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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Salzkontrolle nützt nur Hypertonikern
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Personen mit normalem Blutdruck scheint viel Salz eher nicht zu schaden, zu wenig aber schon. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer kürzlich in der Zeitschrift «The Lancet» erschienenen Studie (1). Da man weiss, dass Hypertoniker meist salzsensitiver sind als Personen mit normalem Blutdruck, haben sich die Autoren mit der Frage befasst, wie Salzkonsum und kardiovaskuläres Risiko verknüpft sind, und zwar im Vergleich zwischen Personen mit und ohne Bluthochdruck. Sie werteten dafür die Daten von rund 133 000 Personen aus, etwa die Hälfte von ihnen hatte Hypertonie, die andere Hälfte normalen Blutdruck. Es handelte sich um Teilnehmer in vier prospektiven, internationalen Studien. Drei Viertel von ihnen (74%) hatten keine kardiovaskuläre Erkrankung zu Beginn der Studie, und 11 Prozent waren Diabetiker. Das mittlere Alter der Hypertoniker betrug 58,6 ±10,3 Jahre, das der Nichthypertoniker 50,5 ±10,7 Jahre. In der Hypertonikergruppe befanden sich mehr Männer; Bewegungs-
armut, Übergewicht, Diabetes und vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen kamen häufiger vor als bei den Nichthypertonikern. Der kombinierte Endpunkt umfasste Mortalität und schwere kardiovaskuläre Ereignisse in einem Zeitraum von median 4,2 Jahren. Der Salzkonsum wurde anhand von Messungen des Morgenurins bestimmt. Diese Messung habe sich in früheren Studien als ähnlich zuverlässig wie der übliche Standard des 24-Stunden-Urins erwiesen, betonen die Autoren. In der Gruppe mit einem Salzkonsum von 4 bis 5 g/Tag war das kardiovaskuläre Risiko generell am geringsten, was für den WHOGrenzwert spricht. Auch wurde bestätigt, dass Salzkonsum und Blutdruck statistisch korrelieren, und zwar bei Hypertonikern und Nichthypertonikern in unterschiedlichem Mass. Bei Hypertonikern stieg der systolische Wert pro Gramm Salz um 2,08 mmHg, bei Nichthypertonikern waren es 1,22 mmHg. Es scheint Personen mit normalem Blutdruck nicht zu schaden, wenn ihr Salzkonsum höher ist als empfohlen. Ihr kardiovaskuläres Risiko war bei Ն 7 g/Tag nicht höher als bei 4 bis 5 g/Tag (Hazard Ratio [HR]: 0,90; 95%Konfidenzintervall [KI]: 0,76-1,08; p = 0,2547). Anders sah es bei den Hypertonikern aus: Ihr Risiko stieg mit höherem Salzkonsum mit einer Hazard Ratio von 1,23 bei Ն 7 g/Tag (95%-KI: 1,11–1,37; p Ͻ 0,0001). Unterschritt man jedoch 3 g/Tag, so schadete das immer, egal ob eine Hypertonie vorlag oder nicht. Hier betrug die Hazard Ratio bei Nichthypertonikern 1,34 (95%-KI: 1,23–1,47; p Ͻ 0,0001) und bei Hypertonikern 1,26 (95%-KI: 1,10–1,45; p = 0,0009). Stellt sich noch die Frage, wie viele Personen in der Bevölkerung von einer Salzrestriktion auf 4 bis 5 g/Tag profitieren könnten? Nach Angaben der «Lancet»-Autoren wären es 24 Prozent der Hypertoniker und 10 Prozent in der Normalbevölkerung. Ob das genügt, um der Gesamtbevölkerung eine Salzrestriktion zu verordnen, ist eine gesundheitspolitische Frage. Im Herbst letzten Jahres war in der Presse zu lesen, dass das Ruch- und das Halbweissbrot in der Schweiz rund 20 Prozent weniger Salz enthalte als noch vor vier Jahren. Damit sei der Bund dem Ziel einer generellen Verminderung des Salzkonsums in der Schweiz näher gekommen. Ziel der «Salzstrategie»
des Bundes ist es, den Salzkonsum im Schweizer Durchschnitt kurzfristig auf 8 g/Tag und langfristig unter 5 g/Tag zu senken, den von der WHO empfohlenen Grenzwert (2). Der 2011 in einer Studie mit rund 1500 Teilnehmern ermittelte Ausgangswert zu Beginn der Salzstrategie lag im Durchschnitt bei etwa 9 g/Tag, wobei er bei den Frauen mit 7,8 ± 3,3 g/Tag niedriger war als bei den Männern mit 10,6 ± 4,2 g/Tag (3). Es steht ausser Frage, dass eine hohe Salzzufuhr den Blutdruck erhöhen kann. Die Schlussfolgerung, dass mit einer Salzrestriktion automatisch ein gesundheitlicher Nutzen für jeden verbunden sei, trifft jedoch nicht zu. Neben bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie kleinen Kindern und Schwangeren, die nicht zu wenig Salz essen sollten (2), ist die Salzempfindlichkeit bekanntermassen individuell unterschiedlich. Während bei Salzsensitiven bereits kleinere Mengen zu einem erhöhten Blutdruck führen, können andere grosse Mengen Salz essen, ohne dass ihr Blutdruck steigt. Der Anteil der Salzsensitiven liegt bei Hypertonikern bei 30 bis 50 Prozent und bei Personen mit normalem Blutdruck bei 10 bis 20 Prozent. Dies ist für Befürworter des generellen Salzsparens jedoch kein Gegenargument: Erstens sei es schwierig, die Salzsensitivität zu beurteilen, zweitens profitierten alle mehr oder weniger vom Salzsparen, spätestens aber mit dem Älterwerden und der damit nachlassenden Nierenfunktion, und drittens sollten sich die Menschen sowieso daran gewöhnen, weniger Salz zu essen (2). Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob das letztgenannte Ziel bereits den Tatbestand der Bevormundung erfüllt, letztlich stellt sich die Frage, ob der Nutzen den Aufwand rechtfertigt. Darüber hinaus gilt es, die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. So kann eine allzu fade Kost älteren Menschen den Appetit gänzlich verderben und damit das Risiko einer Mangelernährung erhöhen (2).
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1. Mente A et al.: Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies. The Lancet 2016; published online May 20, 2016.
2. Fachgruppe Salz und Gesundheit: Salz und Gesundheit. Schweizerische Herzstiftung 2014. Download unter: www.swissheart.ch.
3. Chappuis A et al.: Swiss survey on salt intake: main results. 2011. Download unter: www.blv.admin.ch > Lebensmittel und Ernährung > Publikationen.
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ARS MEDICI 13 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gastroenterologie
Apfelschorle statt Elektrolytgetränk Rückspiegel
Um den Flüssigkeitsverlust bei Erbrechen und Diarrhö auszugleichen, werden definierte Elektrolytlösungen empfohlen, ein Rat, der auf Erfahrungen aus Dritte-Welt-Ländern mit stark dehydrierten Patienten beruht. In einer kanadischen Studie konnte man nun nachweisen, dass mit Wasser verdünnter Apfelsaft – zumindest hierzulande für Kinder mit Gastroenteritis und der üblicherweise allenfalls leichten Dehydrierung – mindestens genauso gut ist. Einige der Studienresultate fielen mit dem verdünntem Fruchtsaft sogar besser aus. In die Studie aufgenommen wurden Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu fünf Jahren mit allenfalls minimaler Dehydrierung, die von ihren Eltern in eine Spitalambulanz ge-
bracht worden waren. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei gleich grosse Gruppen aufgeteilt: Die einen erhielten 1:1 mit Wasser verdünnnten Apfelsaft, die anderen die übliche Elektrolytlösung (eingefärbt wie Apfelsaft und mit künstlichem Apfelaroma). Insgesamt nahmen 657 Kinder teil; das mittlere Alter betrug 28 Monate, gut zwei Drittel wiesen
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(68,2%) keine Anzeichen einer Dehydrierung auf. Nach der Entlassung aus der Ambulanz durften die Kinder der Apfelschorlegruppe zu Hause entweder weiterhin die Schorle oder ein 1:1 verdünntes Getränk ihrer Wahl trinken. Auch stark gesüsste Getränke oder sogenannte Sportlergetränke waren dabei erlaubt. Die Kinder der Elektrolytgruppe sollten weiterhin die Elektrolytlösung trinken. Die definierte Trinkmenge zu Hause betrug 2 ml/kg Körpergewicht pro Erbrechen und 10 ml/kg Körpergewicht pro Diarrhöepisode. Primärer Endpunkt der Studie war «Therapieversagen», worunter eines oder mehrere der folgenden Ereignisse innert sieben Tagen gemeint waren: intravenöse Rehydrierung, Hospitalisation, ungeplante Konsultation beim Haus-/Kinderarzt, anhaltende Symptome, signifikante Dehydrierung oder Ն 3 Prozent Gewichtsverlust. Das so definierte Therapieversagen war in der Apfelschorlegruppe seltener (16,7 vs. 25%). Eine intravenöse Rehydrierung wurde bei weniger Kindern in der Apfelschorlegruppe notwendig (2,5 vs. 9%). Bei der Hospitalisierungsrate und der Frequenz des Erbrechens gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Bei Kindern mit leichter Gastroenteritis und minimaler Dehydrierung empfehlen die Studienautoren die initiale Hydrierung mit verdünntem Apfelsaft, gefolgt von den individuell bevorzugten Flüssigkeiten, die eine gute Alternative zu Elektrolytlösungen sind. RBOO
Freedman SB et al.: Effect of dilute apple juice and preferred fluids vs electrolyte maintenance solution on treatment failure among children with mild gastroenteritis. A randomized clinical trial. JAMA 2016; 315 (18): 1966–1974.
Prävention
Lieber selbst nachmessen
Der Bauchumfang gilt als wichtiger metabolischer Risikofaktor. Man sollte seinen Patienten die Angaben dazu jedoch besser nicht glauben, sondern besser selbst nachmessen. In einer Studie mit 585 Frauen und 165 Männern kam heraus, dass die Selbstmessungen statistisch betrachtet zwar nicht signifikant voneinander abwichen, im Einzelfall jedoch ganz erheblich. Von den Frauen mit in der Tat mehr als 88 Zentimeter Bauchumfang (= hohes Risiko für metabolisches Syndrom)
hätte per Selbstmessung mehr als die Hälfte
der Normalgewichtigen und 18 Prozent der
Adipösen nicht zur Hochrisikogruppe gehört.
Bei den Männern mit mehr als 102 Zentime-
ter Bauchumfang waren es 23 Prozent der
Normalgewichtigen und 16 Prozent der Adi-
pösen, die sich selbst weniger Bauchumfang
bescheinigten.
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Carranza Leon BG et al.: Self-measured vs professionally measured waist circumference. Ann Fam Med 2016 ;14: 262–266.
Vor 10 Jahren
Vermeintliche Wunderpille
Als Medikament mit Lifestylepotenzial kommt Rimonabant in den Handel. Die Substanz greift in das Endocannabinoidsystem an einer Schaltstelle zur Regulation von Körpergewicht und Stoffwechsel ein. Sie ist zur Behandlung bei Adipositas zugelassen, für die Zukunft denkt man auch an Indikationen wie Rauch- oder Alkoholstopp. Doch daraus wird nichts. Bereits zwei Jahre nach der Zulassung wird das Medikament wegen psychiatrischer Nebenwirkungen vom Markt genommen.
Vor 50 Jahren
Höhenmedizin
Zwei Jahre vor den Olympischen Spielen in Mexico City machen sich britische Sportmediziner Gedanken über die Leistungsfähigkeit der Athleten auf 2240 Meter über dem Meerespiegel. So sei beispielsweise damit zu rechnen, dass für den 4000-Meter-Lauf rund 8 Prozent mehr Zeit als in England benötigt werden. Selbst nach einer vierwöchigen Akklimatisation wären es immer noch 5,7 Prozent mehr, warnen sie im «British Medical Journal».
Vor 100 Jahren
Evidenzfrei
Offenbar keine Gedanken über Glaubwürdigkeit und Evidenz macht sich ein Berichterstatter in der Juni-Ausgabe von «Ars Medici» 1916: «Der normale menschliche Körper emaniert in der Dunkelkammer ein farbiges Licht, und zwar ein blaues auf der rechten, ein rotes auf der linken Körperhälfte», heisst es in einem Bericht über den «interessanten Vortrag» eines Professors in Wien; auch die im gleichen Artikel erwähnte Funktion der Wünschelrute als Minensuchgerät wird nicht hinterfragt.
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ARS MEDICI 13 I 2016