Transkript
FORTBILDUNG
«Gesund zu sein, ist ein Privileg»
Vor rund sechs Jahren litt Peter Känel (32) erstmals an Schmerzen in der rechten Schulter. Erst nach mehreren Monaten wusste er, dass er an einer seltenen Krankheit leidet. Die neuralgische Schulteramyotrophie hat aber nicht nur Schmerz, sondern auch positive Entwicklungen in sein Leben gebracht.
Psychiatrie & Neurologie: Waren vor Ausbruch der Erkrankung Vorzeichen zu erkennen? Peter Känel: Vor rund sechs Jahren kamen die Schmerzen wie aus dem Nichts. Mir tat zunächst die rechte Schulter weh, dann auch die Halswirbelsäule. Zuerst war es nicht ganz so schlimm. Dann nahmen die Schmerzen immer weiter zu, und ich führte dies auf eine vielleicht schlechte Körperhaltung zurück. Aber auch nach Monaten wurde es nicht besser – trotz Physiotherapie. Irgendwann konnte ich dann auch kaum mehr schlafen. Die Physiotherapeutin wollte damals nicht weiterbehandeln, ohne dass eine Diagnose vorliegt. Nach einem erfolglosen Kortisonstoss entschied ich mich gemeinsam mit meinem Hausarzt für weitere Untersuchungen und Abklärungen bei einem Neurologen. Die eigentliche Diagnose «neuralgische Schulteramyotrophie» kam rund drei Monate später. Der Prozess vom ersten Symptom bis zur Abklärung hat insgesamt 6 bis 8 Monate in Anspruch genommen.
Konnte man aufgrund der Diagnose differenzierter behandeln? Peter Känel: Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Ich hatte immer viel Sport getrieben, und plötzlich war kaum mehr eine sportliche Betätigung möglich. Auch Autofahren ging nicht mehr. Ich erhielt eine multimodale Schmerztherapie im Schmerzzentrum Bern. Die Therapie konnte den Schmerz aber nicht vollständig eindämmen und war recht aufwendig.
Wird diagnostisch ein Gentest durchgeführt? Peter Känel: Die neuralgische Schulteramyotrophie ist eine Ausschlussdiagnose; es gibt keinen beweisenden Gentest. Meist beginnt die Krankheit zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, wobei die Krankheit vorwiegend Männer trifft und meist rechts beginnt. Die Fallzahlen sind sehr gering, weshalb sie zu den Orphan-Krankeiten gezählt wird. Dahinter verbirgt sich wohl eine Autoimmunreaktion, aber die Behandlung erfolgt symptomatisch.
Welche Konsequenzen hatte die Krankheit für Ihr Leben? Peter Känel: Ich bin gelernter Elektroinstallateur. Den Beruf konnte ich nicht mehr ausüben. Ich wurde aufgrund der Erkrankung arbeitslos, erhielt Geld von der Krankentaggeld- und der Arbeitslosenversicherung und studierte dann später, da absehbar war, dass ich den alten Beruf aufgrund der körperlichen Veränderungen nicht mehr würde ausüben können. Schlimm, aufwendig und nervenzerreibend war die Koordination zwischen der Arbeitslosen- und der Invalidenversicherung (IV). Es gibt keine definierte Schnittstelle, die diese Vermittlung übernimmt. Das müssen Betroffene selbst machen, und es erwies sich als wirklich herausfordernd! Die Zusammenarbeit mit der IV selbst war dann überraschend gut.
Wie fühlen Sie sich heute? Peter Känel: Ich bin heute kaum noch körperlich behin-
dert oder eingeschränkt. Es gibt Bewegungen, die schwierig auszuführen sind, beispielsweise kann ich Arbeiten über Kopfhöhe nur noch schwer ausführen.
Nehmen Sie heute noch Medikamente ein? Peter Känel: Nein, aber die Medikamente auszuschleichen, war sehr schwierig. Mit dem Opiat ging es einfacher, aber die Antidepressiva auszuschleichen, gestaltete sich als sehr langwierig. Ich fühlte unter der Reduktion wieder Schmerzen, war erschöpft und müde. Insgesamt hatte ich aber grosses Glück. Aufgrund der guten Behandlung atrophierte die Muskulatur kaum, und ich bin wenig bis nicht eingeschränkt. Seit drei Jahren ist mein Zustand stabil, und die Krankheit sollte eigentlich auch nicht mehr zurückkehren.
Verlief die Zusammenarbeit und die Beratung mit den Ärzten gut? Peter Känel: Insgesamt sehr. Schwer zu ertragen war die Zeit bis zur Diagnose – vor allem die Ungewissheit. Sehr positiv war für mich, dass mir der Hausarzt immer offengelassen hat, welches Zentrum oder welchen Spezialisten ich wähle.
Hatten Sie genügend Informationen? Peter Känel: Ich bin durch Eigenrecherche auf «ProRaris» gestossen. Es hat insgesamt nur sehr wenige Informationen zu Orphan-Krankheiten. Informationen und auch Unterstützung zu erhalten, tut aber unglaublich gut, und auch der Austausch mit anderen Betroffenen ist sehr wichtig und hilfreich.
Haben Sie sich manchmal gefragt, warum es gerade Sie
getroffen hat?
Peter Känel: Ich habe für mich persönlich ganz viel po-
sitiven Nutzen aus meiner Erkrankung ziehen können.
Ich bin persönlich sehr viel ausgeglichener geworden.
Gesund zu sein, ist heute für mich nicht mehr selbstver-
ständlich, sondern ein Privileg. Ich habe auch erkannt,
wie leidensfähig ein Mensch sein kann und wie viel man
im Grunde doch ertragen kann.
Während meiner Schmerzphasen habe ich Schmerzbe-
wältigungs- und Entspannungstechniken beim Psych-
iater erlernt. Das war eine sehr wichtige Unterstützung,
weil diese hilft, zu reflektieren und andere Sichtweisen
einzunehmen.
G
Sehr geehrter Herr Känel, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrepondenzadresse: Peter Känel E-Mail: kaenel.peter@gmail.com
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PSYCHIATRIE NEUROLOGIE