hormon- nöse Zufuhr von Natrium wird die Re- Die körpereigene Cortisolausschüttung substitution zur Vermeidung eines Ad- ninausschüttung supprimiert, wodurch wird durch von aussen zugeführte dison-Syndroms. Dazu gehört auch die es bei gesunden Patienten zu einem Ab- Glukokortikoide normalerweise sup- Glukokortikoidgabe, bis sich die kon- fall des Aldosteronspiegels kommt. Bei primiert. Ein Abfall des Cortisol- tralaterale Nebenniere erholt hat. Patienten mit aldosteronproduzieren- spiegels weist daher auf einen intakten Regelkreis hin. Fällt der Cortisolspiegel nicht ab, ist die Cortisolausschüttung vom Regelkreis entkoppelt. Zur biochemischen Sicherung dient auch die Be- Der primäre Hyperaldosteronismus gilt als häufigste Ursache einer sekundären Hypertonie. stimmung des freien Cortisols im 24-Stunden-Urin (> 120 µg/Tag). Beim
Cushing-Syndrom ist zudem die Tages- Beim ektopen paraneoplastischen Syn- dem Adenom bleibt dieser Abfall aus.
rhythmik des Cortisols aufgehoben drom oder bei inoperablem Neben- Es erfolgt eine morgendliche Blutent-
(Cortisol > 1,5 ng/ml im Mitternachts- nierenkarzinom kann man versuchen, nahme mit der Erhebung der Aldoste-
speichel). Zur Subtypdifferenzierung die Cortisolsynthese medikamentös zu ron- und Reninwerte. In den folgenden
muss das Plasma-ACTH bestimmt blockieren, zum Beispiel mit Pasireotid 4 Stunden erhält der Patient 2 Liter
werden.
oder Mifepriston.
(ca. 500 ml/h) 0,9-Prozent-Kochsalzlö-
Nach laborchemischer Sicherung der Beim iatrogenen Cushing-Syndrom sung i.v., und im Anschluss erfolgt eine
Diagnose ist in Abhängigkeit vom sollte die eingenommene Glukokorti- erneute Bestimmung der aktuellen Al-
Ergebnis (zentral oder adrenal) eine koidmenge reduziert werden, sofern es dosteron- und Reninwerte.
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Primärer oder sekundärer
Hyperaldosteronismus?
Die Differenzierung zwischen einem primären Hyperaldosteronismus und sekundären Formen erfolgt durch die Bestimmung der Konzentrationen von Aldosteron und Renin im Serum. Der sekundäre Hyperaldosteronismus wird nicht durch eine Störung der Nebennieren verursacht. In der Regel beruht der sekundäre Hyperaldosteronismus auf einer pathologisch gesteigerten Stimulierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) im Rahmen anderer Grunderkrankungen (z.B. Nierenarterienstenose, Glomerulonephritis). Im Falle eines primären Hyperaldosteronismus ist die Aldosteronkonzentra-
Bei Bestätigung des Verdachts auf einen primären Hyperaldosteronismus sollten zur Ursachenfahndung die Nebennieren durch bildgebende Verfahren (CT, MRT) dargestellt werden. Spezialuntersuchungen wie die Katheterisierung der Nebennierenvenen zur Erfassung der Aldosteron- und Reninkonzentration sind komplizierten diagnostischen Fällen vorbehalten und sollten nur von erfahrenen Fachärzten durchgeführt werden.
Häufigste Ursache einer sekundären Hypertonie
Der primäre Hyperaldosteronismus wird mittlerweile als häufigste Ursache einer sekundären Hypertonie angese-
Patienten, die von einem primären Hyperaldosteronismus betroffen sind, besteht eine höhere kardio- und zerebrovaskuläre Morbidität als bei essenziellen Hypertonikern mit vergleichbaren Blutdruckwerten. Basiert der primäre Hyperaldosteronismus auf einem aldosteronproduzierenden Adenom der Nebennierenrinde, führt eine Adrenalektomie bei über 50 Prozent der Patienten zu einer Remission der Hypertonie und bei über 95 Prozent der Patienten zu einer Normalisierung der Kaliumwerte. Ist eine bilaterale Hyperplasie der Nebennierenrinde die Ursache, ist Spironolacton effektiv in der Blutdrucksenkung. O
Claudia Borchard-Tuch
Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus haben eine höhere kardio- und zerebrovaskuläre Morbidität als andere Hypertoniker mit vergleichbaren Blutdruckwerten.
Fortbildungsveranstaltung «Praktische Endokrinologie in Klinik und Praxis» im Rahmen der D-A-CH-Tagung für Endokrinologie 2016 in München, 28. Mai 2016.
tion erhöht, die Reninkonzentration erniedrigt. Als Screeningtest eignet sich der Aldosteron-Renin-Quotient. Bei grenzwertigen Befunden kann ein Captopriltest erforderlich sein.
hen und betrifft laut neueren Studien 5 bis 12 Prozent der Hypertoniker. Aldosteron wird ein wesentlicher Einfluss bei der Pathogenese kardiovaskulärer Erkrankungen zugeschrieben. Bei
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