Transkript
SGORL/SGAI
Therapieresistente Rhinosinusitis? Vielleicht ein angeborener Immundefekt!
Immunstatus sollte heute vor jeder Nebenhöhlenoperation erfolgen
Bei Patienten mit chronischer Rhinosinusitis sollte man nicht vorschnell zum Skalpell greifen. Denn bei jedem Vierten lässt sich ein Immundefekt nachweisen. Den Betroffenen kann mit immunologischen Therapieoptionen besser geholfen werden.
Derzeit dauere es im Durchschnitt fünf Jahre, bis bei einem solchen Patienten die Diagnose eines variablen Immundefektsyndroms (CVID: Common Variable ImmunoDeficiency) gestellt werde, berichtete Prof. Klaus Warnatz aus Freiburg bei der gemeinsamen SGORL/SGAI-Jahrestagung. Unter diesem Krankheitsbegriff werden verschiedene Immundefekte zusammengefasst, die heute anhand ihrer Pathomechanismen und ihre klinischen Ausprägungen weiter unterteilt werden können. So gibt es auf der einen Seite Formen, bei denen häufig wiederkehrende Infektionen im Vordergrund stehen, auf der anderen Seite aber auch komplexe Formen, bei denen die Symptome eher auf Autoimmunphänomene zurückzuführen sind. Darüber hinaus existieren weitere Immundefekte, die sich mit einer ähnlichen Symptomatik äussern. Gemeinsam sei den verschiedenen Formen angeborener Immundefekte (PID: Primary Immuno-Deficiency), dass die Sinuschirurgie nicht die geeignete Massnahme sei, be-
Kasten 1:
10 WARNZEICHEN EINES ANGEBORENEN IMMUNDEFEKTS (PID) BEI ERWACHSENEN:
1. zwei oder mehr neue Ohrentzündungen innerhalb eines Jahres 2. zwei oder mehr Nebenhöhlenentzündungen innerhalb eines Jahres, bei Abwesenheit
von Allergien 3. mindestens eine Pneumonie pro Jahr über mehrere Jahre hinweg 4. chronische Diarrhö und Gewichtsverlust 5. wiederholte virale Infektionen (Erkältungen, Herpes, Warzen, Kondylome) 6. wiederholter Bedarf an intravenösen Antibiotika zur Infektionsbeseitigung 7. wiederholte tiefe Abszesse der Haut oder innerer Organe 8. persistierende Pilzinfektionen an Haut oder anderen Lokalisationen 9. Infektionen mit normalerweise harmlosen Mykobakterien 10. PID in der Familienanamnese
Quelle: Vortrag Gevaert
Kasten 2:
LABORUNTERSUCHUNGEN BEI VERDACHT AUF IMMUNDEFEKT
• Gesamtblutbild • T-Zellen und B-Zellen • Gesamt-IgM, -IgA, -IgG sowie IgG-Subklassen • Gesamt-IgE und spezifische IgE • Komplementsystem: C3, C4, CH50 und AH50, MBL (Mannose-bindendes Lektin) • Antikörpertiter auf S. pneumoniae, C. tetani, H. influenzae • Antikörperantwort auf Pneumokokkenimpfung
Quelle: Vortrag Gevaert
tonte Prof. Phillippe Gevaert, ORL-Spezialist an der Universität von Ghent/Belgien: «Öffnen Sie Ihre Augen!» Wie man inzwischen zeigen konnte, lassen sich beispielsweise in Belgien bei 21,8 Prozent der Patienten mit therapierefraktärer chronischer Rhinosinusitis Immundefekte als Ursache nachweisen. Bei der Hälfte davon handelt es sich wiederum um Antikörperdefekte. Eine Schweizer Studie fand bei 23 Prozent aller untersuchten Patienten mit therapierefraktärer chronischer Rhinosinusitis einen Antikörperdefekt; vor dessen Diagnose hatten sich die Betroffenen im Durchschnitt drei endoskopischen Nebenhöhlenoperationen unterzogen (1). Bei Antikörperdefekten ist zu beobachten, dass die typische Krankheitsausprägung erst im Erwachsenenalter deutlich wird, wie Gevaert hervorhob. Von einer CVID spricht man, wenn ein IgG-Immundefekt mit oder ohne weitere Immunglobulindefekte (erniedrigtes IgA oder IgM) vorliegt, so Gevaert weiter. Typisch ist auch hier der Beginn der manifesten Erkrankung nach der Pubertät und vor dem Alter von 30 Jahren. Ein Hinweis kann ein mangelndes Ansprechen auf Impfungen sein, ohne dass andere Immundefekte nachweisbar wären. Zu den klinischen Erscheinungsbildern gehören Sinusitiden (83%), Pneumonien (83%), gastrointestinale Probleme (70%) und chronisch verlaufende Mittelohrentzündungen (49%). Durch eine frühzeitige Diagnose kann man unnötige chirurgische Eingriffe vermeiden und die Patienten einer geeigneten Therapie zuführen. Bei den Immunglobulindefekten zum Beispiel besteht diese in der Gabe der fehlenden Immunglobuline. Viele der Betroffenen haben Autoimmunerkrankungen, die einer immunsuppressiven Therapie bedürfen. Zu beachten ist nach den Worten von Gevaert auch das erhöhte Risiko dieser Patienten für die Entwicklung von Malignomen. Aus diesen Gründen mahnte Gevaert, auf die Warnzeichen eines primären Immundefekts zu achten (Kasten 1). Grundsätzlich empfiehlt er bei Patienten mit chronischer Rhinosinusitis immer zuerst die Blutuntersuchung (Kasten 2) und dann erst die Nebenhöhlenchirurgie.
Adela Žatecky
Referenzen: 1. Schitzguébel AJP et al.: Immunoglobulin deficiency in patients with chronic rhinosinusitis: Systematic review of the literature and meta-analysis. JACI 2015; 136(6): 1523–1531.
Quelle: Joint plenary session I «Immunodeficiencies» anlässlich des gemeinsamen SGORL/SGAI-Jahrestreffens, 28. April 2016 in Montreux.
18 • CongressSelection Allergologie/Immunologie/ORL • Juli 2016